Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweifel. Er entfaltete das leicht zusammengelegte dünne Blättchen und fand vier Zeilen in großer, kräftiger, ihm unbekannter Schrift, die er beim flackernden Kerzenlicht zwei- oder dreimal las, lachend beiseite legte und wieder las:

"Dies brach für dich der zartsten Neigung Hand,
Der Fliederstrauß ist sel'ger Jugend Bild.
Nicht forschen sollst du, wer ihn dir gesandt,
Genug, wenn er mit Duft dein Zimmer füllt."

Keine Unterschrift, keine Anrede und, da das Blatt nur ineinander geschoben, nicht couvertirt worden, auch keine Adresse. Der Strauß mußte hier abgegeben, das Verschen absichtlich so tief zwischen die Zweige versteckt worden sein. Eigentlich war es ein Zufall, daß er es gefunden. Wie schade, daß es so spät war! Die Wirthin, die Magd mußten ihm erzählen, wie der Strauß hier hereingekommen. Vorausgesetzt, daß er überhaupt ihm bestimmt war! Konnte nicht eine Verwechselung stattgefunden haben? Etwa mit einem dennoch vorhandenen Fräulein Hasenfratz, das einen poetisch angehauchten Anbeter besaß? Es schien durchaus eine Männerhandschrift, gewandt, ausgeschrieben. Wer von seinen Bekannten schrieb doch so? Sollte nicht Hoffmann sich den Spaß erlaubt haben?

Der Strauß stand in einer großen altmodischen wassergefüllten Vase, die gute Doktorin hatte die Blumen nicht schmachten lassen wollen, das sah ihr

Zweifel. Er entfaltete das leicht zusammengelegte dünne Blättchen und fand vier Zeilen in großer, kräftiger, ihm unbekannter Schrift, die er beim flackernden Kerzenlicht zwei- oder dreimal las, lachend beiseite legte und wieder las:

„Dies brach für dich der zartsten Neigung Hand,
Der Fliederstrauß ist sel’ger Jugend Bild.
Nicht forschen sollst du, wer ihn dir gesandt,
Genug, wenn er mit Duft dein Zimmer füllt.“

Keine Unterschrift, keine Anrede und, da das Blatt nur ineinander geschoben, nicht couvertirt worden, auch keine Adresse. Der Strauß mußte hier abgegeben, das Verschen absichtlich so tief zwischen die Zweige versteckt worden sein. Eigentlich war es ein Zufall, daß er es gefunden. Wie schade, daß es so spät war! Die Wirthin, die Magd mußten ihm erzählen, wie der Strauß hier hereingekommen. Vorausgesetzt, daß er überhaupt ihm bestimmt war! Konnte nicht eine Verwechselung stattgefunden haben? Etwa mit einem dennoch vorhandenen Fräulein Hasenfratz, das einen poetisch angehauchten Anbeter besaß? Es schien durchaus eine Männerhandschrift, gewandt, ausgeschrieben. Wer von seinen Bekannten schrieb doch so? Sollte nicht Hoffmann sich den Spaß erlaubt haben?

Der Strauß stand in einer großen altmodischen wassergefüllten Vase, die gute Doktorin hatte die Blumen nicht schmachten lassen wollen, das sah ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0042" n="34"/>
Zweifel. Er entfaltete das leicht zusammengelegte dünne Blättchen und fand vier Zeilen in großer, kräftiger, ihm unbekannter Schrift, die er beim flackernden Kerzenlicht zwei- oder dreimal las, lachend beiseite legte und wieder las:</p>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Dies brach für dich der zartsten Neigung Hand,</l><lb/>
          <l>Der Fliederstrauß ist sel&#x2019;ger Jugend Bild.</l><lb/>
          <l>Nicht forschen sollst du, wer ihn dir gesandt,</l><lb/>
          <l>Genug, wenn er mit Duft dein Zimmer füllt.&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Keine Unterschrift, keine Anrede und, da das Blatt nur ineinander geschoben, nicht couvertirt worden, auch keine Adresse. Der Strauß mußte hier abgegeben, das Verschen absichtlich so tief zwischen die Zweige versteckt worden sein. Eigentlich war es ein Zufall, daß er es gefunden. Wie schade, daß es so spät war! Die Wirthin, die Magd mußten ihm erzählen, wie der Strauß hier hereingekommen. Vorausgesetzt, daß er überhaupt ihm bestimmt war! Konnte nicht eine Verwechselung stattgefunden haben? Etwa mit einem dennoch vorhandenen Fräulein Hasenfratz, das einen poetisch angehauchten Anbeter besaß? Es schien durchaus eine Männerhandschrift, gewandt, ausgeschrieben. Wer von seinen Bekannten schrieb doch so? Sollte nicht Hoffmann sich den Spaß erlaubt haben?</p>
        <p>Der Strauß stand in einer großen altmodischen wassergefüllten Vase, die gute Doktorin hatte die Blumen nicht schmachten lassen wollen, das sah ihr
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0042] Zweifel. Er entfaltete das leicht zusammengelegte dünne Blättchen und fand vier Zeilen in großer, kräftiger, ihm unbekannter Schrift, die er beim flackernden Kerzenlicht zwei- oder dreimal las, lachend beiseite legte und wieder las: „Dies brach für dich der zartsten Neigung Hand, Der Fliederstrauß ist sel’ger Jugend Bild. Nicht forschen sollst du, wer ihn dir gesandt, Genug, wenn er mit Duft dein Zimmer füllt.“ Keine Unterschrift, keine Anrede und, da das Blatt nur ineinander geschoben, nicht couvertirt worden, auch keine Adresse. Der Strauß mußte hier abgegeben, das Verschen absichtlich so tief zwischen die Zweige versteckt worden sein. Eigentlich war es ein Zufall, daß er es gefunden. Wie schade, daß es so spät war! Die Wirthin, die Magd mußten ihm erzählen, wie der Strauß hier hereingekommen. Vorausgesetzt, daß er überhaupt ihm bestimmt war! Konnte nicht eine Verwechselung stattgefunden haben? Etwa mit einem dennoch vorhandenen Fräulein Hasenfratz, das einen poetisch angehauchten Anbeter besaß? Es schien durchaus eine Männerhandschrift, gewandt, ausgeschrieben. Wer von seinen Bekannten schrieb doch so? Sollte nicht Hoffmann sich den Spaß erlaubt haben? Der Strauß stand in einer großen altmodischen wassergefüllten Vase, die gute Doktorin hatte die Blumen nicht schmachten lassen wollen, das sah ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/42
Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/42>, abgerufen am 03.12.2024.