Neun Uhr dreißig? Also in dreiviertel Stunden? Nein, da geh' ich lieber zu Fuß." Der Frager trat vom Bahnhofschalter zurück, das Fenster klappte herunter, die kleine Lampe ward weggenommen. In ihrem verschwindenden Schein bemühte sich der Draußenstehende, die lange gehäkelte Geldbörse wieder in die Tasche zu versenken. Eine unglaubliche Einrichtung, diese dünnen Schläuche; unbequem genug, um sie nur an hohen Sonn- und Feiertagen zu gebrauchen wie der heutige! Er streichelte die knisternde seidene Schlange in seiner Tasche, - Toni's verwöhnte weiße Fingerchen hatten sie für ihn gearbeitet, und mit verliebten Blicken war er damals den Verschlingungen der dunkelrothen Fäden gefolgt. Zwei Jahre waren's nun, seit er das Abschiedsgeschenk von ihr empfangen und treulich im Koffer überall mit sich herumgetragen hatte: nach Jena, nach Wien, nach München, wie es einem sehnsüchtigen Bräutigam und zukünftigen braven Ehemann ziemte.
Neun Uhr dreißig? Also in dreiviertel Stunden? Nein, da geh’ ich lieber zu Fuß.“ Der Frager trat vom Bahnhofschalter zurück, das Fenster klappte herunter, die kleine Lampe ward weggenommen. In ihrem verschwindenden Schein bemühte sich der Draußenstehende, die lange gehäkelte Geldbörse wieder in die Tasche zu versenken. Eine unglaubliche Einrichtung, diese dünnen Schläuche; unbequem genug, um sie nur an hohen Sonn- und Feiertagen zu gebrauchen wie der heutige! Er streichelte die knisternde seidene Schlange in seiner Tasche, – Toni’s verwöhnte weiße Fingerchen hatten sie für ihn gearbeitet, und mit verliebten Blicken war er damals den Verschlingungen der dunkelrothen Fäden gefolgt. Zwei Jahre waren’s nun, seit er das Abschiedsgeschenk von ihr empfangen und treulich im Koffer überall mit sich herumgetragen hatte: nach Jena, nach Wien, nach München, wie es einem sehnsüchtigen Bräutigam und zukünftigen braven Ehemann ziemte.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0087"n="79"/><p>Neun Uhr dreißig? Also in dreiviertel Stunden? Nein, da geh’ ich lieber zu Fuß.“ Der Frager trat vom Bahnhofschalter zurück, das Fenster klappte herunter, die kleine Lampe ward weggenommen. In ihrem verschwindenden Schein bemühte sich der Draußenstehende, die lange gehäkelte Geldbörse wieder in die Tasche zu versenken. Eine unglaubliche Einrichtung, diese dünnen Schläuche; unbequem genug, um sie nur an hohen Sonn- und Feiertagen zu gebrauchen wie der heutige! Er streichelte die knisternde seidene Schlange in seiner Tasche, – Toni’s verwöhnte weiße Fingerchen hatten sie für ihn gearbeitet, und mit verliebten Blicken war er damals den Verschlingungen der dunkelrothen Fäden gefolgt. Zwei Jahre waren’s nun, seit er das Abschiedsgeschenk von ihr empfangen und treulich im Koffer überall mit sich herumgetragen hatte: nach Jena, nach Wien, nach München, wie es einem sehnsüchtigen Bräutigam und zukünftigen braven Ehemann ziemte.</p></div></body></text></TEI>
[79/0087]
Neun Uhr dreißig? Also in dreiviertel Stunden? Nein, da geh’ ich lieber zu Fuß.“ Der Frager trat vom Bahnhofschalter zurück, das Fenster klappte herunter, die kleine Lampe ward weggenommen. In ihrem verschwindenden Schein bemühte sich der Draußenstehende, die lange gehäkelte Geldbörse wieder in die Tasche zu versenken. Eine unglaubliche Einrichtung, diese dünnen Schläuche; unbequem genug, um sie nur an hohen Sonn- und Feiertagen zu gebrauchen wie der heutige! Er streichelte die knisternde seidene Schlange in seiner Tasche, – Toni’s verwöhnte weiße Fingerchen hatten sie für ihn gearbeitet, und mit verliebten Blicken war er damals den Verschlingungen der dunkelrothen Fäden gefolgt. Zwei Jahre waren’s nun, seit er das Abschiedsgeschenk von ihr empfangen und treulich im Koffer überall mit sich herumgetragen hatte: nach Jena, nach Wien, nach München, wie es einem sehnsüchtigen Bräutigam und zukünftigen braven Ehemann ziemte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/87>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.