Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

-- Die Sprache des Kindes ist zwar nur ein unmün-
diges Lallen; allein sie ist doch mancher Bedeutungen
und Nachdrücke fähig. Unendlich beredter sind seine
Geberden, wodurch wir in jedem Alter den innern
Zustand unsers Gemütes auf eine bald mehr bald we-
niger willkührliche Weise zu äußern pflegen. Macht
ein Gegenstand einen angenehmen Eindruck, so ent-
steht in ihm die Begierde, sich demselben zu nähern,
es bestrebt sich mit dem ganzen Leibe, stemmt sich auf
das Hinterhaupt und den Hintern, streckt beide Ar-
me aus, und macht mit den Fingern die Bewegung,
als wenn es etwas fassen wollte. Sitzt es seiner Mut-
ter auf dem Arme, und ein Hund, eine Uhr u. d.
gl. machen seine Wünsche rege, so dreht es sich nach
allen Seiten, wo es nur immer den geliebten Gegen-
stand ansichtig werden kann, lächelt ihm mit ungedul-
digem Verlangen entgegen, giebt zärtliche, anlocken-
de Töne von sich, greift mit verwandten Händen dar-
nach, und wird bey Annäherung desselben einigerma-
ßen beruhigt. So sehr es manchmal vor Begierde
bebt, so greift es doch nur selten unbehutsam zu; es
gafft ihn an, schwebt zwischen Zuneigung und Miß-
trauen, bis es endlich durch das Beyspiel seiner Mut-
ter ermuntert, den zaghaften Entschluß faßet, ihn zu
berühren. -- Ist es furchtsam, so wendet es den
ganzen Leib ab, und bleibt, je nachdem sich die Furcht
dem Schrecken nähert, entweder äußerst still und ver-
birgt sich, oder es bricht in ein lebhaftes Geschrey
aus, und sucht mit Händ und Füßen, sich zu entfer-
nen. Steigt seine Furcht auf einen höhern Grad, so

starrt
H 2

— Die Sprache des Kindes iſt zwar nur ein unmuͤn-
diges Lallen; allein ſie iſt doch mancher Bedeutungen
und Nachdruͤcke faͤhig. Unendlich beredter ſind ſeine
Geberden, wodurch wir in jedem Alter den innern
Zuſtand unſers Gemuͤtes auf eine bald mehr bald we-
niger willkuͤhrliche Weiſe zu aͤußern pflegen. Macht
ein Gegenſtand einen angenehmen Eindruck, ſo ent-
ſteht in ihm die Begierde, ſich demſelben zu naͤhern,
es beſtrebt ſich mit dem ganzen Leibe, ſtemmt ſich auf
das Hinterhaupt und den Hintern, ſtreckt beide Ar-
me aus, und macht mit den Fingern die Bewegung,
als wenn es etwas faſſen wollte. Sitzt es ſeiner Mut-
ter auf dem Arme, und ein Hund, eine Uhr u. d.
gl. machen ſeine Wuͤnſche rege, ſo dreht es ſich nach
allen Seiten, wo es nur immer den geliebten Gegen-
ſtand anſichtig werden kann, laͤchelt ihm mit ungedul-
digem Verlangen entgegen, giebt zaͤrtliche, anlocken-
de Toͤne von ſich, greift mit verwandten Haͤnden dar-
nach, und wird bey Annaͤherung deſſelben einigerma-
ßen beruhigt. So ſehr es manchmal vor Begierde
bebt, ſo greift es doch nur ſelten unbehutſam zu; es
gafft ihn an, ſchwebt zwiſchen Zuneigung und Miß-
trauen, bis es endlich durch das Beyſpiel ſeiner Mut-
ter ermuntert, den zaghaften Entſchluß faßet, ihn zu
beruͤhren. — Iſt es furchtſam, ſo wendet es den
ganzen Leib ab, und bleibt, je nachdem ſich die Furcht
dem Schrecken naͤhert, entweder aͤußerſt ſtill und ver-
birgt ſich, oder es bricht in ein lebhaftes Geſchrey
aus, und ſucht mit Haͤnd und Fuͤßen, ſich zu entfer-
nen. Steigt ſeine Furcht auf einen hoͤhern Grad, ſo

