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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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Ein anderes Mal handelte es sich um eine junge, glücklich verheirathete Frau, die schon in den ersten Mädchenjahren eine Zeit lang jeden Morgen in einem Zustand von Betäubung, mit starren Gliedern, offenem Mund und vorgestreckter Zunge gefunden wurde, und die jetzt ähnliche, wenn auch nicht so arge, Anfälle beim Aufwachen wiederholte. Eine tiefe Hypnose erwies sich als unerreichbar; ich begann also mit der Ausforschung im Zustande der Concentration und versicherte ihr beim ersten Druck, sie werde jetzt etwas sehen, was unmittelbar mit den Ursachen des Zustandes in der Kindheit zusammenhienge. Sie benahm sich ruhig und willig, sah die Wohnung wieder, in der sie die ersten Mädchenjahre verbracht hatte, ihr Zimmer, die Stellung ihres Bettes, die Grossmutter, die damals mit ihnen lebte, und eine ihrer Gouvernanten, die sie sehr geliebt hatte. Mehrere kleine Scenen in diesen Räumen und zwischen diesen Personen, eigentlich alle belanglos, folgten einander; den Schluss machte der Abschied der Gouvernante, die vom Hause weg heirathete. Mit diesen Reminiscenzen wusste ich nun gar nichts anzufangen, eine Beziehung derselben zur Aetiologie der Anfälle konnte ich nicht herstellen. Es war allerdings, an verschiedenen Umständen kenntlich, die nämliche Zeit, in welcher die Anfälle zuerst erschienen waren.

Noch ehe ich aber die Analyse fortsetzen konnte, hatte ich Gelegenheit, mit einem Collegen zu sprechen, der in früheren Jahren Arzt des elterlichen Hauses meiner Patientin gewesen war. Von ihm erhielt ich folgende Aufklärung: Zur Zeit, da er das reifende, körperlich sehr gut entwickelte, Mädchen an jenen ersten Anfällen behandelte, fiel ihm die übergrosse Zärtlichkeit im Verkehr zwischen ihr und der im Haus befindlichen Gouvernante auf. Er schöpfte Verdacht und veranlasste die Grossmutter, die Ueberwachung dieses Verkehres zu übernehmen. Nach kurzer Zeit konnte die alte Dame ihm berichten, dass die Gouvernante dem Kinde nächtliche Besuche im Bette abzustatten pflege, und dass ganz regelmässig nach solchen Nächten das Kind am Morgen im Anfall gefunden werde. Sie zögerten nun nicht, die geräuschlose Entfernung dieser Jugendverderberin durchzusetzen. Die Kinder und selbst die Mutter wurden in der Meinung erhalten, dass die Gouvernante das Haus verlasse, um zu heirathen.

Die, zunächst erfolgreiche, Therapie bestand nun darin, dass ich der jungen Frau die mir gegebene Aufklärung mittheilte.



Ein anderes Mal handelte es sich um eine junge, glücklich verheirathete Frau, die schon in den ersten Mädchenjahren eine Zeit lang jeden Morgen in einem Zustand von Betäubung, mit starren Gliedern, offenem Mund und vorgestreckter Zunge gefunden wurde, und die jetzt ähnliche, wenn auch nicht so arge, Anfälle beim Aufwachen wiederholte. Eine tiefe Hypnose erwies sich als unerreichbar; ich begann also mit der Ausforschung im Zustande der Concentration und versicherte ihr beim ersten Druck, sie werde jetzt etwas sehen, was unmittelbar mit den Ursachen des Zustandes in der Kindheit zusammenhienge. Sie benahm sich ruhig und willig, sah die Wohnung wieder, in der sie die ersten Mädchenjahre verbracht hatte, ihr Zimmer, die Stellung ihres Bettes, die Grossmutter, die damals mit ihnen lebte, und eine ihrer Gouvernanten, die sie sehr geliebt hatte. Mehrere kleine Scenen in diesen Räumen und zwischen diesen Personen, eigentlich alle belanglos, folgten einander; den Schluss machte der Abschied der Gouvernante, die vom Hause weg heirathete. Mit diesen Reminiscenzen wusste ich nun gar nichts anzufangen, eine Beziehung derselben zur Aetiologie der Anfälle konnte ich nicht herstellen. Es war allerdings, an verschiedenen Umständen kenntlich, die nämliche Zeit, in welcher die Anfälle zuerst erschienen waren.

