Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Zu den hypnoiden Zuständen zählen natürlich vor allem die wirklichen Auto-Hypnosen, die sich von den artificiellen nur durch ihre spontane Entstehung unterscheiden. Wir finden sie bei manchen voll entwickelten Hysterien in wechselnder Häufigkeit und mit verschiedener Dauer, oft in raschestem Alterniren mit dem Zustand des normalen Wachens abwechselnd.1 Ihres traumhaften Vorstellungsinhaltes wegen können sie oft den Namen des Delirium hystericum verdienen. Im Wachen besteht für die inneren Vorgänge dieser Zustände eine mehr oder minder vollständige Amnesie, während sie in der artificiellen Hypnose vollständig erinnert werden. Die psychischen Resultate dieser Zustände, die darin gebildeten Associationen, sind eben durch die Amnesie jeder Correctur im wachen Denken entzogen. Und da in der Autohypnose die Kritik und Controle durch andere Vorstellungen herabgesetzt und meist fast ganz geschwunden ist, so können ihr die verrücktesten Wahnvorstellungen entstammen und sich lange intact erhalten. So entsteht eine etwas complicirtere irrationale, "symbolische Beziehung zwischen der Veranlassung und dem pathologischen Phänomen", welche ja oft auf den lächerlichsten Klangähnlichkeiten und Wortassociationen beruht, fast nur in solchen Zuständen. Die Kritiklosigkeit derselben bedingt es, dass ihnen so häufig Autosuggestionen entspringen, z. B. wenn nach einem hysterischen Anfall eine Lähmung zurückbleibt. Aber, vielleicht zufälligerweise, sind wir in unseren Analysen kaum jemals auf diese Entstehung eines hysterischen Phänomens gestossen. Wir fanden diese immer, auch in der Autohypnose, durch denselben Vorgang bedingt wie ausserhalb derselben, durch die Convertirung einer Affecterregung.

Diese "hysterische Conversion" vollzieht sich in der Autohypnose jedenfalls leichter als im Wachen, wie ja auch in der artificiellen Hypnose Suggestiv-Vorstellungen sich als Hallucinationen und Bewegungen so viel leichter körperlich realisieren. Aber der Vorgang der Erregungsconversion ist doch im Wesen derselbe, wie er oben dargelegt worden ist. Hat er einmal stattgefunden, so wiederholt sich das somatische Phänomen, wenn Affect und Autohypnose wieder zusammentreffen. Und es scheint, dass der hypnotische Zustand dann durch den Affect selbst hervorgerufen werde. So bleibt zunächst, so lange die Hypnose mit vollem Wachen rein alternirt, das hysterische Symptom auf den hypnotischen Zustand beschränkt

1 Beobachtung I und II.

Zu den hypnoiden Zuständen zählen natürlich vor allem die wirklichen Auto-Hypnosen, die sich von den artificiellen nur durch ihre spontane Entstehung unterscheiden. Wir finden sie bei manchen voll entwickelten Hysterien in wechselnder Häufigkeit und mit verschiedener Dauer, oft in raschestem Alterniren mit dem Zustand des normalen Wachens abwechselnd.1 Ihres traumhaften Vorstellungsinhaltes wegen können sie oft den Namen des Delirium hystericum verdienen. Im Wachen besteht für die inneren Vorgänge dieser Zustände eine mehr oder minder vollständige Amnesie, während sie in der artificiellen Hypnose vollständig erinnert werden. Die psychischen Resultate dieser Zustände, die darin gebildeten Associationen, sind eben durch die Amnesie jeder Correctur im wachen Denken entzogen. Und da in der Autohypnose die Kritik und Controle durch andere Vorstellungen herabgesetzt und meist fast ganz geschwunden ist, so können ihr die verrücktesten Wahnvorstellungen entstammen und sich lange intact erhalten. So entsteht eine etwas complicirtere irrationale, „symbolische Beziehung zwischen der Veranlassung und dem pathologischen Phänomen“, welche ja oft auf den lächerlichsten Klangähnlichkeiten und Wortassociationen beruht, fast nur in solchen Zuständen. Die Kritiklosigkeit derselben bedingt es, dass ihnen so häufig Autosuggestionen entspringen, z. B. wenn nach einem hysterischen Anfall eine Lähmung zurückbleibt. Aber, vielleicht zufälligerweise, sind wir in unseren Analysen kaum jemals auf diese Entstehung eines hysterischen Phänomens gestossen. Wir fanden diese immer, auch in der Autohypnose, durch denselben Vorgang bedingt wie ausserhalb derselben, durch die Convertirung einer Affecterregung.

Diese „hysterische Conversion“ vollzieht sich in der Autohypnose jedenfalls leichter als im Wachen, wie ja auch in der artificiellen Hypnose Suggestiv-Vorstellungen sich als Hallucinationen und Bewegungen so viel leichter körperlich realisieren. Aber der Vorgang der Erregungsconversion ist doch im Wesen derselbe, wie er oben dargelegt worden ist. Hat er einmal stattgefunden, so wiederholt sich das somatische Phänomen, wenn Affect und Autohypnose wieder zusammentreffen. Und es scheint, dass der hypnotische Zustand dann durch den Affect selbst hervorgerufen werde. So bleibt zunächst, so lange die Hypnose mit vollem Wachen rein alternirt, das hysterische Symptom auf den hypnotischen Zustand beschränkt

