Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Bernhard hörte nichts! Jubelnd hob er sein letztes Glück auf und preßte es an sein Herz, bis das Kind schrie und sich nach dem "Papa" umsah, aber der war verschwunden, und acht Tage später bestieg Bernhard einen Wagen, der ihn nach Bremen zum Schiffe bringen sollte, hinter ihm die alte Tante, die anfangs so gegen Amerika gescholten hatte und nun doch mitging, um des mutterlosen Kindes willen, das sie doch nicht dem "Mannsvolk" überlassen wollte, denn da würde ja das "Thereschen" aus dem Grabe kommen und übers Weltmeer wandern müssen, um ihr Kind zu behüten, wie alle Mütter in Westfalen sie nach dem Tode noch hüten, wenn ihre kleinen Kinder verlassen sind -- und "Thereschen" sollte die ewige Ruhe haben, sagte die alte Frau. "Das hatte sie doch verdient!" Bernhard hörte nichts! Jubelnd hob er sein letztes Glück auf und preßte es an sein Herz, bis das Kind schrie und sich nach dem „Papa“ umsah, aber der war verschwunden, und acht Tage später bestieg Bernhard einen Wagen, der ihn nach Bremen zum Schiffe bringen sollte, hinter ihm die alte Tante, die anfangs so gegen Amerika gescholten hatte und nun doch mitging, um des mutterlosen Kindes willen, das sie doch nicht dem „Mannsvolk“ überlassen wollte, denn da würde ja das „Thereschen“ aus dem Grabe kommen und übers Weltmeer wandern müssen, um ihr Kind zu behüten, wie alle Mütter in Westfalen sie nach dem Tode noch hüten, wenn ihre kleinen Kinder verlassen sind — und „Thereschen“ sollte die ewige Ruhe haben, sagte die alte Frau. „Das hatte sie doch verdient!“ <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <pb facs="#f0073"/> <p>Bernhard hörte nichts! Jubelnd hob er sein letztes Glück auf und preßte es an sein Herz, bis das Kind schrie und sich nach dem „Papa“ umsah, aber der war verschwunden, und acht Tage später bestieg Bernhard einen Wagen, der ihn nach Bremen zum Schiffe bringen sollte, hinter ihm die alte Tante, die anfangs so gegen Amerika gescholten hatte und nun doch mitging, um des mutterlosen Kindes willen, das sie doch nicht dem „Mannsvolk“ überlassen wollte, denn da würde ja das „Thereschen“ aus dem Grabe kommen und übers Weltmeer wandern müssen, um ihr Kind zu behüten, wie alle Mütter in Westfalen sie nach dem Tode noch hüten, wenn ihre kleinen Kinder verlassen sind — und „Thereschen“ sollte die ewige Ruhe haben, sagte die alte Frau. „Das hatte sie doch verdient!“</p><lb/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
Bernhard hörte nichts! Jubelnd hob er sein letztes Glück auf und preßte es an sein Herz, bis das Kind schrie und sich nach dem „Papa“ umsah, aber der war verschwunden, und acht Tage später bestieg Bernhard einen Wagen, der ihn nach Bremen zum Schiffe bringen sollte, hinter ihm die alte Tante, die anfangs so gegen Amerika gescholten hatte und nun doch mitging, um des mutterlosen Kindes willen, das sie doch nicht dem „Mannsvolk“ überlassen wollte, denn da würde ja das „Thereschen“ aus dem Grabe kommen und übers Weltmeer wandern müssen, um ihr Kind zu behüten, wie alle Mütter in Westfalen sie nach dem Tode noch hüten, wenn ihre kleinen Kinder verlassen sind — und „Thereschen“ sollte die ewige Ruhe haben, sagte die alte Frau. „Das hatte sie doch verdient!“
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Zitationshilfe: | Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/73>, abgerufen am 18.07.2024. |