Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Daher ist auch kein Thier klüger, als das andere.
Man bemerket eine Gleichheit in dem Gewebe der
Spinnen, und in den Honigscheiben ein gewisses Maaß
aller ekichten Zellen. Was die Kunst beygebracht hat,
das ist ungewiß und ungleich; was aber die Natur
mittheilet, daß ist bey allen einerley. Die Natur leh-
ret nichts weiter, als die Selbsterhaltung, und die
dazu nöthige Erkenntniß: und so fangen die Thiere ihr
Lernen zugleich mit dem Leben an. Es ist auch nicht
zu verwundern, daß ihnen das angeboren sey, ohne
welches sie umsonst würden geboren seyn."

§. 27.

Wir können es nie ohne Gefahr des Irrthums
und des Widerspruches wagen, eine Sache sinnlich dar-
zustellen, die nie in unsere Sinne gefallen ist. -- Da
bleibt nun gar nichts übrig, als die Analogie, wo-
durch unsere Urtheile einigermaßen einer Aufnahme
würdig gemacht werden können. Wäre die innere Em-
pfindung der Thiere, von ihrer Natur, ihrer Be-
schaffenheit, ihrer Werkzeuge und ihrer Kräfte zur
Ausübung ihrer Kunstfertigkeiten ein unentbehrliches
oder doch mitwirkendes Bedingniß, so begreife ich nicht
wie sie mit einer dunklen, verworrenen Empfindung
und Kenntniß zu so kunstvollen Werken auslangen
könnten. Man gebe dem Baumeister einen dunklen
Begriff von Steinen, Holz, Eisen, Witterung, Men-
schen u. s. w. was wird da für ein Gebäude hergestellt
werden? Und ist diese Empfindung nicht hinreichend,
so ist sie auch überflüßig; die Natur aber hat nichts

Müssiges

Daher iſt auch kein Thier kluͤger, als das andere.
Man bemerket eine Gleichheit in dem Gewebe der
Spinnen, und in den Honigſcheiben ein gewiſſes Maaß
aller ekichten Zellen. Was die Kunſt beygebracht hat,
das iſt ungewiß und ungleich; was aber die Natur
mittheilet, daß iſt bey allen einerley. Die Natur leh-
ret nichts weiter, als die Selbſterhaltung, und die
dazu noͤthige Erkenntniß: und ſo fangen die Thiere ihr
Lernen zugleich mit dem Leben an. Es iſt auch nicht
zu verwundern, daß ihnen das angeboren ſey, ohne
welches ſie umſonſt wuͤrden geboren ſeyn.„

§. 27.

Wir koͤnnen es nie ohne Gefahr des Irrthums
und des Widerſpruches wagen, eine Sache ſinnlich dar-
zuſtellen, die nie in unſere Sinne gefallen iſt. — Da
bleibt nun gar nichts uͤbrig, als die Analogie, wo-
durch unſere Urtheile einigermaßen einer Aufnahme
wuͤrdig gemacht werden koͤnnen. Waͤre die innere Em-
pfindung der Thiere, von ihrer Natur, ihrer Be-
ſchaffenheit, ihrer Werkzeuge und ihrer Kraͤfte zur
Ausuͤbung ihrer Kunſtfertigkeiten ein unentbehrliches
oder doch mitwirkendes Bedingniß, ſo begreife ich nicht
wie ſie mit einer dunklen, verworrenen Empfindung
und Kenntniß zu ſo kunſtvollen Werken auslangen
koͤnnten. Man gebe dem Baumeiſter einen dunklen
Begriff von Steinen, Holz, Eiſen, Witterung, Men-
ſchen u. ſ. w. was wird da fuͤr ein Gebaͤude hergeſtellt
werden? Und iſt dieſe Empfindung nicht hinreichend,
ſo iſt ſie auch uͤberfluͤßig; die Natur aber hat nichts

