Daher ist auch kein Thier klüger, als das andere. Man bemerket eine Gleichheit in dem Gewebe der Spinnen, und in den Honigscheiben ein gewisses Maaß aller ekichten Zellen. Was die Kunst beygebracht hat, das ist ungewiß und ungleich; was aber die Natur mittheilet, daß ist bey allen einerley. Die Natur leh- ret nichts weiter, als die Selbsterhaltung, und die dazu nöthige Erkenntniß: und so fangen die Thiere ihr Lernen zugleich mit dem Leben an. Es ist auch nicht zu verwundern, daß ihnen das angeboren sey, ohne welches sie umsonst würden geboren seyn."
§. 27.
Wir können es nie ohne Gefahr des Irrthums und des Widerspruches wagen, eine Sache sinnlich dar- zustellen, die nie in unsere Sinne gefallen ist. -- Da bleibt nun gar nichts übrig, als die Analogie, wo- durch unsere Urtheile einigermaßen einer Aufnahme würdig gemacht werden können. Wäre die innere Em- pfindung der Thiere, von ihrer Natur, ihrer Be- schaffenheit, ihrer Werkzeuge und ihrer Kräfte zur Ausübung ihrer Kunstfertigkeiten ein unentbehrliches oder doch mitwirkendes Bedingniß, so begreife ich nicht wie sie mit einer dunklen, verworrenen Empfindung und Kenntniß zu so kunstvollen Werken auslangen könnten. Man gebe dem Baumeister einen dunklen Begriff von Steinen, Holz, Eisen, Witterung, Men- schen u. s. w. was wird da für ein Gebäude hergestellt werden? Und ist diese Empfindung nicht hinreichend, so ist sie auch überflüßig; die Natur aber hat nichts
Müssiges
Daher iſt auch kein Thier kluͤger, als das andere. Man bemerket eine Gleichheit in dem Gewebe der Spinnen, und in den Honigſcheiben ein gewiſſes Maaß aller ekichten Zellen. Was die Kunſt beygebracht hat, das iſt ungewiß und ungleich; was aber die Natur mittheilet, daß iſt bey allen einerley. Die Natur leh- ret nichts weiter, als die Selbſterhaltung, und die dazu noͤthige Erkenntniß: und ſo fangen die Thiere ihr Lernen zugleich mit dem Leben an. Es iſt auch nicht zu verwundern, daß ihnen das angeboren ſey, ohne welches ſie umſonſt wuͤrden geboren ſeyn.„
§. 27.
Wir koͤnnen es nie ohne Gefahr des Irrthums und des Widerſpruches wagen, eine Sache ſinnlich dar- zuſtellen, die nie in unſere Sinne gefallen iſt. — Da bleibt nun gar nichts uͤbrig, als die Analogie, wo- durch unſere Urtheile einigermaßen einer Aufnahme wuͤrdig gemacht werden koͤnnen. Waͤre die innere Em- pfindung der Thiere, von ihrer Natur, ihrer Be- ſchaffenheit, ihrer Werkzeuge und ihrer Kraͤfte zur Ausuͤbung ihrer Kunſtfertigkeiten ein unentbehrliches oder doch mitwirkendes Bedingniß, ſo begreife ich nicht wie ſie mit einer dunklen, verworrenen Empfindung und Kenntniß zu ſo kunſtvollen Werken auslangen koͤnnten. Man gebe dem Baumeiſter einen dunklen Begriff von Steinen, Holz, Eiſen, Witterung, Men- ſchen u. ſ. w. was wird da fuͤr ein Gebaͤude hergeſtellt werden? Und iſt dieſe Empfindung nicht hinreichend, ſo iſt ſie auch uͤberfluͤßig; die Natur aber hat nichts
Muͤſſiges
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0113"n="94"/>
Daher iſt auch kein Thier kluͤger, als das andere.<lb/>
Man bemerket eine Gleichheit in dem Gewebe der<lb/>
Spinnen, und in den Honigſcheiben ein gewiſſes Maaß<lb/>
