Fuhlrott, Carl: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, 1865.Verknöcherung einer oder mehrerer Nähte zwischen den Schä- 5*
Verknöcherung einer oder mehrerer Nähte zwiſchen den Schä- 5*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0071" n="67"/> Verknöcherung einer oder mehrerer Nähte zwiſchen den Schä-<lb/> delknochen. Der menſchliche Schädel ſei von der erſten Le-<lb/> bensperiode an für dieſen mißbildenden Einfluß empfänglich;<lb/> es entſtehe dadurch unmittelbar ein Stillſtand in der Ent-<lb/> wickelung des Gehirns an der Stelle der Naht ſelbſt, und<lb/> im Gegenſatz eine ſtärkere Entwickelung an anderen Punkten,<lb/> wo die Nähte offen ſind und Ausdehnung geſtatten. Da<lb/> nun am Neanderthalſchädel das gleichzeitige Vorhandenſein<lb/> von völlig verwachſenen und anderen ganz offenen Nähten<lb/> unzweifelhaft und zwar in der Art vorliege, daß ſie nicht<lb/> vom Alter, ſondern von einer irregulären Entwickelung oder<lb/> einer frühzeitigen anormalen Verknöcherung herrühre, ſo<lb/> müſſe der Schädel einfach als anormale Bildung angeſehen<lb/> werden, die ihre auffallenden Formverhältniſſe der Synoſto-<lb/> ſis der Schädelbeine verdanke, bevor der Schädel ſeine volle<lb/> Entwickelung erlangt hatte. Auf die große Ausdehnung der<lb/> Stirnhöhlen und die enormen Augenbraunhöcker, die von der<lb/> Unregelmäßigkeit in der Verknöcherung der Nähte nicht affi-<lb/> cirt wurden, müſſe allerdings beſonders geachtet werden;<lb/> man könne dieſelben indeß als individuelle Eigenthümlichkeit<lb/> anſehen, die ſich, wenngleich in geringerem Grade, auch an<lb/> ganz modernen Schädeln nachweiſen laſſe. Auffallend ſei<lb/> es, daß ſo manche Beobachter in dieſen enormen Augenbraun-<lb/> höckern und in dem eingedrückten Vorderhaupte eine Hin-<lb/> neigung des Schädels zum Affentypus gefunden hätten, da<lb/> doch eine reelle Aehnlichkeit zwiſchen dem ſoliden Knochen-<lb/> kamme des Orang-Utan und den hohlen Augenbraunhöckern<lb/> keineswegs vorliege. Für das wahrſcheinlich ſehr hohe Alter<lb/> der Neanderthaler Gebeine könne in der eigenthümlichen<lb/> Form des Schädels kein Argument gefunden werden, da<lb/> ſynoſtotiſche Schädel von ähnlicher, wenn auch graduell ver-<lb/> ſchiedener und etwas modificirter Form uns auch unter mo-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [67/0071]
Verknöcherung einer oder mehrerer Nähte zwiſchen den Schä-
delknochen. Der menſchliche Schädel ſei von der erſten Le-
bensperiode an für dieſen mißbildenden Einfluß empfänglich;
es entſtehe dadurch unmittelbar ein Stillſtand in der Ent-
wickelung des Gehirns an der Stelle der Naht ſelbſt, und
im Gegenſatz eine ſtärkere Entwickelung an anderen Punkten,
wo die Nähte offen ſind und Ausdehnung geſtatten. Da
nun am Neanderthalſchädel das gleichzeitige Vorhandenſein
von völlig verwachſenen und anderen ganz offenen Nähten
unzweifelhaft und zwar in der Art vorliege, daß ſie nicht
vom Alter, ſondern von einer irregulären Entwickelung oder
einer frühzeitigen anormalen Verknöcherung herrühre, ſo
müſſe der Schädel einfach als anormale Bildung angeſehen
werden, die ihre auffallenden Formverhältniſſe der Synoſto-
ſis der Schädelbeine verdanke, bevor der Schädel ſeine volle
Entwickelung erlangt hatte. Auf die große Ausdehnung der
Stirnhöhlen und die enormen Augenbraunhöcker, die von der
Unregelmäßigkeit in der Verknöcherung der Nähte nicht affi-
cirt wurden, müſſe allerdings beſonders geachtet werden;
man könne dieſelben indeß als individuelle Eigenthümlichkeit
anſehen, die ſich, wenngleich in geringerem Grade, auch an
ganz modernen Schädeln nachweiſen laſſe. Auffallend ſei
es, daß ſo manche Beobachter in dieſen enormen Augenbraun-
höckern und in dem eingedrückten Vorderhaupte eine Hin-
neigung des Schädels zum Affentypus gefunden hätten, da
doch eine reelle Aehnlichkeit zwiſchen dem ſoliden Knochen-
kamme des Orang-Utan und den hohlen Augenbraunhöckern
keineswegs vorliege. Für das wahrſcheinlich ſehr hohe Alter
der Neanderthaler Gebeine könne in der eigenthümlichen
Form des Schädels kein Argument gefunden werden, da
ſynoſtotiſche Schädel von ähnlicher, wenn auch graduell ver-
ſchiedener und etwas modificirter Form uns auch unter mo-
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