Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Mensch sollte an Fähigkeiten die übrigen
Erdengeschöpfe übertreffen; sein Bau mußte also der
vollkommenste, und die möglichen Veränderungen dessel-
ben die zahlreichesten seyn. Seine Gesundheit und sein
Wohlbehagen waren auf die gleichmäßige Einwirkung
der festen und flüssigen Theile gegründet; je vielfacher
diese sind, je mehr ihre Festigkeit und Mischung ver-
ändert werden können; desto vielfacher kann auch ihre
gegenseitige Wirkung von der einzigen gleichmässigen
abweichen, und desto mehr Verletzungen und Zerrüt-
tungen der Gesundheit sind möglich gemacht worden.
Weil er lachen konnte, so sollte er auch weinen; und
weil er das Verflossene und die Zukunft durchschauen
sollte, so sollte er auch zum Wahnsinn herab sinken
können.

Ueberdenken wir noch das Heer der Krankheits-
ursachen, welche vom gesellschaftlichen Leben entsprin-
gen: die unendliche Verschiedenheit seiner Lebensart,
Gewerbe, Ueppigkeit, strenge Vorurtheile, Mangel,
Ueberfluß, Trägheit, unmäßige Anstrengung des Kör-
pers und des Geistes, Auswanderung, Erziehung,
Ansteckung, Afterärzte u. s. w.: so sollte man an der
Möglichkeit verzweifeln, daß man jemals gesund seyn
könnte.

§. 4.
Anstalten gegen die Krankheitsursachen.

Indessen ist doch immer der kranke Theil des
Menschengeschlechtes verhältnißmässig unendlich klein;
man hat alltägliche Beyspiele von sehr alten Leuten,

wel-
A 2

Der Menſch ſollte an Faͤhigkeiten die uͤbrigen
Erdengeſchoͤpfe uͤbertreffen; ſein Bau mußte alſo der
vollkommenſte, und die moͤglichen Veraͤnderungen deſſel-
ben die zahlreicheſten ſeyn. Seine Geſundheit und ſein
Wohlbehagen waren auf die gleichmaͤßige Einwirkung
der feſten und fluͤſſigen Theile gegruͤndet; je vielfacher
dieſe ſind, je mehr ihre Feſtigkeit und Miſchung ver-
aͤndert werden koͤnnen; deſto vielfacher kann auch ihre
gegenſeitige Wirkung von der einzigen gleichmaͤſſigen
abweichen, und deſto mehr Verletzungen und Zerruͤt-
tungen der Geſundheit ſind moͤglich gemacht worden.
Weil er lachen konnte, ſo ſollte er auch weinen; und
weil er das Verfloſſene und die Zukunft durchſchauen
ſollte, ſo ſollte er auch zum Wahnſinn herab ſinken
koͤnnen.

Ueberdenken wir noch das Heer der Krankheits-
urſachen, welche vom geſellſchaftlichen Leben entſprin-
gen: die unendliche Verſchiedenheit ſeiner Lebensart,
Gewerbe, Ueppigkeit, ſtrenge Vorurtheile, Mangel,
Ueberfluß, Traͤgheit, unmaͤßige Anſtrengung des Koͤr-
pers und des Geiſtes, Auswanderung, Erziehung,
Anſteckung, Afteraͤrzte u. ſ. w.: ſo ſollte man an der
Moͤglichkeit verzweifeln, daß man jemals geſund ſeyn
koͤnnte.

§. 4.
Anſtalten gegen die Krankheitsurſachen.

Indeſſen iſt doch immer der kranke Theil des
Menſchengeſchlechtes verhaͤltnißmaͤſſig unendlich klein;
man hat alltaͤgliche Beyſpiele von ſehr alten Leuten,

