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Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ach, ideal ist sie auch nicht, gnädige Gräfin, und wenn meine alte Tante mir nicht so freundlich die schwersten Sorgen abnähme, ich fände selten Zeit, hier in meinem traulichen Zimmer zu sitzen, und müßte mich den ganzen Tag in Küche und Keller, im Kuhstall und in der Milchkammer umhertreiben.

Also dahin kommen Sie doch?

O, Frau Gräfin, viel mehr als ich hier herkomme!

Die Gräfin betrachtete mit einem Blicke des aufrichtigsten Mitleids ihre schöne Wirthin.

Meinem Manne mußte es im Anfange doch noch schwerer werden, fuhr Therese plaudernd fort, denn zwischen seinem jetzigen und seinem frühern Leben ist ein noch viel größerer Contrast. Ich hatte doch immer die Arbeiten einer Haushaltung, wenn auch nur einer kleinen, geleitet. Er aber hatte nur der Wissenschaft gelebt, um hier dann ganz in dem durchaus materiellen Treiben einer großen Oekonomie aufzugehen!

Freilich, sagte die Gräfin sinnend, das ist noch viel ärger. Wo ist Ihr Mann?

Ich weiß es nicht, Frau Gräfin, soll ich ihn suchen?

Nein, nein, sagte etwas ängstlich die Dame, denn sie wußte nicht, ob ihr Mann es billigen werde, wenn sie hier mit seinem Pachter Thee trinke. Mit der Frau war das etwas Anderes, das ging allein sie selbst an, und sie war, wie gesagt, nicht bewußt hochmüthig, sondern fand wirkliches Gefallen an der jungen Frau und

Ach, ideal ist sie auch nicht, gnädige Gräfin, und wenn meine alte Tante mir nicht so freundlich die schwersten Sorgen abnähme, ich fände selten Zeit, hier in meinem traulichen Zimmer zu sitzen, und müßte mich den ganzen Tag in Küche und Keller, im Kuhstall und in der Milchkammer umhertreiben.

Also dahin kommen Sie doch?

O, Frau Gräfin, viel mehr als ich hier herkomme!

Die Gräfin betrachtete mit einem Blicke des aufrichtigsten Mitleids ihre schöne Wirthin.

Meinem Manne mußte es im Anfange doch noch schwerer werden, fuhr Therese plaudernd fort, denn zwischen seinem jetzigen und seinem frühern Leben ist ein noch viel größerer Contrast. Ich hatte doch immer die Arbeiten einer Haushaltung, wenn auch nur einer kleinen, geleitet. Er aber hatte nur der Wissenschaft gelebt, um hier dann ganz in dem durchaus materiellen Treiben einer großen Oekonomie aufzugehen!

Freilich, sagte die Gräfin sinnend, das ist noch viel ärger. Wo ist Ihr Mann?

Ich weiß es nicht, Frau Gräfin, soll ich ihn suchen?

Nein, nein, sagte etwas ängstlich die Dame, denn sie wußte nicht, ob ihr Mann es billigen werde, wenn sie hier mit seinem Pachter Thee trinke. Mit der Frau war das etwas Anderes, das ging allein sie selbst an, und sie war, wie gesagt, nicht bewußt hochmüthig, sondern fand wirkliches Gefallen an der jungen Frau und

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[0028] Ach, ideal ist sie auch nicht, gnädige Gräfin, und wenn meine alte Tante mir nicht so freundlich die schwersten Sorgen abnähme, ich fände selten Zeit, hier in meinem traulichen Zimmer zu sitzen, und müßte mich den ganzen Tag in Küche und Keller, im Kuhstall und in der Milchkammer umhertreiben. Also dahin kommen Sie doch? O, Frau Gräfin, viel mehr als ich hier herkomme! Die Gräfin betrachtete mit einem Blicke des aufrichtigsten Mitleids ihre schöne Wirthin. Meinem Manne mußte es im Anfange doch noch schwerer werden, fuhr Therese plaudernd fort, denn zwischen seinem jetzigen und seinem frühern Leben ist ein noch viel größerer Contrast. Ich hatte doch immer die Arbeiten einer Haushaltung, wenn auch nur einer kleinen, geleitet. Er aber hatte nur der Wissenschaft gelebt, um hier dann ganz in dem durchaus materiellen Treiben einer großen Oekonomie aufzugehen! Freilich, sagte die Gräfin sinnend, das ist noch viel ärger. Wo ist Ihr Mann? Ich weiß es nicht, Frau Gräfin, soll ich ihn suchen? Nein, nein, sagte etwas ängstlich die Dame, denn sie wußte nicht, ob ihr Mann es billigen werde, wenn sie hier mit seinem Pachter Thee trinke. Mit der Frau war das etwas Anderes, das ging allein sie selbst an, und sie war, wie gesagt, nicht bewußt hochmüthig, sondern fand wirkliches Gefallen an der jungen Frau und

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/28>, abgerufen am 23.11.2024.