Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.zu Mund wird man viel eher fertig. Also, um den Anfang zu machen: ich weiß alles!" Sie blieb stehen und nöthigte auch ihn zum Anhalten. Mit hohen Augenbrauen sah Hausdörffer auf sie nieder. "Ich bedauere, Sie nicht zu verstehen, gnädige Frau." Mama griff mit nervöser Handbewegung nach dem eleganten Juchtentäschchen, das sie am Mittelfinger baumeln hatte, und zog ein Blatt Papier heraus. "Mein lieber Doktor, ehe wir weiter sprechen, der Zufall hat mir ein Blättchen zugespielt, sehen Sie's einmal an, nicht wahr, das ist doch Ihre Handschrift?" "Wie kommen Sie dazu?" rief Richard unbedacht und heftig erschreckend. Es waren die Reime von jenem Morgen in Gauting. Ohne Umstände entriß ihm die Dame das Papier, um es wieder in der Tasche zu bergen. Dann streckte sie ihm mit einer großen liebevollen Gebärde die Hand hin: "Und darum?" sagte sie schmelzend, vorwurfsvoll; "o, mein lieber junger Freund, besser wäre es zwar gewesen, wenn die Geschichte nicht ans Tageslicht gekommen wäre, dergleichen Geschichten sollen niemals an die Öffentlichkeit gelangen, denken Sie an Tonis zarte Mädchenohren! Aber eine solche Verirrung ist noch kein Grund, an seiner Zukunft zu verzweifeln und auf ein Glück zu verzichten, dessen Sie trotzdem - mein mütterlicher Instinkt täuscht mich da nicht - trotzdem noch heute würdiger sind als viele andre." zu Mund wird man viel eher fertig. Also, um den Anfang zu machen: ich weiß alles!“ Sie blieb stehen und nöthigte auch ihn zum Anhalten. Mit hohen Augenbrauen sah Hausdörffer auf sie nieder. „Ich bedauere, Sie nicht zu verstehen, gnädige Frau.“ Mama griff mit nervöser Handbewegung nach dem eleganten Juchtentäschchen, das sie am Mittelfinger baumeln hatte, und zog ein Blatt Papier heraus. „Mein lieber Doktor, ehe wir weiter sprechen, der Zufall hat mir ein Blättchen zugespielt, sehen Sie’s einmal an, nicht wahr, das ist doch Ihre Handschrift?“ „Wie kommen Sie dazu?“ rief Richard unbedacht und heftig erschreckend. Es waren die Reime von jenem Morgen in Gauting. Ohne Umstände entriß ihm die Dame das Papier, um es wieder in der Tasche zu bergen. Dann streckte sie ihm mit einer großen liebevollen Gebärde die Hand hin: „Und darum?“ sagte sie schmelzend, vorwurfsvoll; „o, mein lieber junger Freund, besser wäre es zwar gewesen, wenn die Geschichte nicht ans Tageslicht gekommen wäre, dergleichen Geschichten sollen niemals an die Öffentlichkeit gelangen, denken Sie an Tonis zarte Mädchenohren! Aber eine solche Verirrung ist noch kein Grund, an seiner Zukunft zu verzweifeln und auf ein Glück zu verzichten, dessen Sie trotzdem – mein mütterlicher Instinkt täuscht mich da nicht – trotzdem noch heute würdiger sind als viele andre.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0172" n="164"/> zu Mund wird man viel eher fertig. Also, um den Anfang zu machen: ich weiß alles!“</p> <p>Sie blieb stehen und nöthigte auch ihn zum Anhalten. Mit hohen Augenbrauen sah Hausdörffer auf sie nieder. „Ich bedauere, Sie nicht zu verstehen, gnädige Frau.“</p> <p>Mama griff mit nervöser Handbewegung nach dem eleganten Juchtentäschchen, das sie am Mittelfinger baumeln hatte, und zog ein Blatt Papier heraus. „Mein lieber Doktor, ehe wir weiter sprechen, der Zufall hat mir ein Blättchen zugespielt, sehen Sie’s einmal an, nicht wahr, das ist doch Ihre Handschrift?“</p> <p>„Wie kommen Sie dazu?“ rief Richard unbedacht und heftig erschreckend.</p> <p>Es waren die Reime von jenem Morgen in Gauting. Ohne Umstände entriß ihm die Dame das Papier, um es wieder in der Tasche zu bergen. Dann streckte sie ihm mit einer großen liebevollen Gebärde die Hand hin: „Und darum?“ sagte sie schmelzend, vorwurfsvoll; „o, mein lieber junger Freund, besser wäre es zwar gewesen, wenn die Geschichte nicht ans Tageslicht gekommen wäre, dergleichen Geschichten sollen niemals an die Öffentlichkeit gelangen, denken Sie an Tonis zarte Mädchenohren! Aber eine solche Verirrung ist noch kein Grund, an seiner Zukunft zu verzweifeln und auf ein Glück zu verzichten, dessen Sie trotzdem – mein mütterlicher Instinkt täuscht mich da nicht – trotzdem noch heute würdiger sind als viele andre.“</p> </div> </body> </text> </TEI> [164/0172]
zu Mund wird man viel eher fertig. Also, um den Anfang zu machen: ich weiß alles!“
Sie blieb stehen und nöthigte auch ihn zum Anhalten. Mit hohen Augenbrauen sah Hausdörffer auf sie nieder. „Ich bedauere, Sie nicht zu verstehen, gnädige Frau.“
Mama griff mit nervöser Handbewegung nach dem eleganten Juchtentäschchen, das sie am Mittelfinger baumeln hatte, und zog ein Blatt Papier heraus. „Mein lieber Doktor, ehe wir weiter sprechen, der Zufall hat mir ein Blättchen zugespielt, sehen Sie’s einmal an, nicht wahr, das ist doch Ihre Handschrift?“
„Wie kommen Sie dazu?“ rief Richard unbedacht und heftig erschreckend.
Es waren die Reime von jenem Morgen in Gauting. Ohne Umstände entriß ihm die Dame das Papier, um es wieder in der Tasche zu bergen. Dann streckte sie ihm mit einer großen liebevollen Gebärde die Hand hin: „Und darum?“ sagte sie schmelzend, vorwurfsvoll; „o, mein lieber junger Freund, besser wäre es zwar gewesen, wenn die Geschichte nicht ans Tageslicht gekommen wäre, dergleichen Geschichten sollen niemals an die Öffentlichkeit gelangen, denken Sie an Tonis zarte Mädchenohren! Aber eine solche Verirrung ist noch kein Grund, an seiner Zukunft zu verzweifeln und auf ein Glück zu verzichten, dessen Sie trotzdem – mein mütterlicher Instinkt täuscht mich da nicht – trotzdem noch heute würdiger sind als viele andre.“
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