Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.wissen, wie Deine "väterliche Obhut", so als Titel betrachtet, aussieht. Lieber Axel, manchmal gebrauchst Du Ausdrücke, die mir unverständlich sind. Was ist z. B. ein symbiotischer Zustand? Ich habe keine Ahnung, hoffe aber, daß es nichts Schlimmes sein wird, da Du das Wort in Bezug auf die Liebe anwendest. Du fragst mich, ob ich sonst schon in diesem Kapitel Erfahrung habe, und ich muß gestehen, ja, ziemlich viel. Nach meinen Beobachtungen ist die eigentliche rechte Liebe jetzt gänzlich ausgestorben, ich habe in unserem Bekanntenkreise auch nicht ein einziges Beispiel davon entdecken können. Erika, meine frühere Freundin, die seit einem Jahre verheirathet ist, behauptet neulich in einer Gesellschaft, die Liebe wäre eine Kinderkrankheit, die jeder gehabt haben müßte! Wie findest Du das? Ich glaube, sie spricht ihrem Manne nach, der schmunzelte dazu und sagte: "Aber immun wird man deshalb nicht dagegen, man kann immer aufs neue befallen werden." Er ist Arzt, weißt Du, und spricht immer in dieser Tonart. Neulich setzte er sich mal breitspurig in einen Lehnstuhl, fächelte sich mit dem Taschentuch seiner Frau und sagte: "Jetzt, Lisbeth, kommen Sie mal hübsch an meine grüne Seite und regen Sie mich ein bißchen an, Erika hat's erlaubt." "Finden Sie mich anregend?" sagte ich ganz vergnügt. Da lächelte er so ölig, wie er manchmal thut, und sagte: "Ja, sehr, aber es wissen, wie Deine „väterliche Obhut“, so als Titel betrachtet, aussieht. Lieber Axel, manchmal gebrauchst Du Ausdrücke, die mir unverständlich sind. Was ist z. B. ein symbiotischer Zustand? Ich habe keine Ahnung, hoffe aber, daß es nichts Schlimmes sein wird, da Du das Wort in Bezug auf die Liebe anwendest. Du fragst mich, ob ich sonst schon in diesem Kapitel Erfahrung habe, und ich muß gestehen, ja, ziemlich viel. Nach meinen Beobachtungen ist die eigentliche rechte Liebe jetzt gänzlich ausgestorben, ich habe in unserem Bekanntenkreise auch nicht ein einziges Beispiel davon entdecken können. Erika, meine frühere Freundin, die seit einem Jahre verheirathet ist, behauptet neulich in einer Gesellschaft, die Liebe wäre eine Kinderkrankheit, die jeder gehabt haben müßte! Wie findest Du das? Ich glaube, sie spricht ihrem Manne nach, der schmunzelte dazu und sagte: „Aber immun wird man deshalb nicht dagegen, man kann immer aufs neue befallen werden.“ Er ist Arzt, weißt Du, und spricht immer in dieser Tonart. Neulich setzte er sich mal breitspurig in einen Lehnstuhl, fächelte sich mit dem Taschentuch seiner Frau und sagte: „Jetzt, Lisbeth, kommen Sie mal hübsch an meine grüne Seite und regen Sie mich ein bißchen an, Erika hat’s erlaubt.“ „Finden Sie mich anregend?“ sagte ich ganz vergnügt. Da lächelte er so ölig, wie er manchmal thut, und sagte: „Ja, sehr, aber es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0334" n="326"/> wissen, wie Deine „väterliche Obhut“, so als Titel betrachtet, aussieht.</p> <p>Lieber Axel, manchmal gebrauchst Du Ausdrücke, die mir unverständlich sind. Was ist z. B. ein symbiotischer Zustand? Ich habe keine Ahnung, hoffe aber, daß es nichts Schlimmes sein wird, da Du das Wort in Bezug auf die Liebe anwendest. Du fragst mich, ob ich sonst schon in diesem Kapitel Erfahrung habe, und ich muß gestehen, ja, ziemlich viel. Nach meinen Beobachtungen ist die eigentliche rechte Liebe jetzt gänzlich ausgestorben, ich habe in unserem Bekanntenkreise auch nicht ein einziges Beispiel davon entdecken können. Erika, meine frühere Freundin, die seit einem Jahre verheirathet ist, behauptet neulich in einer Gesellschaft, die Liebe wäre eine Kinderkrankheit, die jeder gehabt haben müßte! Wie findest Du das? Ich glaube, sie spricht ihrem Manne nach, der schmunzelte dazu und sagte: „Aber immun wird man deshalb nicht dagegen, man kann immer aufs neue befallen werden.“ Er ist Arzt, weißt Du, und spricht immer in dieser Tonart. Neulich setzte er sich mal breitspurig in einen Lehnstuhl, fächelte sich mit dem Taschentuch seiner Frau und sagte: „Jetzt, Lisbeth, kommen Sie mal hübsch an meine grüne Seite und regen Sie mich ein bißchen an, Erika hat’s erlaubt.“ „Finden Sie mich anregend?“ sagte ich ganz vergnügt. Da lächelte er so ölig, wie er manchmal thut, und sagte: „Ja, sehr, aber es </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [326/0334]
wissen, wie Deine „väterliche Obhut“, so als Titel betrachtet, aussieht.
Lieber Axel, manchmal gebrauchst Du Ausdrücke, die mir unverständlich sind. Was ist z. B. ein symbiotischer Zustand? Ich habe keine Ahnung, hoffe aber, daß es nichts Schlimmes sein wird, da Du das Wort in Bezug auf die Liebe anwendest. Du fragst mich, ob ich sonst schon in diesem Kapitel Erfahrung habe, und ich muß gestehen, ja, ziemlich viel. Nach meinen Beobachtungen ist die eigentliche rechte Liebe jetzt gänzlich ausgestorben, ich habe in unserem Bekanntenkreise auch nicht ein einziges Beispiel davon entdecken können. Erika, meine frühere Freundin, die seit einem Jahre verheirathet ist, behauptet neulich in einer Gesellschaft, die Liebe wäre eine Kinderkrankheit, die jeder gehabt haben müßte! Wie findest Du das? Ich glaube, sie spricht ihrem Manne nach, der schmunzelte dazu und sagte: „Aber immun wird man deshalb nicht dagegen, man kann immer aufs neue befallen werden.“ Er ist Arzt, weißt Du, und spricht immer in dieser Tonart. Neulich setzte er sich mal breitspurig in einen Lehnstuhl, fächelte sich mit dem Taschentuch seiner Frau und sagte: „Jetzt, Lisbeth, kommen Sie mal hübsch an meine grüne Seite und regen Sie mich ein bißchen an, Erika hat’s erlaubt.“ „Finden Sie mich anregend?“ sagte ich ganz vergnügt. Da lächelte er so ölig, wie er manchmal thut, und sagte: „Ja, sehr, aber es
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