ſtarrt
H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0134" n="115"/>
&#x2014; Die Sprache des Kindes i&#x017F;t zwar nur ein unmu&#x0364;n-<lb/>
diges Lallen; allein &#x017F;ie i&#x017F;t doch mancher Bedeutungen<lb/>
und Nachdru&#x0364;cke fa&#x0364;hig. Unendlich beredter &#x017F;ind &#x017F;eine<lb/>
Geberden, wodurch wir in jedem Alter den innern<lb/>
Zu&#x017F;tand un&#x017F;ers Gemu&#x0364;tes auf eine bald mehr bald we-<lb/>
niger willku&#x0364;hrliche Wei&#x017F;e zu a&#x0364;ußern pflegen. Macht<lb/>
ein Gegen&#x017F;tand einen angenehmen Eindruck, &#x017F;o ent-<lb/>
&#x017F;teht in ihm die Begierde, &#x017F;ich dem&#x017F;elben zu na&#x0364;hern,<lb/>
es be&#x017F;trebt &#x017F;ich mit dem ganzen Leibe, &#x017F;temmt &#x017F;ich auf<lb/>
das Hinterhaupt und den Hintern, &#x017F;treckt beide Ar-<lb/>
me aus, und macht mit den Fingern die Bewegung,<lb/>
als wenn es etwas fa&#x017F;&#x017F;en wollte. Sitzt es &#x017F;einer Mut-<lb/>
ter auf dem Arme, und ein Hund, eine Uhr u. d.<lb/>
gl. machen &#x017F;eine Wu&#x0364;n&#x017F;che rege, &#x017F;o dreht es &#x017F;ich nach<lb/>
allen Seiten, wo es nur immer den geliebten Gegen-<lb/>
&#x017F;tand an&#x017F;ichtig werden kann, la&#x0364;chelt ihm mit ungedul-<lb/>
digem Verlangen entgegen, giebt za&#x0364;rtliche, anlocken-<lb/>
de To&#x0364;ne von &#x017F;ich, greift mit verwandten Ha&#x0364;nden dar-<lb/>
nach, und wird bey Anna&#x0364;herung de&#x017F;&#x017F;elben einigerma-<lb/>
ßen beruhigt. So &#x017F;ehr es manchmal vor Begierde<lb/>
bebt, &#x017F;o greift es doch nur &#x017F;elten unbehut&#x017F;am zu; es<lb/>
gafft ihn an, &#x017F;chwebt zwi&#x017F;chen Zuneigung und Miß-<lb/>
trauen, bis es endlich durch das Bey&#x017F;piel &#x017F;einer Mut-<lb/>
ter ermuntert, den zaghaften Ent&#x017F;chluß faßet, ihn zu<lb/>
beru&#x0364;hren. &#x2014; I&#x017F;t es furcht&#x017F;am, &#x017F;o wendet es den<lb/>
ganzen Leib ab, und bleibt, je nachdem &#x017F;ich die Furcht<lb/>
dem Schrecken na&#x0364;hert, entweder a&#x0364;ußer&#x017F;t &#x017F;till und ver-<lb/>
birgt &#x017F;ich, oder es bricht in ein lebhaftes Ge&#x017F;chrey<lb/>
aus, und &#x017F;ucht mit Ha&#x0364;nd und Fu&#x0364;ßen, &#x017F;ich zu entfer-<lb/>
nen. Steigt &#x017F;eine Furcht auf einen ho&#x0364;hern Grad, &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tarrt</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0134] — Die Sprache des Kindes iſt zwar nur ein unmuͤn- diges Lallen; allein ſie iſt doch mancher Bedeutungen und Nachdruͤcke faͤhig. Unendlich beredter ſind ſeine Geberden, wodurch wir in jedem Alter den innern Zuſtand unſers Gemuͤtes auf eine bald mehr bald we- niger willkuͤhrliche Weiſe zu aͤußern pflegen. Macht ein Gegenſtand einen angenehmen Eindruck, ſo ent- ſteht in ihm die Begierde, ſich demſelben zu naͤhern, es beſtrebt ſich mit dem ganzen Leibe, ſtemmt ſich auf das Hinterhaupt und den Hintern, ſtreckt beide Ar- me aus, und macht mit den Fingern die Bewegung, als wenn es etwas faſſen wollte. Sitzt es ſeiner Mut- ter auf dem Arme, und ein Hund, eine Uhr u. d. gl. machen ſeine Wuͤnſche rege, ſo dreht es ſich nach allen Seiten, wo es nur immer den geliebten Gegen- ſtand anſichtig werden kann, laͤchelt ihm mit ungedul- digem Verlangen entgegen, giebt zaͤrtliche, anlocken- de Toͤne von ſich, greift mit verwandten Haͤnden dar- nach, und wird bey Annaͤherung deſſelben einigerma- ßen beruhigt. So ſehr es manchmal vor Begierde bebt, ſo greift es doch nur ſelten unbehutſam zu; es gafft ihn an, ſchwebt zwiſchen Zuneigung und Miß- trauen, bis es endlich durch das Beyſpiel ſeiner Mut- ter ermuntert, den zaghaften Entſchluß faßet, ihn zu beruͤhren. — Iſt es furchtſam, ſo wendet es den ganzen Leib ab, und bleibt, je nachdem ſich die Furcht dem Schrecken naͤhert, entweder aͤußerſt ſtill und ver- birgt ſich, oder es bricht in ein lebhaftes Geſchrey aus, und ſucht mit Haͤnd und Fuͤßen, ſich zu entfer- nen. Steigt ſeine Furcht auf einen hoͤhern Grad, ſo ſtarrt H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/134
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/134>, abgerufen am 03.05.2024.