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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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Da ich merke, dass die Schutzformel dazu bestimmt ist, sie vor der Wiederkehr ähnlicher Erlebnisse zu bewahren, benehme ich ihr diese Furcht durch Suggestion, und ich habe wirklich die Formel nicht wieder von ihr gehört.

Abends finde ich sie sehr heiter. Sie erzählt lachend, dass sie im Garten über einen kleinen Hund, der sie angebellt, erschrocken ist. Doch ist das Gesicht ein wenig verzogen und eine innere Erregung vorhanden, die erst schwindet, nachdem sie mich befragt, ob ich eine Bemerkung von ihr übel genommen, die sie während der Frühmassage gemacht hatte, und ich dies verneint. Die Periode ist heute nach kaum 14tägiger Pause wieder eingetreten. Ich verspreche ihr Regelung durch hypnotische Suggestion und bestimme in der Hypnose ein Intervall von 28 Tagen.1

In der Hypnose frage ich ferner, ob sie sich erinnere, was sie mir zuletzt erzählt hat, und habe dabei eine Aufgabe im Sinne, die uns von gestern abends übrig geblieben ist. Sie beginnt aber correcter Weise mit dem "Rühren Sie mich nicht an" der Vormittagshypnose. Ich führe sie also auf das gestrige Thema zurück. Ich hatte gefragt: Woher das Stottern gekommen sei, und die Antwort bekommen: Ich weiss es nicht.2 Darum hatte ich ihr aufgetragen, sich bis zur heutigen Hypnose daran zu erinnern. Heute antwortet sie also ohne weiteres Nachdenken, aber in grosser Erregung und mit spastisch erschwerter Sprache: Wie einmal die Pferde mit dem Wagen, in dem die Kinder sassen, durchgegangen sind, und wie ein andermal ich mit den Kindern während eines Gewitters durch den Wald fuhr, und der Blitz gerade in einen Baum vor den Pferden einschlug, und die Pferde scheuten und ich mir dachte: Jetzt musst du ganz stille bleiben, sonst erschreckst du die Pferde noch mehr durch dein Schreien, und der Kutscher kann sie gar nicht zurückhalten: von da an ist es aufgetreten. Diese Erzählung hat sie ungemein erregt; ich erfahre noch von ihr, dass das Stottern gleich nach dem ersten der beiden Anlässe aufgetreten, aber nach kurzer Zeit verschwunden sei, um vom zweiten ähnlichen Anlass an stetig zu bleiben. Ich lösche die plastische Erinnerung an

1 welches auch zutraf.
2 Die Antwort: "Ich weiss es nicht," mochte richtig sein, konnte aber ebensowohl die Unlust bedeuten, von den Gründen zu reden. Ich habe später bei anderen Kranken die Erfahrung gemacht, dass sie sich auch in der Hypnose um so schwerer an etwas besannen, je mehr Anstrengung sie dazu verwendet hatten, das betreffende Ereigniss aus ihrem Bewusstsein zu drängen.

Da ich merke, dass die Schutzformel dazu bestimmt ist, sie vor der Wiederkehr ähnlicher Erlebnisse zu bewahren, benehme ich ihr diese Furcht durch Suggestion, und ich habe wirklich die Formel nicht wieder von ihr gehört.

Abends finde ich sie sehr heiter. Sie erzählt lachend, dass sie im Garten über einen kleinen Hund, der sie angebellt, erschrocken ist. Doch ist das Gesicht ein wenig verzogen und eine innere Erregung vorhanden, die erst schwindet, nachdem sie mich befragt, ob ich eine Bemerkung von ihr übel genommen, die sie während der Frühmassage gemacht hatte, und ich dies verneint. Die Periode ist heute nach kaum 14tägiger Pause wieder eingetreten. Ich verspreche ihr Regelung durch hypnotische Suggestion und bestimme in der Hypnose ein Intervall von 28 Tagen.1