1 Beobachtung I und II.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <pb facs="#f0195" n="189"/>
          <p>Zu den hypnoiden Zuständen zählen natürlich vor allem die wirklichen Auto-Hypnosen, die sich von den artificiellen nur durch ihre spontane Entstehung unterscheiden. Wir finden sie bei manchen voll entwickelten Hysterien in wechselnder Häufigkeit und mit verschiedener Dauer, oft in raschestem Alterniren mit dem Zustand des normalen Wachens abwechselnd.<note place="foot" n="1">Beobachtung I und II.</note> Ihres traumhaften Vorstellungsinhaltes wegen können sie oft den Namen des Delirium hystericum verdienen. Im Wachen besteht für die inneren Vorgänge dieser Zustände eine mehr oder minder vollständige Amnesie, während sie in der artificiellen Hypnose vollständig erinnert werden. Die psychischen Resultate dieser Zustände, die darin gebildeten Associationen, sind eben durch die Amnesie jeder Correctur im wachen Denken entzogen. Und da in der Autohypnose die Kritik und Controle durch andere Vorstellungen herabgesetzt und meist fast ganz geschwunden ist, so können ihr die verrücktesten Wahnvorstellungen entstammen und sich lange intact erhalten. So entsteht eine etwas complicirtere irrationale, &#x201E;symbolische Beziehung zwischen der Veranlassung und dem pathologischen Phänomen&#x201C;, welche ja oft auf den lächerlichsten Klangähnlichkeiten und Wortassociationen beruht, fast nur in solchen Zuständen. Die Kritiklosigkeit derselben bedingt es, dass ihnen so häufig Autosuggestionen entspringen, z. B. wenn nach einem hysterischen Anfall eine Lähmung zurückbleibt. Aber, vielleicht zufälligerweise, sind wir in unseren Analysen kaum jemals auf diese Entstehung eines hysterischen Phänomens gestossen. Wir fanden diese immer, auch in der Autohypnose, durch denselben Vorgang bedingt wie ausserhalb derselben, durch die Convertirung einer Affecterregung.</p>
          <p>Diese &#x201E;hysterische Conversion&#x201C; vollzieht sich in der Autohypnose jedenfalls leichter als im Wachen, wie ja auch in der artificiellen Hypnose Suggestiv-Vorstellungen sich als Hallucinationen und Bewegungen so viel leichter körperlich realisieren. Aber der Vorgang der Erregungsconversion ist doch im Wesen derselbe, wie er oben dargelegt worden ist. Hat er einmal stattgefunden, so wiederholt sich das somatische Phänomen, wenn Affect und Autohypnose wieder zusammentreffen. Und es scheint, dass der hypnotische Zustand dann durch den Affect selbst hervorgerufen werde. So bleibt zunächst, so lange die Hypnose mit vollem Wachen rein alternirt, das hysterische Symptom auf den hypnotischen Zustand beschränkt
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0195] Zu den hypnoiden Zuständen zählen natürlich vor allem die wirklichen Auto-Hypnosen, die sich von den artificiellen nur durch ihre spontane Entstehung unterscheiden. Wir finden sie bei manchen voll entwickelten Hysterien in wechselnder Häufigkeit und mit verschiedener Dauer, oft in raschestem Alterniren mit dem Zustand des normalen Wachens abwechselnd. 1 Ihres traumhaften Vorstellungsinhaltes wegen können sie oft den Namen des Delirium hystericum verdienen. Im Wachen besteht für die inneren Vorgänge dieser Zustände eine mehr oder minder vollständige Amnesie, während sie in der artificiellen Hypnose vollständig erinnert werden. Die psychischen Resultate dieser Zustände, die darin gebildeten Associationen, sind eben durch die Amnesie jeder Correctur im wachen Denken entzogen. Und da in der Autohypnose die Kritik und Controle durch andere Vorstellungen herabgesetzt und meist fast ganz geschwunden ist, so können ihr die verrücktesten Wahnvorstellungen entstammen und sich lange intact erhalten. So entsteht eine etwas complicirtere irrationale, „symbolische Beziehung zwischen der Veranlassung und dem pathologischen Phänomen“, welche ja oft auf den lächerlichsten Klangähnlichkeiten und Wortassociationen beruht, fast nur in solchen Zuständen. Die Kritiklosigkeit derselben bedingt es, dass ihnen so häufig Autosuggestionen entspringen, z. B. wenn nach einem hysterischen Anfall eine Lähmung zurückbleibt. Aber, vielleicht zufälligerweise, sind wir in unseren Analysen kaum jemals auf diese Entstehung eines hysterischen Phänomens gestossen. Wir fanden diese immer, auch in der Autohypnose, durch denselben Vorgang bedingt wie ausserhalb derselben, durch die Convertirung einer Affecterregung. Diese „hysterische Conversion“ vollzieht sich in der Autohypnose jedenfalls leichter als im Wachen, wie ja auch in der artificiellen Hypnose Suggestiv-Vorstellungen sich als Hallucinationen und Bewegungen so viel leichter körperlich realisieren. Aber der Vorgang der Erregungsconversion ist doch im Wesen derselbe, wie er oben dargelegt worden ist. Hat er einmal stattgefunden, so wiederholt sich das somatische Phänomen, wenn Affect und Autohypnose wieder zusammentreffen. Und es scheint, dass der hypnotische Zustand dann durch den Affect selbst hervorgerufen werde. So bleibt zunächst, so lange die Hypnose mit vollem Wachen rein alternirt, das hysterische Symptom auf den hypnotischen Zustand beschränkt 1 Beobachtung I und II.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/195
Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/195>, abgerufen am 24.11.2024.