Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.Mensch mit den knarrenden Gelenken und dem langen, nachdenklichen Gesicht, der hier ein paar Wochen herumgestelzt war, abgearbeitet und nervös, war das wirklich er gewesen? Er, Richard Hausdörffer, der Greuel der sommerfrischen Damen, denen er auswich, wo er konnte, das Angstgespenst seiner Hauswirthin, der er das feierliche Versprechen abgenommen, allem Umgang mit Musikinstrumenten für die Dauer seines Aufenthalts zu entsagen "wenn ihr das Leben lieb wäre!" Solch ein unausstehlich anmaßender Patron war er geworden, und warum, wenn man fragen darf? Als Assistent mit tausend Mark jährlich und der Hoffnung, in einigen Jahren Extraordinarius zu werden? Er mußte lachen, wie gut er damit durchgekommen war, - die Leute schienen einen schauderhaften Respekt vor ihm zu haben. Ja, so ein langes Gesicht, das ist imponirend. Sie wußten ja nicht, daß er's eigentlich aus lauter innerer Langweile und Herzensmuße gemacht hatte. Eine Braut in Karlsruhe - pah - eine Taube auf dem Dach! Was hat man davon, als die Verpflichtung, fein sittsam und ehrbarlich zu wandeln und Briefe zu schreiben, die Toni zur Noth der Mama zeigen kann. Ganz abgesehen davon, daß man sich so in diesem Verhältniß - genau genommen - von seinem eigentlichen Leben schriftlich doch sehr wenig sagen kann! Ja, ja, so hatte er noch gestern gedacht und mit einer Art Resignation auf seine eigenen wohltemperirten Gefühle Mensch mit den knarrenden Gelenken und dem langen, nachdenklichen Gesicht, der hier ein paar Wochen herumgestelzt war, abgearbeitet und nervös, war das wirklich er gewesen? Er, Richard Hausdörffer, der Greuel der sommerfrischen Damen, denen er auswich, wo er konnte, das Angstgespenst seiner Hauswirthin, der er das feierliche Versprechen abgenommen, allem Umgang mit Musikinstrumenten für die Dauer seines Aufenthalts zu entsagen „wenn ihr das Leben lieb wäre!“ Solch ein unausstehlich anmaßender Patron war er geworden, und warum, wenn man fragen darf? Als Assistent mit tausend Mark jährlich und der Hoffnung, in einigen Jahren Extraordinarius zu werden? Er mußte lachen, wie gut er damit durchgekommen war, – die Leute schienen einen schauderhaften Respekt vor ihm zu haben. Ja, so ein langes Gesicht, das ist imponirend. Sie wußten ja nicht, daß er’s eigentlich aus lauter innerer Langweile und Herzensmuße gemacht hatte. Eine Braut in Karlsruhe – pah – eine Taube auf dem Dach! Was hat man davon, als die Verpflichtung, fein sittsam und ehrbarlich zu wandeln und Briefe zu schreiben, die Toni zur Noth der Mama zeigen kann. Ganz abgesehen davon, daß man sich so in diesem Verhältniß – genau genommen – von seinem eigentlichen Leben schriftlich doch sehr wenig sagen kann! Ja, ja, so hatte er noch gestern gedacht und mit einer Art Resignation auf seine eigenen wohltemperirten Gefühle <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0093" n="85"/> Mensch mit den knarrenden Gelenken und dem langen, nachdenklichen Gesicht, der hier ein paar Wochen herumgestelzt war, abgearbeitet und nervös, war das wirklich er gewesen? Er, Richard Hausdörffer, der Greuel der sommerfrischen Damen, denen er auswich, wo er konnte, das Angstgespenst seiner Hauswirthin, der er das feierliche Versprechen abgenommen, allem Umgang mit Musikinstrumenten für die Dauer seines Aufenthalts zu entsagen „wenn ihr das Leben lieb wäre!“ Solch ein unausstehlich anmaßender Patron war er geworden, und warum, wenn man fragen darf? Als Assistent mit tausend Mark jährlich und der Hoffnung, in einigen Jahren Extraordinarius zu werden? Er mußte lachen, wie gut er damit durchgekommen war, – die Leute schienen einen schauderhaften Respekt vor ihm zu haben. Ja, so ein langes Gesicht, das ist imponirend. Sie wußten ja nicht, daß er’s eigentlich aus lauter innerer Langweile und Herzensmuße gemacht hatte. Eine Braut in Karlsruhe – pah – eine Taube auf dem Dach! Was hat man davon, als die Verpflichtung, fein sittsam und ehrbarlich zu wandeln und Briefe zu schreiben, die Toni zur Noth der Mama zeigen kann. Ganz abgesehen davon, daß man sich so in diesem Verhältniß – genau genommen – von seinem eigentlichen Leben schriftlich doch sehr wenig sagen kann! Ja, ja, so hatte er noch gestern gedacht und mit einer Art Resignation auf seine eigenen wohltemperirten Gefühle </p> </div> </body> </text> </TEI> [85/0093]
Mensch mit den knarrenden Gelenken und dem langen, nachdenklichen Gesicht, der hier ein paar Wochen herumgestelzt war, abgearbeitet und nervös, war das wirklich er gewesen? Er, Richard Hausdörffer, der Greuel der sommerfrischen Damen, denen er auswich, wo er konnte, das Angstgespenst seiner Hauswirthin, der er das feierliche Versprechen abgenommen, allem Umgang mit Musikinstrumenten für die Dauer seines Aufenthalts zu entsagen „wenn ihr das Leben lieb wäre!“ Solch ein unausstehlich anmaßender Patron war er geworden, und warum, wenn man fragen darf? Als Assistent mit tausend Mark jährlich und der Hoffnung, in einigen Jahren Extraordinarius zu werden? Er mußte lachen, wie gut er damit durchgekommen war, – die Leute schienen einen schauderhaften Respekt vor ihm zu haben. Ja, so ein langes Gesicht, das ist imponirend. Sie wußten ja nicht, daß er’s eigentlich aus lauter innerer Langweile und Herzensmuße gemacht hatte. Eine Braut in Karlsruhe – pah – eine Taube auf dem Dach! Was hat man davon, als die Verpflichtung, fein sittsam und ehrbarlich zu wandeln und Briefe zu schreiben, die Toni zur Noth der Mama zeigen kann. Ganz abgesehen davon, daß man sich so in diesem Verhältniß – genau genommen – von seinem eigentlichen Leben schriftlich doch sehr wenig sagen kann! Ja, ja, so hatte er noch gestern gedacht und mit einer Art Resignation auf seine eigenen wohltemperirten Gefühle
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Zitationshilfe: | Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/93>, abgerufen am 23.07.2024. |