Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.6. Der Wohlthäter. Sechs Wochen darauf verkündete der Pfarrer von der Kanzel, der hochgeborene Herr Graf von K. wolle in nicht genug zu würdigendem christlichem Sinne das alte Schloß nebst Garten und Feldern, das ihm die Verwaltung der königlichen Domänen verkauft, als Armenhaus der Gemeinde schenken, zum Dank möge nun hinfort die Gemeinde jeden Sonntag für ihren Wohlthäter beten. Unten saß Bernhard in seinem Stuhle, und ein unendlich bitteres Lächeln glitt über sein blasses Gesicht. Als er bei dem Nachhausekommen Therese die Nachricht mittheilte, sagte sie mit einem Anflug von Glück in ihren sonst so trüben Zügen: Gott sei Dank! Das freut mich, daß er Wort hält. O jetzt wird er noch Wort halten, sagte spöttisch Bernhard. Wie meinst du das? Nun, er wird dir noch manches Jahr abkaufen wollen, und darf doch deßhalb nicht gleich vom Anfang an im Handel unehrlich sein. Bernhard -- Bernhard! Sprich nicht so! Sage selbst, konnte ich Nein sagen, verdiente ich dann auch nur den Namen einer Christin? 6. Der Wohlthäter. Sechs Wochen darauf verkündete der Pfarrer von der Kanzel, der hochgeborene Herr Graf von K. wolle in nicht genug zu würdigendem christlichem Sinne das alte Schloß nebst Garten und Feldern, das ihm die Verwaltung der königlichen Domänen verkauft, als Armenhaus der Gemeinde schenken, zum Dank möge nun hinfort die Gemeinde jeden Sonntag für ihren Wohlthäter beten. Unten saß Bernhard in seinem Stuhle, und ein unendlich bitteres Lächeln glitt über sein blasses Gesicht. Als er bei dem Nachhausekommen Therese die Nachricht mittheilte, sagte sie mit einem Anflug von Glück in ihren sonst so trüben Zügen: Gott sei Dank! Das freut mich, daß er Wort hält. O jetzt wird er noch Wort halten, sagte spöttisch Bernhard. Wie meinst du das? Nun, er wird dir noch manches Jahr abkaufen wollen, und darf doch deßhalb nicht gleich vom Anfang an im Handel unehrlich sein. Bernhard — Bernhard! Sprich nicht so! Sage selbst, konnte ich Nein sagen, verdiente ich dann auch nur den Namen einer Christin? <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <pb facs="#f0053"/> </div> <div type="chapter" n="6"> <head>6. Der Wohlthäter.</head> <p>Sechs Wochen darauf verkündete der Pfarrer von der Kanzel, der hochgeborene Herr Graf von K. wolle in nicht genug zu würdigendem christlichem Sinne das alte Schloß nebst Garten und Feldern, das ihm die Verwaltung der königlichen Domänen verkauft, als Armenhaus der Gemeinde schenken, zum Dank möge nun hinfort die Gemeinde jeden Sonntag für ihren Wohlthäter beten.</p><lb/> <p>Unten saß Bernhard in seinem Stuhle, und ein unendlich bitteres Lächeln glitt über sein blasses Gesicht.</p><lb/> <p>Als er bei dem Nachhausekommen Therese die Nachricht mittheilte, sagte sie mit einem Anflug von Glück in ihren sonst so trüben Zügen:</p><lb/> <p>Gott sei Dank! Das freut mich, daß er Wort hält.</p><lb/> <p>O jetzt wird er noch Wort halten, sagte spöttisch Bernhard.</p><lb/> <p>Wie meinst du das?</p><lb/> <p>Nun, er wird dir noch manches Jahr abkaufen wollen, und darf doch deßhalb nicht gleich vom Anfang an im Handel unehrlich sein.</p><lb/> <p>Bernhard — Bernhard! Sprich nicht so! Sage selbst, konnte ich Nein sagen, verdiente ich dann auch nur den Namen einer Christin?</p><lb/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
6. Der Wohlthäter. Sechs Wochen darauf verkündete der Pfarrer von der Kanzel, der hochgeborene Herr Graf von K. wolle in nicht genug zu würdigendem christlichem Sinne das alte Schloß nebst Garten und Feldern, das ihm die Verwaltung der königlichen Domänen verkauft, als Armenhaus der Gemeinde schenken, zum Dank möge nun hinfort die Gemeinde jeden Sonntag für ihren Wohlthäter beten.
Unten saß Bernhard in seinem Stuhle, und ein unendlich bitteres Lächeln glitt über sein blasses Gesicht.
Als er bei dem Nachhausekommen Therese die Nachricht mittheilte, sagte sie mit einem Anflug von Glück in ihren sonst so trüben Zügen:
Gott sei Dank! Das freut mich, daß er Wort hält.
O jetzt wird er noch Wort halten, sagte spöttisch Bernhard.
Wie meinst du das?
Nun, er wird dir noch manches Jahr abkaufen wollen, und darf doch deßhalb nicht gleich vom Anfang an im Handel unehrlich sein.
Bernhard — Bernhard! Sprich nicht so! Sage selbst, konnte ich Nein sagen, verdiente ich dann auch nur den Namen einer Christin?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T15:13:13Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T15:13:13Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |