Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Noth eines alten Mannes zu benützen; gewiß nicht. Nein, es war vielmehr das Mitleid mit seiner hülflosen Verzweiflung, es war deine unnennbare, hoffnungslose Liebe zu Julien, die dich trieb, und nichts Anderes. -- Aber, fuhr er nach einer Weile fort, bist du auch wahr gegen dich selbst? Du wußtest ja, daß ihre Liebe dir voll und ganz angehört; sie hat dir dieselbe aus freien Stücken entgegengebracht und mit dem starken Muthe des Entsagens eingestanden, während du ... was, Theobald? ... während du, um ihres bloß äußerlichen Besitzes willen, einen Mann, der dir in deinem ganzen Leben kein Leids gethan, der mit Muth und Entschlossenheit für seine Meinungen eingestanden, dem Henker überliefert hast! ... Wird sich dieser Gedanke nicht stets wie ein gespenstischer Schatten zwischen dich und dein Glück, zwischen deine Liebe und Julie stellen? ... Ah, Theobald, als du in jener Unglücksstunde deinen Freund und Wohlthäter erstochen, konntest du den Allwissenden zum Zeugen anrufen, daß keine Absicht, daß nur ein unglückseliger Zufall deine Hand geführt, und doch legte sich diese That wie ein Fluch auf dein Leben, um dich aus den Bahnen, die dir so freundlich geebnet waren, gleich einem wesenlosen Schemen hinwegzuschleudern. Und jetzt? ... Von unendlicher Bangigkeit erfüllt, mußte er sich auf sein Bett werfen, als könnte der ruhende Leib der Seele eine Stütze bieten in dem Kampfe gegen die dunkeln Ahnungen, die sie bestürmten; aber es mochte Noth eines alten Mannes zu benützen; gewiß nicht. Nein, es war vielmehr das Mitleid mit seiner hülflosen Verzweiflung, es war deine unnennbare, hoffnungslose Liebe zu Julien, die dich trieb, und nichts Anderes. — Aber, fuhr er nach einer Weile fort, bist du auch wahr gegen dich selbst? Du wußtest ja, daß ihre Liebe dir voll und ganz angehört; sie hat dir dieselbe aus freien Stücken entgegengebracht und mit dem starken Muthe des Entsagens eingestanden, während du … was, Theobald? … während du, um ihres bloß äußerlichen Besitzes willen, einen Mann, der dir in deinem ganzen Leben kein Leids gethan, der mit Muth und Entschlossenheit für seine Meinungen eingestanden, dem Henker überliefert hast! … Wird sich dieser Gedanke nicht stets wie ein gespenstischer Schatten zwischen dich und dein Glück, zwischen deine Liebe und Julie stellen? … Ah, Theobald, als du in jener Unglücksstunde deinen Freund und Wohlthäter erstochen, konntest du den Allwissenden zum Zeugen anrufen, daß keine Absicht, daß nur ein unglückseliger Zufall deine Hand geführt, und doch legte sich diese That wie ein Fluch auf dein Leben, um dich aus den Bahnen, die dir so freundlich geebnet waren, gleich einem wesenlosen Schemen hinwegzuschleudern. Und jetzt? … Von unendlicher Bangigkeit erfüllt, mußte er sich auf sein Bett werfen, als könnte der ruhende Leib der Seele eine Stütze bieten in dem Kampfe gegen die dunkeln Ahnungen, die sie bestürmten; aber es mochte <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0076"/> Noth eines alten Mannes zu benützen; gewiß nicht. Nein, es war vielmehr das Mitleid mit seiner hülflosen Verzweiflung, es war deine unnennbare, hoffnungslose Liebe zu Julien, die dich trieb, und nichts Anderes. — Aber, fuhr er nach einer Weile fort, bist du auch wahr gegen dich selbst? Du wußtest ja, daß ihre Liebe dir voll und ganz angehört; sie hat dir dieselbe aus freien Stücken entgegengebracht und mit dem starken Muthe des Entsagens eingestanden, während du … was, Theobald? … während du, um ihres bloß äußerlichen Besitzes willen, einen Mann, der dir in deinem ganzen Leben kein Leids gethan, der mit Muth und Entschlossenheit für seine Meinungen eingestanden, dem Henker überliefert hast! … Wird sich dieser Gedanke nicht stets wie ein gespenstischer Schatten zwischen dich und dein Glück, zwischen deine Liebe und Julie stellen? … Ah, Theobald, als du in jener Unglücksstunde deinen Freund und Wohlthäter erstochen, konntest du den Allwissenden zum Zeugen anrufen, daß keine Absicht, daß nur ein unglückseliger Zufall deine Hand geführt, und doch legte sich diese That wie ein Fluch auf dein Leben, um dich aus den Bahnen, die dir so freundlich geebnet waren, gleich einem wesenlosen Schemen hinwegzuschleudern. Und jetzt? …</p><lb/> <p>Von unendlicher Bangigkeit erfüllt, mußte er sich auf sein Bett werfen, als könnte der ruhende Leib der Seele eine Stütze bieten in dem Kampfe gegen die dunkeln Ahnungen, die sie bestürmten; aber es mochte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0076]
Noth eines alten Mannes zu benützen; gewiß nicht. Nein, es war vielmehr das Mitleid mit seiner hülflosen Verzweiflung, es war deine unnennbare, hoffnungslose Liebe zu Julien, die dich trieb, und nichts Anderes. — Aber, fuhr er nach einer Weile fort, bist du auch wahr gegen dich selbst? Du wußtest ja, daß ihre Liebe dir voll und ganz angehört; sie hat dir dieselbe aus freien Stücken entgegengebracht und mit dem starken Muthe des Entsagens eingestanden, während du … was, Theobald? … während du, um ihres bloß äußerlichen Besitzes willen, einen Mann, der dir in deinem ganzen Leben kein Leids gethan, der mit Muth und Entschlossenheit für seine Meinungen eingestanden, dem Henker überliefert hast! … Wird sich dieser Gedanke nicht stets wie ein gespenstischer Schatten zwischen dich und dein Glück, zwischen deine Liebe und Julie stellen? … Ah, Theobald, als du in jener Unglücksstunde deinen Freund und Wohlthäter erstochen, konntest du den Allwissenden zum Zeugen anrufen, daß keine Absicht, daß nur ein unglückseliger Zufall deine Hand geführt, und doch legte sich diese That wie ein Fluch auf dein Leben, um dich aus den Bahnen, die dir so freundlich geebnet waren, gleich einem wesenlosen Schemen hinwegzuschleudern. Und jetzt? …
Von unendlicher Bangigkeit erfüllt, mußte er sich auf sein Bett werfen, als könnte der ruhende Leib der Seele eine Stütze bieten in dem Kampfe gegen die dunkeln Ahnungen, die sie bestürmten; aber es mochte
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/76>, abgerufen am 27.07.2024. |