wel-
A 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0022" n="3"/>
            <p>Der Men&#x017F;ch &#x017F;ollte an Fa&#x0364;higkeiten die u&#x0364;brigen<lb/>
Erdenge&#x017F;cho&#x0364;pfe u&#x0364;bertreffen; &#x017F;ein Bau mußte al&#x017F;o der<lb/>
vollkommen&#x017F;te, und die mo&#x0364;glichen Vera&#x0364;nderungen de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben die zahlreiche&#x017F;ten &#x017F;eyn. Seine Ge&#x017F;undheit und &#x017F;ein<lb/>
Wohlbehagen waren auf die gleichma&#x0364;ßige Einwirkung<lb/>
der fe&#x017F;ten und flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Theile gegru&#x0364;ndet; je vielfacher<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;ind, je mehr ihre Fe&#x017F;tigkeit und Mi&#x017F;chung ver-<lb/>
a&#x0364;ndert werden ko&#x0364;nnen; de&#x017F;to vielfacher kann auch ihre<lb/>
gegen&#x017F;eitige Wirkung von der einzigen gleichma&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen<lb/>
abweichen, und de&#x017F;to mehr Verletzungen und Zerru&#x0364;t-<lb/>
tungen der Ge&#x017F;undheit &#x017F;ind mo&#x0364;glich gemacht worden.<lb/>
Weil er lachen konnte, &#x017F;o &#x017F;ollte er auch weinen; und<lb/>
weil er das Verflo&#x017F;&#x017F;ene und die Zukunft durch&#x017F;chauen<lb/>
&#x017F;ollte, &#x017F;o &#x017F;ollte er auch zum Wahn&#x017F;inn herab &#x017F;inken<lb/>
ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Ueberdenken wir noch das Heer der Krankheits-<lb/>
ur&#x017F;achen, welche vom ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Leben ent&#x017F;prin-<lb/>
gen: die unendliche Ver&#x017F;chiedenheit &#x017F;einer Lebensart,<lb/>
Gewerbe, Ueppigkeit, &#x017F;trenge Vorurtheile, Mangel,<lb/>
Ueberfluß, Tra&#x0364;gheit, unma&#x0364;ßige An&#x017F;trengung des Ko&#x0364;r-<lb/>
pers und des Gei&#x017F;tes, Auswanderung, Erziehung,<lb/>
An&#x017F;teckung, Aftera&#x0364;rzte u. &#x017F;. w.: &#x017F;o &#x017F;ollte man an der<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit verzweifeln, daß man jemals ge&#x017F;und &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nnte.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 4.<lb/><hi rendition="#b">An&#x017F;talten gegen die Krankheitsur&#x017F;achen.</hi></head><lb/>
            <p>Inde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t doch immer der kranke Theil des<lb/>
Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechtes verha&#x0364;ltnißma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig unendlich klein;<lb/>
man hat allta&#x0364;gliche Bey&#x017F;piele von &#x017F;ehr alten Leuten,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 2</fw><fw place="bottom" type="catch">wel-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0022] Der Menſch ſollte an Faͤhigkeiten die uͤbrigen Erdengeſchoͤpfe uͤbertreffen; ſein Bau mußte alſo der vollkommenſte, und die moͤglichen Veraͤnderungen deſſel- ben die zahlreicheſten ſeyn. Seine Geſundheit und ſein Wohlbehagen waren auf die gleichmaͤßige Einwirkung der feſten und fluͤſſigen Theile gegruͤndet; je vielfacher dieſe ſind, je mehr ihre Feſtigkeit und Miſchung ver- aͤndert werden koͤnnen; deſto vielfacher kann auch ihre gegenſeitige Wirkung von der einzigen gleichmaͤſſigen abweichen, und deſto mehr Verletzungen und Zerruͤt- tungen der Geſundheit ſind moͤglich gemacht worden. Weil er lachen konnte, ſo ſollte er auch weinen; und weil er das Verfloſſene und die Zukunft durchſchauen ſollte, ſo ſollte er auch zum Wahnſinn herab ſinken koͤnnen. Ueberdenken wir noch das Heer der Krankheits- urſachen, welche vom geſellſchaftlichen Leben entſprin- gen: die unendliche Verſchiedenheit ſeiner Lebensart, Gewerbe, Ueppigkeit, ſtrenge Vorurtheile, Mangel, Ueberfluß, Traͤgheit, unmaͤßige Anſtrengung des Koͤr- pers und des Geiſtes, Auswanderung, Erziehung, Anſteckung, Afteraͤrzte u. ſ. w.: ſo ſollte man an der Moͤglichkeit verzweifeln, daß man jemals geſund ſeyn koͤnnte. §. 4. Anſtalten gegen die Krankheitsurſachen. Indeſſen iſt doch immer der kranke Theil des Menſchengeſchlechtes verhaͤltnißmaͤſſig unendlich klein; man hat alltaͤgliche Beyſpiele von ſehr alten Leuten, wel- A 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/22
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/22>, abgerufen am 23.11.2024.