Muͤſſiges
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0113" n="94"/>
Daher i&#x017F;t auch kein Thier klu&#x0364;ger, als das andere.<lb/>
Man bemerket eine Gleichheit in dem Gewebe der<lb/>
Spinnen, und in den Honig&#x017F;cheiben ein gewi&#x017F;&#x017F;es Maaß<lb/>
aller ekichten Zellen. Was die Kun&#x017F;t beygebracht hat,<lb/>
das i&#x017F;t ungewiß und ungleich; was aber die Natur<lb/>
mittheilet, daß i&#x017F;t bey allen einerley. Die Natur leh-<lb/>
ret nichts weiter, als die Selb&#x017F;terhaltung, und die<lb/>
dazu no&#x0364;thige Erkenntniß: und &#x017F;o fangen die Thiere ihr<lb/>
Lernen zugleich mit dem Leben an. Es i&#x017F;t auch nicht<lb/>
zu verwundern, daß ihnen das angeboren &#x017F;ey, ohne<lb/>
welches &#x017F;ie um&#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rden geboren &#x017F;eyn.&#x201E;</p><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 27.</head><lb/>
              <p>Wir ko&#x0364;nnen es nie ohne Gefahr des Irrthums<lb/>
und des Wider&#x017F;pruches wagen, eine Sache &#x017F;innlich dar-<lb/>
zu&#x017F;tellen, die nie in un&#x017F;ere Sinne gefallen i&#x017F;t. &#x2014; Da<lb/>
bleibt nun gar nichts u&#x0364;brig, als die Analogie, wo-<lb/>
durch un&#x017F;ere Urtheile einigermaßen einer Aufnahme<lb/>
wu&#x0364;rdig gemacht werden ko&#x0364;nnen. Wa&#x0364;re die innere Em-<lb/>
pfindung der Thiere, von ihrer Natur, ihrer Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheit, ihrer Werkzeuge und ihrer Kra&#x0364;fte zur<lb/>
Ausu&#x0364;bung ihrer Kun&#x017F;tfertigkeiten ein unentbehrliches<lb/>
oder doch mitwirkendes Bedingniß, &#x017F;o begreife ich nicht<lb/>
wie &#x017F;ie mit einer dunklen, verworrenen Empfindung<lb/>
und Kenntniß zu &#x017F;o kun&#x017F;tvollen Werken auslangen<lb/>
ko&#x0364;nnten. Man gebe dem Baumei&#x017F;ter einen dunklen<lb/>
Begriff von Steinen, Holz, Ei&#x017F;en, Witterung, Men-<lb/>
&#x017F;chen u. &#x017F;. w. was wird da fu&#x0364;r ein Geba&#x0364;ude herge&#x017F;tellt<lb/>
werden? Und i&#x017F;t die&#x017F;e Empfindung nicht hinreichend,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie auch u&#x0364;berflu&#x0364;ßig; die Natur aber hat nichts<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;iges</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0113] Daher iſt auch kein Thier kluͤger, als das andere. Man bemerket eine Gleichheit in dem Gewebe der Spinnen, und in den Honigſcheiben ein gewiſſes Maaß aller ekichten Zellen. Was die Kunſt beygebracht hat, das iſt ungewiß und ungleich; was aber die Natur mittheilet, daß iſt bey allen einerley. Die Natur leh- ret nichts weiter, als die Selbſterhaltung, und die dazu noͤthige Erkenntniß: und ſo fangen die Thiere ihr Lernen zugleich mit dem Leben an. Es iſt auch nicht zu verwundern, daß ihnen das angeboren ſey, ohne welches ſie umſonſt wuͤrden geboren ſeyn.„ §. 27. Wir koͤnnen es nie ohne Gefahr des Irrthums und des Widerſpruches wagen, eine Sache ſinnlich dar- zuſtellen, die nie in unſere Sinne gefallen iſt. — Da bleibt nun gar nichts uͤbrig, als die Analogie, wo- durch unſere Urtheile einigermaßen einer Aufnahme wuͤrdig gemacht werden koͤnnen. Waͤre die innere Em- pfindung der Thiere, von ihrer Natur, ihrer Be- ſchaffenheit, ihrer Werkzeuge und ihrer Kraͤfte zur Ausuͤbung ihrer Kunſtfertigkeiten ein unentbehrliches oder doch mitwirkendes Bedingniß, ſo begreife ich nicht wie ſie mit einer dunklen, verworrenen Empfindung und Kenntniß zu ſo kunſtvollen Werken auslangen koͤnnten. Man gebe dem Baumeiſter einen dunklen Begriff von Steinen, Holz, Eiſen, Witterung, Men- ſchen u. ſ. w. was wird da fuͤr ein Gebaͤude hergeſtellt werden? Und iſt dieſe Empfindung nicht hinreichend, ſo iſt ſie auch uͤberfluͤßig; die Natur aber hat nichts Muͤſſiges

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/113
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/113>, abgerufen am 21.11.2024.