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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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wehren!" und ein Getrappel treppabwärts mit schwe¬
ren Sohlen. Dann ward es wieder still.

"Wär' ich doch fort von hier!" stöhnte der
Kranke, "warum bin ich nicht ins Spital gebracht
worden? Ach so, ich habe selbst den Arzt gebeten,
mich in meine Wohnung schaffen zu lassen. Gleich¬
viel, wo ich sterbe!"

Seine Wunde brannte trotz des Eisumschlags,
in seinen Augen stach und bohrte es. Er lag ganz
unbeweglich, wie ihm der Arzt geboten hatte, und
fühlte kalte Schauer über sich rinnen. Nun sterb'
ich bald, dachte er, besser sterben, als leben und
blind sein. Er tastete mit der Hand an der nassen
schweren Binde herum, die seine Augen bedeckte.

Ob ich garnichts sähe, wenn ich sie abrisse?
durchzuckte es ihn. Doch graute ihm vor dem Ver¬
such; mit einem tiefen Seufzer ließ er die Hand
wieder auf die Bettdecke sinken. Als ihn der Arzt
hergebracht, war Alles um ihn her röthliche Däm¬
merung gewesen, ha, fürchterlich. Eh' er das noch
einmal empfinden sollte, -- "wenn ich nun gesund
werde!" stöhnte er qualvoll, während tödtliche Angst
ihm die Brust zusammendrückte. In seinem Koffer
war ein scharfes Messer, er hatte daheim auch in
Holz geschnitzt. Im schlimmsten Fall -- das war
doch gut bei sich zu haben, das war ein Trost. Er
fühlte eine plötzliche Sehnsucht, die blanke scharfe

wehren!“ und ein Getrappel treppabwärts mit ſchwe¬
ren Sohlen. Dann ward es wieder ſtill.

„Wär' ich doch fort von hier!“ ſtöhnte der
Kranke, „warum bin ich nicht ins Spital gebracht
worden? Ach ſo, ich habe ſelbſt den Arzt gebeten,
mich in meine Wohnung ſchaffen zu laſſen. Gleich¬
viel, wo ich ſterbe!“

Seine Wunde brannte trotz des Eisumſchlags,
in ſeinen Augen ſtach und bohrte es. Er lag ganz
unbeweglich, wie ihm der Arzt geboten hatte, und
fühlte kalte Schauer über ſich rinnen. Nun ſterb'
ich bald, dachte er, beſſer ſterben, als leben und
blind ſein. Er taſtete mit der Hand an der naſſen
ſchweren Binde herum, die ſeine Augen bedeckte.

Ob ich garnichts ſähe, wenn ich ſie abriſſe?
durchzuckte es ihn. Doch graute ihm vor dem Ver¬
ſuch; mit einem tiefen Seufzer ließ er die Hand
wieder auf die Bettdecke ſinken. Als ihn der Arzt
hergebracht, war Alles um ihn her röthliche Däm¬
merung geweſen, ha, fürchterlich. Eh' er das noch
einmal empfinden ſollte, — „wenn ich nun geſund
werde!“ ſtöhnte er qualvoll, während tödtliche Angſt
ihm die Bruſt zuſammendrückte. In ſeinem Koffer
war ein ſcharfes Meſſer, er hatte daheim auch in
Holz geſchnitzt. Im ſchlimmſten Fall — das war
doch gut bei ſich zu haben, das war ein Troſt. Er
fühlte eine plötzliche Sehnſucht, die blanke ſcharfe

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[79/0095] wehren!“ und ein Getrappel treppabwärts mit ſchwe¬ ren Sohlen. Dann ward es wieder ſtill. „Wär' ich doch fort von hier!“ ſtöhnte der Kranke, „warum bin ich nicht ins Spital gebracht worden? Ach ſo, ich habe ſelbſt den Arzt gebeten, mich in meine Wohnung ſchaffen zu laſſen. Gleich¬ viel, wo ich ſterbe!“ Seine Wunde brannte trotz des Eisumſchlags, in ſeinen Augen ſtach und bohrte es. Er lag ganz unbeweglich, wie ihm der Arzt geboten hatte, und fühlte kalte Schauer über ſich rinnen. Nun ſterb' ich bald, dachte er, beſſer ſterben, als leben und blind ſein. Er taſtete mit der Hand an der naſſen ſchweren Binde herum, die ſeine Augen bedeckte. Ob ich garnichts ſähe, wenn ich ſie abriſſe? durchzuckte es ihn. Doch graute ihm vor dem Ver¬ ſuch; mit einem tiefen Seufzer ließ er die Hand wieder auf die Bettdecke ſinken. Als ihn der Arzt hergebracht, war Alles um ihn her röthliche Däm¬ merung geweſen, ha, fürchterlich. Eh' er das noch einmal empfinden ſollte, — „wenn ich nun geſund werde!“ ſtöhnte er qualvoll, während tödtliche Angſt ihm die Bruſt zuſammendrückte. In ſeinem Koffer war ein ſcharfes Meſſer, er hatte daheim auch in Holz geſchnitzt. Im ſchlimmſten Fall — das war doch gut bei ſich zu haben, das war ein Troſt. Er fühlte eine plötzliche Sehnſucht, die blanke ſcharfe

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/95>, abgerufen am 07.05.2024.