Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nun einem Menschen grollen, da ich weiß, daß Jedem aus der Unvollkommenheit seiner eigenen Thaten sein Verhängniß folgt, wie mir selbst? Ob sich dieses dann mehr innerlich oder äußerlich vollzieht, kann ja doch nur dem blöden Auge gedankenloser Kurzsichtigkeit einen Unterschied gewähren. Theobald lehnte sich von Mitleid und Bewunderung ergriffen schweigend an die Mauer zurück. Was konnte er einem Manne erwidern, der, schon auf der Schwelle der Ewigkeit stehend, das Leben mit dieser Ruhe, mit dieser Klarheit und Ergebung maß? Wie gering mußten da die eigenen Bekümmernisse erscheinen, und wie verhängnißvoll trat doch auch wieder das scheinbar Geringe und Zufällige in die festgeschlossene Kette des Schicksals ein! Ihr habt Recht, sagte er endlich leise, das Verhängniß entspringt dem Menschen aus der Unvollkommenheit seiner eigenen Handlungen. Gewiß, gewiß, erwiderte der Gefangene stehen bleibend, nachdem er eine Weile ebenfalls schweigend den engen Raum auf- und niedergeschritten, und mir ist auch im Leben nichts Eitleres erschienen, als jene eigensüchtige Ueberhebung, mit der ein Mensch glaubt, dem andern Verzeihung oder Gnade gewähren zu können. Was bedeuten diese Worte in unserm stammelnden Munde, während sich die eigene Schuld wie der Schatten der ewigen Gerechtigkeit über unserm Haupte erhebt? Wer Verzeihung glaubt suchen zu sollen, sieht oder ahnt diesen Schatten und meint ihm entfliehen nun einem Menschen grollen, da ich weiß, daß Jedem aus der Unvollkommenheit seiner eigenen Thaten sein Verhängniß folgt, wie mir selbst? Ob sich dieses dann mehr innerlich oder äußerlich vollzieht, kann ja doch nur dem blöden Auge gedankenloser Kurzsichtigkeit einen Unterschied gewähren. Theobald lehnte sich von Mitleid und Bewunderung ergriffen schweigend an die Mauer zurück. Was konnte er einem Manne erwidern, der, schon auf der Schwelle der Ewigkeit stehend, das Leben mit dieser Ruhe, mit dieser Klarheit und Ergebung maß? Wie gering mußten da die eigenen Bekümmernisse erscheinen, und wie verhängnißvoll trat doch auch wieder das scheinbar Geringe und Zufällige in die festgeschlossene Kette des Schicksals ein! Ihr habt Recht, sagte er endlich leise, das Verhängniß entspringt dem Menschen aus der Unvollkommenheit seiner eigenen Handlungen. Gewiß, gewiß, erwiderte der Gefangene stehen bleibend, nachdem er eine Weile ebenfalls schweigend den engen Raum auf- und niedergeschritten, und mir ist auch im Leben nichts Eitleres erschienen, als jene eigensüchtige Ueberhebung, mit der ein Mensch glaubt, dem andern Verzeihung oder Gnade gewähren zu können. Was bedeuten diese Worte in unserm stammelnden Munde, während sich die eigene Schuld wie der Schatten der ewigen Gerechtigkeit über unserm Haupte erhebt? Wer Verzeihung glaubt suchen zu sollen, sieht oder ahnt diesen Schatten und meint ihm entfliehen <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0096"/> nun einem Menschen grollen, da ich weiß, daß Jedem aus der Unvollkommenheit seiner eigenen Thaten sein Verhängniß folgt, wie mir selbst? Ob sich dieses dann mehr innerlich oder äußerlich vollzieht, kann ja doch nur dem blöden Auge gedankenloser Kurzsichtigkeit einen Unterschied gewähren.</p><lb/> <p>Theobald lehnte sich von Mitleid und Bewunderung ergriffen schweigend an die Mauer zurück. Was konnte er einem Manne erwidern, der, schon auf der Schwelle der Ewigkeit stehend, das Leben mit dieser Ruhe, mit dieser Klarheit und Ergebung maß? Wie gering mußten da die eigenen Bekümmernisse erscheinen, und wie verhängnißvoll trat doch auch wieder das scheinbar Geringe und Zufällige in die festgeschlossene Kette des Schicksals ein! Ihr habt Recht, sagte er endlich leise, das Verhängniß entspringt dem Menschen aus der Unvollkommenheit seiner eigenen Handlungen.</p><lb/> <p>Gewiß, gewiß, erwiderte der Gefangene stehen bleibend, nachdem er eine Weile ebenfalls schweigend den engen Raum auf- und niedergeschritten, und mir ist auch im Leben nichts Eitleres erschienen, als jene eigensüchtige Ueberhebung, mit der ein Mensch glaubt, dem andern Verzeihung oder Gnade gewähren zu können. Was bedeuten diese Worte in unserm stammelnden Munde, während sich die eigene Schuld wie der Schatten der ewigen Gerechtigkeit über unserm Haupte erhebt? Wer Verzeihung glaubt suchen zu sollen, sieht oder ahnt diesen Schatten und meint ihm entfliehen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
nun einem Menschen grollen, da ich weiß, daß Jedem aus der Unvollkommenheit seiner eigenen Thaten sein Verhängniß folgt, wie mir selbst? Ob sich dieses dann mehr innerlich oder äußerlich vollzieht, kann ja doch nur dem blöden Auge gedankenloser Kurzsichtigkeit einen Unterschied gewähren.
Theobald lehnte sich von Mitleid und Bewunderung ergriffen schweigend an die Mauer zurück. Was konnte er einem Manne erwidern, der, schon auf der Schwelle der Ewigkeit stehend, das Leben mit dieser Ruhe, mit dieser Klarheit und Ergebung maß? Wie gering mußten da die eigenen Bekümmernisse erscheinen, und wie verhängnißvoll trat doch auch wieder das scheinbar Geringe und Zufällige in die festgeschlossene Kette des Schicksals ein! Ihr habt Recht, sagte er endlich leise, das Verhängniß entspringt dem Menschen aus der Unvollkommenheit seiner eigenen Handlungen.
Gewiß, gewiß, erwiderte der Gefangene stehen bleibend, nachdem er eine Weile ebenfalls schweigend den engen Raum auf- und niedergeschritten, und mir ist auch im Leben nichts Eitleres erschienen, als jene eigensüchtige Ueberhebung, mit der ein Mensch glaubt, dem andern Verzeihung oder Gnade gewähren zu können. Was bedeuten diese Worte in unserm stammelnden Munde, während sich die eigene Schuld wie der Schatten der ewigen Gerechtigkeit über unserm Haupte erhebt? Wer Verzeihung glaubt suchen zu sollen, sieht oder ahnt diesen Schatten und meint ihm entfliehen
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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