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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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man blos unruhig; man ist wider seinen Willen mit
mancherley Gedanken beschäftigt, deren man sich, so
sehr man auch dagegen strebt, nicht entschlagen kann.
Verfällt man in diesem Zeitpunkt in einen Schlum-
mer, so hat man lebhafte Träume, worinn ganze Hand-
lungen vorgehen. Man erwacht aber gewöhnlich bald
wieder, und hat Mühe, den wachenden Zustand vom
schlafenden zu unterscheiden. In einer etwas höhern
Stufe dünkt man sich mitten unter seinen Geschäften,
unter Gesellschaften u. d. gl. zu seyn, und man bedarf
schon einer, nicht von unserm Willen abhängigen, son-
dern blos durch Zufall veranlaßten und mit Anstren-
gung fortgesetzten Reflexion, um diese Bilder für wah-
re Phantasie zu halten. Aufmerksame Leute können
jetzt noch, gleichsam als bestünden sie aus zwey ver-
schiedenen denkenden Wesen, den Gang der irrenden
Phantasie beobachten. Es ist dieses das nämliche,
jetzt nur wirksamere und kennbarere Ding, was ei-
nige ihren Genius zu nennen pflegten, und seinen Sitz
im Hinterhaupte zu haben scheint; was ganz unwill-
kührlich in uns denket, und in unbegreiflicher Schnel-
ligkeit dem reflektirenden Vermögen der Seele die Ge-
danken vorhällt; was uns Glück und Unglück vorstellt;
aufmuntert und abmahnet, und den Verliebten, den
Furchtsamen, den Gewissenhaften, den Lottospieler
so mannigfaltig hintergeht; was die Mutter der Dicht-
kunst und der Schwärmerey ist; was zuverläßig etwas
ganz anders seyn muß, als die reflektirende Seelen-
kraft, und folglich aller Untersuchung der Weltweisen
würdig wäre, weil auf dessen schnellerem oder lang-

sa-

man blos unruhig; man iſt wider ſeinen Willen mit
mancherley Gedanken beſchaͤftigt, deren man ſich, ſo
ſehr man auch dagegen ſtrebt, nicht entſchlagen kann.
Verfaͤllt man in dieſem Zeitpunkt in einen Schlum-
mer, ſo hat man lebhafte Traͤume, worinn ganze Hand-
lungen vorgehen. Man erwacht aber gewoͤhnlich bald
wieder, und hat Muͤhe, den wachenden Zuſtand vom
ſchlafenden zu unterſcheiden. In einer etwas hoͤhern
Stufe duͤnkt man ſich mitten unter ſeinen Geſchaͤften,
unter Geſellſchaften u. d. gl. zu ſeyn, und man bedarf
ſchon einer, nicht von unſerm Willen abhaͤngigen, ſon-
dern blos durch Zufall veranlaßten und mit Anſtren-
gung fortgeſetzten Reflexion, um dieſe Bilder fuͤr wah-
re Phantaſie zu halten. Aufmerkſame Leute koͤnnen
jetzt noch, gleichſam als beſtuͤnden ſie aus zwey ver-
ſchiedenen denkenden Weſen, den Gang der irrenden
Phantaſie beobachten. Es iſt dieſes das naͤmliche,
jetzt nur wirkſamere und kennbarere Ding, was ei-
nige ihren Genius zu nennen pflegten, und ſeinen Sitz
im Hinterhaupte zu haben ſcheint; was ganz unwill-
kuͤhrlich in uns denket, und in unbegreiflicher Schnel-
ligkeit dem reflektirenden Vermoͤgen der Seele die Ge-
danken vorhaͤllt; was uns Gluͤck und Ungluͤck vorſtellt;
aufmuntert und abmahnet, und den Verliebten, den
Furchtſamen, den Gewiſſenhaften, den Lottoſpieler
ſo mannigfaltig hintergeht; was die Mutter der Dicht-
kunſt und der Schwaͤrmerey iſt; was zuverlaͤßig etwas
ganz anders ſeyn muß, als die reflektirende Seelen-
kraft, und folglich aller Unterſuchung der Weltweiſen
wuͤrdig waͤre, weil auf deſſen ſchnellerem oder lang-

ſa-
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[190/0209] man blos unruhig; man iſt wider ſeinen Willen mit mancherley Gedanken beſchaͤftigt, deren man ſich, ſo ſehr man auch dagegen ſtrebt, nicht entſchlagen kann. Verfaͤllt man in dieſem Zeitpunkt in einen Schlum- mer, ſo hat man lebhafte Traͤume, worinn ganze Hand- lungen vorgehen. Man erwacht aber gewoͤhnlich bald wieder, und hat Muͤhe, den wachenden Zuſtand vom ſchlafenden zu unterſcheiden. In einer etwas hoͤhern Stufe duͤnkt man ſich mitten unter ſeinen Geſchaͤften, unter Geſellſchaften u. d. gl. zu ſeyn, und man bedarf ſchon einer, nicht von unſerm Willen abhaͤngigen, ſon- dern blos durch Zufall veranlaßten und mit Anſtren- gung fortgeſetzten Reflexion, um dieſe Bilder fuͤr wah- re Phantaſie zu halten. Aufmerkſame Leute koͤnnen jetzt noch, gleichſam als beſtuͤnden ſie aus zwey ver- ſchiedenen denkenden Weſen, den Gang der irrenden Phantaſie beobachten. Es iſt dieſes das naͤmliche, jetzt nur wirkſamere und kennbarere Ding, was ei- nige ihren Genius zu nennen pflegten, und ſeinen Sitz im Hinterhaupte zu haben ſcheint; was ganz unwill- kuͤhrlich in uns denket, und in unbegreiflicher Schnel- ligkeit dem reflektirenden Vermoͤgen der Seele die Ge- danken vorhaͤllt; was uns Gluͤck und Ungluͤck vorſtellt; aufmuntert und abmahnet, und den Verliebten, den Furchtſamen, den Gewiſſenhaften, den Lottoſpieler ſo mannigfaltig hintergeht; was die Mutter der Dicht- kunſt und der Schwaͤrmerey iſt; was zuverlaͤßig etwas ganz anders ſeyn muß, als die reflektirende Seelen- kraft, und folglich aller Unterſuchung der Weltweiſen wuͤrdig waͤre, weil auf deſſen ſchnellerem oder lang- ſa-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/209>, abgerufen am 24.11.2024.