aller ekichten Zellen. Was die Kunſt beygebracht hat,<lb/>
das iſt ungewiß und ungleich; was aber die Natur<lb/>
mittheilet, daß iſt bey allen einerley. Die Natur leh-<lb/>
ret nichts weiter, als die Selbſterhaltung, und die<lb/>
dazu noͤthige Erkenntniß: und ſo fangen die Thiere ihr<lb/>
Lernen zugleich mit dem Leben an. Es iſt auch nicht<lb/>
zu verwundern, daß ihnen das angeboren ſey, ohne<lb/>
welches ſie umſonſt wuͤrden geboren ſeyn.„</p><lb/><divn="4"><head>§. 27.</head><lb/><p>Wir koͤnnen es nie ohne Gefahr des Irrthums<lb/>
und des Widerſpruches wagen, eine Sache ſinnlich dar-<lb/>
zuſtellen, die nie in unſere Sinne gefallen iſt. — Da<lb/>
bleibt nun gar nichts uͤbrig, als die Analogie, wo-<lb/>
durch unſere Urtheile einigermaßen einer Aufnahme<lb/>
wuͤrdig gemacht werden koͤnnen. Waͤre die innere Em-<lb/>
pfindung der Thiere, von ihrer Natur, ihrer Be-<lb/>ſchaffenheit, ihrer Werkzeuge und ihrer Kraͤfte zur<lb/>
Ausuͤbung ihrer Kunſtfertigkeiten ein unentbehrliches<lb/>
oder doch mitwirkendes Bedingniß, ſo begreife ich nicht<lb/>
wie ſie mit einer dunklen, verworrenen Empfindung<lb/>
und Kenntniß zu ſo kunſtvollen Werken auslangen<lb/>
koͤnnten. Man gebe dem Baumeiſter einen dunklen<lb/>
Begriff von Steinen, Holz, Eiſen, Witterung, Men-<lb/>ſchen u. ſ. w. was wird da fuͤr ein Gebaͤude hergeſtellt<lb/>
werden? Und iſt dieſe Empfindung nicht hinreichend,<lb/>ſo iſt ſie auch uͤberfluͤßig; die Natur aber hat nichts<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Muͤſſiges</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[94/0113]
Daher iſt auch kein Thier kluͤger, als das andere.
Man bemerket eine Gleichheit in dem Gewebe der
Spinnen, und in den Honigſcheiben ein gewiſſes Maaß
aller ekichten Zellen. Was die Kunſt beygebracht hat,
das iſt ungewiß und ungleich; was aber die Natur
mittheilet, daß iſt bey allen einerley. Die Natur leh-
ret nichts weiter, als die Selbſterhaltung, und die
dazu noͤthige Erkenntniß: und ſo fangen die Thiere ihr
Lernen zugleich mit dem Leben an. Es iſt auch nicht
zu verwundern, daß ihnen das angeboren ſey, ohne
welches ſie umſonſt wuͤrden geboren ſeyn.„
§. 27.
Wir koͤnnen es nie ohne Gefahr des Irrthums
und des Widerſpruches wagen, eine Sache ſinnlich dar-
zuſtellen, die nie in unſere Sinne gefallen iſt. — Da
bleibt nun gar nichts uͤbrig, als die Analogie, wo-
durch unſere Urtheile einigermaßen einer Aufnahme
wuͤrdig gemacht werden koͤnnen. Waͤre die innere Em-
pfindung der Thiere, von ihrer Natur, ihrer Be-
ſchaffenheit, ihrer Werkzeuge und ihrer Kraͤfte zur
Ausuͤbung ihrer Kunſtfertigkeiten ein unentbehrliches
oder doch mitwirkendes Bedingniß, ſo begreife ich nicht
wie ſie mit einer dunklen, verworrenen Empfindung
und Kenntniß zu ſo kunſtvollen Werken auslangen
koͤnnten. Man gebe dem Baumeiſter einen dunklen
Begriff von Steinen, Holz, Eiſen, Witterung, Men-
ſchen u. ſ. w. was wird da fuͤr ein Gebaͤude hergeſtellt
werden? Und iſt dieſe Empfindung nicht hinreichend,
ſo iſt ſie auch uͤberfluͤßig; die Natur aber hat nichts
Muͤſſiges
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/113>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.