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Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Schifflein vorbei, aus dem frohes Jauchzen und Jodeln erklang; es waren Leute aus den Bergen, die wohl in die Fremde zogen, um dort das Brod zu suchen, das ihnen der rauhe Boden ihrer Heimath nicht gewähren konnte. Das Fräulein blickte und horchte ihnen nach, bis das Schifflein in der Flußwindung verschwunden war. Oh ihr Glücklichen, flüsterte sie dann leise. Könnte ich mit euch ziehen, in die weite, fremde Welt hinaus!

II.

Es wäre nicht leicht zu sagen, ob der alte Oberst von seiner Umgebung mehr geachtet als gefürchtet wurde; er gab Denjenigen, die von ihm abhängig waren, reichliche Ursache zu Beidem, und gewiß war es, daß selbst die kindliche Liebe seiner Tochter sogar in ihren spätern Jahren nicht ohne einen Beisatz jenes Gefühles geblieben war, das mehr einem unbedingten Gehorsam, als einer unbefangenen warmen Anhänglichkeit zur Wurzel diente. Dagegen genoß er bei den Bessern seiner Standesgenossen um seiner streng aristokratischen Gesinnungen, seiner geraden Offenheit und unerschütterlichen Rechtschaffenheit willen einer hohen Achtung; selbst bei der niedern Burgerschaft stand er vor manchem Einflußreichern seines Standes in Ansehen, obwohl er nie weder ein höchstes bürgerliches Amt bekleidet, noch auch trotz seiner Abstammung aus einem der ältesten Geschlechter nur nach einem solchen getrachtet hatte. In

Schifflein vorbei, aus dem frohes Jauchzen und Jodeln erklang; es waren Leute aus den Bergen, die wohl in die Fremde zogen, um dort das Brod zu suchen, das ihnen der rauhe Boden ihrer Heimath nicht gewähren konnte. Das Fräulein blickte und horchte ihnen nach, bis das Schifflein in der Flußwindung verschwunden war. Oh ihr Glücklichen, flüsterte sie dann leise. Könnte ich mit euch ziehen, in die weite, fremde Welt hinaus!

II.

Es wäre nicht leicht zu sagen, ob der alte Oberst von seiner Umgebung mehr geachtet als gefürchtet wurde; er gab Denjenigen, die von ihm abhängig waren, reichliche Ursache zu Beidem, und gewiß war es, daß selbst die kindliche Liebe seiner Tochter sogar in ihren spätern Jahren nicht ohne einen Beisatz jenes Gefühles geblieben war, das mehr einem unbedingten Gehorsam, als einer unbefangenen warmen Anhänglichkeit zur Wurzel diente. Dagegen genoß er bei den Bessern seiner Standesgenossen um seiner streng aristokratischen Gesinnungen, seiner geraden Offenheit und unerschütterlichen Rechtschaffenheit willen einer hohen Achtung; selbst bei der niedern Burgerschaft stand er vor manchem Einflußreichern seines Standes in Ansehen, obwohl er nie weder ein höchstes bürgerliches Amt bekleidet, noch auch trotz seiner Abstammung aus einem der ältesten Geschlechter nur nach einem solchen getrachtet hatte. In

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[0022] Schifflein vorbei, aus dem frohes Jauchzen und Jodeln erklang; es waren Leute aus den Bergen, die wohl in die Fremde zogen, um dort das Brod zu suchen, das ihnen der rauhe Boden ihrer Heimath nicht gewähren konnte. Das Fräulein blickte und horchte ihnen nach, bis das Schifflein in der Flußwindung verschwunden war. Oh ihr Glücklichen, flüsterte sie dann leise. Könnte ich mit euch ziehen, in die weite, fremde Welt hinaus! II. Es wäre nicht leicht zu sagen, ob der alte Oberst von seiner Umgebung mehr geachtet als gefürchtet wurde; er gab Denjenigen, die von ihm abhängig waren, reichliche Ursache zu Beidem, und gewiß war es, daß selbst die kindliche Liebe seiner Tochter sogar in ihren spätern Jahren nicht ohne einen Beisatz jenes Gefühles geblieben war, das mehr einem unbedingten Gehorsam, als einer unbefangenen warmen Anhänglichkeit zur Wurzel diente. Dagegen genoß er bei den Bessern seiner Standesgenossen um seiner streng aristokratischen Gesinnungen, seiner geraden Offenheit und unerschütterlichen Rechtschaffenheit willen einer hohen Achtung; selbst bei der niedern Burgerschaft stand er vor manchem Einflußreichern seines Standes in Ansehen, obwohl er nie weder ein höchstes bürgerliches Amt bekleidet, noch auch trotz seiner Abstammung aus einem der ältesten Geschlechter nur nach einem solchen getrachtet hatte. In

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:04:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/22>, abgerufen am 24.11.2024.