In der Hypnose frage ich ferner, ob sie sich erinnere, was sie mir zuletzt erzählt hat, und habe dabei eine Aufgabe im Sinne, die uns von gestern abends übrig geblieben ist. Sie beginnt aber correcter Weise mit dem „Rühren Sie mich nicht an“ der Vormittagshypnose. Ich führe sie also auf das gestrige Thema zurück. Ich hatte gefragt: Woher das Stottern gekommen sei, und die Antwort bekommen: Ich weiss es nicht.2 Darum hatte ich ihr aufgetragen, sich bis zur heutigen Hypnose daran zu erinnern. Heute antwortet sie also ohne weiteres Nachdenken, aber in grosser Erregung und mit spastisch erschwerter Sprache: Wie einmal die Pferde mit dem Wagen, in dem die Kinder sassen, durchgegangen sind, und wie ein andermal ich mit den Kindern während eines Gewitters durch den Wald fuhr, und der Blitz gerade in einen Baum vor den Pferden einschlug, und die Pferde scheuten und ich mir dachte: Jetzt musst du ganz stille bleiben, sonst erschreckst du die Pferde noch mehr durch dein Schreien, und der Kutscher kann sie gar nicht zurückhalten: von da an ist es aufgetreten. Diese Erzählung hat sie ungemein erregt; ich erfahre noch von ihr, dass das Stottern gleich nach dem ersten der beiden Anlässe aufgetreten, aber nach kurzer Zeit verschwunden sei, um vom zweiten ähnlichen Anlass an stetig zu bleiben. Ich lösche die plastische Erinnerung an

1 welches auch zutraf.
2 Die Antwort: „Ich weiss es nicht,“ mochte richtig sein, konnte aber ebensowohl die Unlust bedeuten, von den Gründen zu reden. Ich habe später bei anderen Kranken die Erfahrung gemacht, dass sie sich auch in der Hypnose um so schwerer an etwas besannen, je mehr Anstrengung sie dazu verwendet hatten, das betreffende Ereigniss aus ihrem Bewusstsein zu drängen.
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[46/0052] Da ich merke, dass die Schutzformel dazu bestimmt ist, sie vor der Wiederkehr ähnlicher Erlebnisse zu bewahren, benehme ich ihr diese Furcht durch Suggestion, und ich habe wirklich die Formel nicht wieder von ihr gehört. Abends finde ich sie sehr heiter. Sie erzählt lachend, dass sie im Garten über einen kleinen Hund, der sie angebellt, erschrocken ist. Doch ist das Gesicht ein wenig verzogen und eine innere Erregung vorhanden, die erst schwindet, nachdem sie mich befragt, ob ich eine Bemerkung von ihr übel genommen, die sie während der Frühmassage gemacht hatte, und ich dies verneint. Die Periode ist heute nach kaum 14tägiger Pause wieder eingetreten. Ich verspreche ihr Regelung durch hypnotische Suggestion und bestimme in der Hypnose ein Intervall von 28 Tagen. 1 In der Hypnose frage ich ferner, ob sie sich erinnere, was sie mir zuletzt erzählt hat, und habe dabei eine Aufgabe im Sinne, die uns von gestern abends übrig geblieben ist. Sie beginnt aber correcter Weise mit dem „Rühren Sie mich nicht an“ der Vormittagshypnose. Ich führe sie also auf das gestrige Thema zurück. Ich hatte gefragt: Woher das Stottern gekommen sei, und die Antwort bekommen: Ich weiss es nicht. 2 Darum hatte ich ihr aufgetragen, sich bis zur heutigen Hypnose daran zu erinnern. Heute antwortet sie also ohne weiteres Nachdenken, aber in grosser Erregung und mit spastisch erschwerter Sprache: Wie einmal die Pferde mit dem Wagen, in dem die Kinder sassen, durchgegangen sind, und wie ein andermal ich mit den Kindern während eines Gewitters durch den Wald fuhr, und der Blitz gerade in einen Baum vor den Pferden einschlug, und die Pferde scheuten und ich mir dachte: Jetzt musst du ganz stille bleiben, sonst erschreckst du die Pferde noch mehr durch dein Schreien, und der Kutscher kann sie gar nicht zurückhalten: von da an ist es aufgetreten. Diese Erzählung hat sie ungemein erregt; ich erfahre noch von ihr, dass das Stottern gleich nach dem ersten der beiden Anlässe aufgetreten, aber nach kurzer Zeit verschwunden sei, um vom zweiten ähnlichen Anlass an stetig zu bleiben. Ich lösche die plastische Erinnerung an 1 welches auch zutraf. 2 Die Antwort: „Ich weiss es nicht,“ mochte richtig sein, konnte aber ebensowohl die Unlust bedeuten, von den Gründen zu reden. Ich habe später bei anderen Kranken die Erfahrung gemacht, dass sie sich auch in der Hypnose um so schwerer an etwas besannen, je mehr Anstrengung sie dazu verwendet hatten, das betreffende Ereigniss aus ihrem Bewusstsein zu drängen.

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/52>, abgerufen am 28.04.2024.