Noch ehe ich aber die Analyse fortsetzen konnte, hatte ich Gelegenheit, mit einem Collegen zu sprechen, der in früheren Jahren Arzt des elterlichen Hauses meiner Patientin gewesen war. Von ihm erhielt ich folgende Aufklärung: Zur Zeit, da er das reifende, körperlich sehr gut entwickelte, Mädchen an jenen ersten Anfällen behandelte, fiel ihm die übergrosse Zärtlichkeit im Verkehr zwischen ihr und der im Haus befindlichen Gouvernante auf. Er schöpfte Verdacht und veranlasste die Grossmutter, die Ueberwachung dieses Verkehres zu übernehmen. Nach kurzer Zeit konnte die alte Dame ihm berichten, dass die Gouvernante dem Kinde nächtliche Besuche im Bette abzustatten pflege, und dass ganz regelmässig nach solchen Nächten das Kind am Morgen im Anfall gefunden werde. Sie zögerten nun nicht, die geräuschlose Entfernung dieser Jugendverderberin durchzusetzen. Die Kinder und selbst die Mutter wurden in der Meinung erhalten, dass die Gouvernante das Haus verlasse, um zu heirathen.

Die, zunächst erfolgreiche, Therapie bestand nun darin, dass ich der jungen Frau die mir gegebene Aufklärung mittheilte.



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[240/0246] Ein anderes Mal handelte es sich um eine junge, glücklich verheirathete Frau, die schon in den ersten Mädchenjahren eine Zeit lang jeden Morgen in einem Zustand von Betäubung, mit starren Gliedern, offenem Mund und vorgestreckter Zunge gefunden wurde, und die jetzt ähnliche, wenn auch nicht so arge, Anfälle beim Aufwachen wiederholte. Eine tiefe Hypnose erwies sich als unerreichbar; ich begann also mit der Ausforschung im Zustande der Concentration und versicherte ihr beim ersten Druck, sie werde jetzt etwas sehen, was unmittelbar mit den Ursachen des Zustandes in der Kindheit zusammenhienge. Sie benahm sich ruhig und willig, sah die Wohnung wieder, in der sie die ersten Mädchenjahre verbracht hatte, ihr Zimmer, die Stellung ihres Bettes, die Grossmutter, die damals mit ihnen lebte, und eine ihrer Gouvernanten, die sie sehr geliebt hatte. Mehrere kleine Scenen in diesen Räumen und zwischen diesen Personen, eigentlich alle belanglos, folgten einander; den Schluss machte der Abschied der Gouvernante, die vom Hause weg heirathete. Mit diesen Reminiscenzen wusste ich nun gar nichts anzufangen, eine Beziehung derselben zur Aetiologie der Anfälle konnte ich nicht herstellen. Es war allerdings, an verschiedenen Umständen kenntlich, die nämliche Zeit, in welcher die Anfälle zuerst erschienen waren. Noch ehe ich aber die Analyse fortsetzen konnte, hatte ich Gelegenheit, mit einem Collegen zu sprechen, der in früheren Jahren Arzt des elterlichen Hauses meiner Patientin gewesen war. Von ihm erhielt ich folgende Aufklärung: Zur Zeit, da er das reifende, körperlich sehr gut entwickelte, Mädchen an jenen ersten Anfällen behandelte, fiel ihm die übergrosse Zärtlichkeit im Verkehr zwischen ihr und der im Haus befindlichen Gouvernante auf. Er schöpfte Verdacht und veranlasste die Grossmutter, die Ueberwachung dieses Verkehres zu übernehmen. Nach kurzer Zeit konnte die alte Dame ihm berichten, dass die Gouvernante dem Kinde nächtliche Besuche im Bette abzustatten pflege, und dass ganz regelmässig nach solchen Nächten das Kind am Morgen im Anfall gefunden werde. Sie zögerten nun nicht, die geräuschlose Entfernung dieser Jugendverderberin durchzusetzen. Die Kinder und selbst die Mutter wurden in der Meinung erhalten, dass die Gouvernante das Haus verlasse, um zu heirathen. Die, zunächst erfolgreiche, Therapie bestand nun darin, dass ich der jungen Frau die mir gegebene Aufklärung mittheilte.

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/246>, abgerufen am 22.11.2024.