Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nommenen Rolle nun auch wohl noch in die Gemächer der vornehmen Frauen einschleichen kann? ... Ja, der hat eine feine Nase; aber bedenklich ist's in einer Zeit, wo der Kriegsteufel an allen Enden spuken will und es selbst in unsern eigenen Mauern nicht mehr sauber aussieht. Wir werden noch etwas erleben können! Das nun waren die Vorgänge, welche die Gemüther der Frühbesucher des Bärengrabens an jenem Morgen in so ungewöhnliche Aufregung versetzten und ihre Blicke mit gespannter Neugier an Thür und Fenster des ehrsamen Meisters Hänni bannten. Aber alles Schauen und Spähen blieb vergeblich, von dem geheimnißvollen Gesellen war nichts zu entdecken, und die unbefriedigte Augenlust wußte sich auf keine andere Weise zu entschädigen, als daß die verschiedenen Gerüchte und Vermuthungen über den Unbekannten nun immer eifriger und lauter zur Sprache kamen. Diesem bunten Gerede hatte schon seit einiger Zeit ein alter, aber rüstig und stattlich aussehender Herr zugehört, der an einem Theile des Grabengeländers auf- und niederschritt, ohne sich in die Unterhaltung der ehrsamen Burger einzumischen. Manchmal jedoch, wenn er auf seinem gemessenen Gange der Gruppe näher kam und die weit ausfliegenden Vermuthungen und Pfiffigkeiten hörte, murmelte er etwas unter dem weißen Schnurrbarte hervor, das wie "alberne Tröpfe" oder "dummes Pack" und dergleichen klang. Allmählich jedoch wurden seine Schritte unmerklich langsamer, und nommenen Rolle nun auch wohl noch in die Gemächer der vornehmen Frauen einschleichen kann? … Ja, der hat eine feine Nase; aber bedenklich ist's in einer Zeit, wo der Kriegsteufel an allen Enden spuken will und es selbst in unsern eigenen Mauern nicht mehr sauber aussieht. Wir werden noch etwas erleben können! Das nun waren die Vorgänge, welche die Gemüther der Frühbesucher des Bärengrabens an jenem Morgen in so ungewöhnliche Aufregung versetzten und ihre Blicke mit gespannter Neugier an Thür und Fenster des ehrsamen Meisters Hänni bannten. Aber alles Schauen und Spähen blieb vergeblich, von dem geheimnißvollen Gesellen war nichts zu entdecken, und die unbefriedigte Augenlust wußte sich auf keine andere Weise zu entschädigen, als daß die verschiedenen Gerüchte und Vermuthungen über den Unbekannten nun immer eifriger und lauter zur Sprache kamen. Diesem bunten Gerede hatte schon seit einiger Zeit ein alter, aber rüstig und stattlich aussehender Herr zugehört, der an einem Theile des Grabengeländers auf- und niederschritt, ohne sich in die Unterhaltung der ehrsamen Burger einzumischen. Manchmal jedoch, wenn er auf seinem gemessenen Gange der Gruppe näher kam und die weit ausfliegenden Vermuthungen und Pfiffigkeiten hörte, murmelte er etwas unter dem weißen Schnurrbarte hervor, das wie „alberne Tröpfe“ oder „dummes Pack“ und dergleichen klang. Allmählich jedoch wurden seine Schritte unmerklich langsamer, und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0016"/> nommenen Rolle nun auch wohl noch in die Gemächer der vornehmen Frauen einschleichen kann? … Ja, der hat eine feine Nase; aber bedenklich ist's in einer Zeit, wo der Kriegsteufel an allen Enden spuken will und es selbst in unsern eigenen Mauern nicht mehr sauber aussieht. Wir werden noch etwas erleben können!</p><lb/> <p>Das nun waren die Vorgänge, welche die Gemüther der Frühbesucher des Bärengrabens an jenem Morgen in so ungewöhnliche Aufregung versetzten und ihre Blicke mit gespannter Neugier an Thür und Fenster des ehrsamen Meisters Hänni bannten. Aber alles Schauen und Spähen blieb vergeblich, von dem geheimnißvollen Gesellen war nichts zu entdecken, und die unbefriedigte Augenlust wußte sich auf keine andere Weise zu entschädigen, als daß die verschiedenen Gerüchte und Vermuthungen über den Unbekannten nun immer eifriger und lauter zur Sprache kamen.</p><lb/> <p>Diesem bunten Gerede hatte schon seit einiger Zeit ein alter, aber rüstig und stattlich aussehender Herr zugehört, der an einem Theile des Grabengeländers auf- und niederschritt, ohne sich in die Unterhaltung der ehrsamen Burger einzumischen. Manchmal jedoch, wenn er auf seinem gemessenen Gange der Gruppe näher kam und die weit ausfliegenden Vermuthungen und Pfiffigkeiten hörte, murmelte er etwas unter dem weißen Schnurrbarte hervor, das wie „alberne Tröpfe“ oder „dummes Pack“ und dergleichen klang. Allmählich jedoch wurden seine Schritte unmerklich langsamer, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
nommenen Rolle nun auch wohl noch in die Gemächer der vornehmen Frauen einschleichen kann? … Ja, der hat eine feine Nase; aber bedenklich ist's in einer Zeit, wo der Kriegsteufel an allen Enden spuken will und es selbst in unsern eigenen Mauern nicht mehr sauber aussieht. Wir werden noch etwas erleben können!
Das nun waren die Vorgänge, welche die Gemüther der Frühbesucher des Bärengrabens an jenem Morgen in so ungewöhnliche Aufregung versetzten und ihre Blicke mit gespannter Neugier an Thür und Fenster des ehrsamen Meisters Hänni bannten. Aber alles Schauen und Spähen blieb vergeblich, von dem geheimnißvollen Gesellen war nichts zu entdecken, und die unbefriedigte Augenlust wußte sich auf keine andere Weise zu entschädigen, als daß die verschiedenen Gerüchte und Vermuthungen über den Unbekannten nun immer eifriger und lauter zur Sprache kamen.
Diesem bunten Gerede hatte schon seit einiger Zeit ein alter, aber rüstig und stattlich aussehender Herr zugehört, der an einem Theile des Grabengeländers auf- und niederschritt, ohne sich in die Unterhaltung der ehrsamen Burger einzumischen. Manchmal jedoch, wenn er auf seinem gemessenen Gange der Gruppe näher kam und die weit ausfliegenden Vermuthungen und Pfiffigkeiten hörte, murmelte er etwas unter dem weißen Schnurrbarte hervor, das wie „alberne Tröpfe“ oder „dummes Pack“ und dergleichen klang. Allmählich jedoch wurden seine Schritte unmerklich langsamer, und
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/16>, abgerufen am 05.07.2024. |