Das neue Jahr ist hier mit viel schönen Hoffnungen und tausend guten Wünschen begon- nen worden. Jch hatte am ersten Tage dessel- ben, eine lange Unterredung mit William, welche unsern unsichern Standpunkt gegen einander, wieder einiger Maßen festgestellt hat. Er schickte mir am Morgen, nach der Sitte meines Vater- landes, einen großen Korb voll der auserlesen- sten Treibhausfrüchte und Blumen; ich hatte ihm dagegen, so wie der übrigen Familie, einige künstliche Arbeiten verfertigt, welche hier noch neu waren, und viel Bewunderung erregten. Sehr natürlich hatte er das vorzüglichste er- halten. Er kam, mir mit vieler Freude zu dan- ken. Es ist für meine Verbindlichkeit und für meinen guten Willen sehr wenig, sagte ich ab- lehnend, ich wollte, ich könnte mehr für sie thun. Sie können nicht? fragte er. Ach, sie könnten unendlich viel gewähren, wenn ich nur wünschen dürfte. Hören sie, William, sagte ich, sie haben sich mir zum Bruder erboten, so lassen sie uns auch geschwisterliches Vertrauen bewahren. Geschwisterliches? sagte er kleinlaut. Ja, fuhr ich fort, als Schwester will ich jetzt
Das neue Jahr iſt hier mit viel ſchoͤnen Hoffnungen und tauſend guten Wuͤnſchen begon- nen worden. Jch hatte am erſten Tage deſſel- ben, eine lange Unterredung mit William, welche unſern unſichern Standpunkt gegen einander, wieder einiger Maßen feſtgeſtellt hat. Er ſchickte mir am Morgen, nach der Sitte meines Vater- landes, einen großen Korb voll der auserleſen- ſten Treibhausfruͤchte und Blumen; ich hatte ihm dagegen, ſo wie der uͤbrigen Familie, einige kuͤnſtliche Arbeiten verfertigt, welche hier noch neu waren, und viel Bewunderung erregten. Sehr natuͤrlich hatte er das vorzuͤglichſte er- halten. Er kam, mir mit vieler Freude zu dan- ken. Es iſt fuͤr meine Verbindlichkeit und fuͤr meinen guten Willen ſehr wenig, ſagte ich ab- lehnend, ich wollte, ich koͤnnte mehr fuͤr ſie thun. Sie koͤnnen nicht? fragte er. Ach, ſie koͤnnten unendlich viel gewaͤhren, wenn ich nur wuͤnſchen duͤrfte. Hoͤren ſie, William, ſagte ich, ſie haben ſich mir zum Bruder erboten, ſo laſſen ſie uns auch geſchwiſterliches Vertrauen bewahren. Geſchwiſterliches? ſagte er kleinlaut. Ja, fuhr ich fort, als Schweſter will ich jetzt
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Das neue Jahr iſt hier mit viel ſchoͤnen
Hoffnungen und tauſend guten Wuͤnſchen begon-
nen worden. Jch hatte am erſten Tage deſſel-
ben, eine lange Unterredung mit William, welche
unſern unſichern Standpunkt gegen einander,
wieder einiger Maßen feſtgeſtellt hat. Er ſchickte
mir am Morgen, nach der Sitte meines Vater-
landes, einen großen Korb voll der auserleſen-
ſten Treibhausfruͤchte und Blumen; ich hatte
ihm dagegen, ſo wie der uͤbrigen Familie, einige
kuͤnſtliche Arbeiten verfertigt, welche hier noch
neu waren, und viel Bewunderung erregten.
Sehr natuͤrlich hatte er das vorzuͤglichſte er-
halten. Er kam, mir mit vieler Freude zu dan-
ken. Es iſt fuͤr meine Verbindlichkeit und fuͤr
meinen guten Willen ſehr wenig, ſagte ich ab-
lehnend, ich wollte, ich koͤnnte mehr fuͤr ſie
thun. Sie koͤnnen nicht? fragte er. Ach, ſie
koͤnnten unendlich viel gewaͤhren, wenn ich nur
wuͤnſchen duͤrfte. Hoͤren ſie, William, ſagte
ich, ſie haben ſich mir zum Bruder erboten, ſo
laſſen ſie uns auch geſchwiſterliches Vertrauen
bewahren. Geſchwiſterliches? ſagte er kleinlaut.
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 2. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia02_1820/21>, abgerufen am 27.07.2024.
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