daß heut eigentlich ein großer Tag für ihn sei: der Marmor, den er für die Mädchenfigur "Sternthaler" bestimmt hatte, sollte heut ausgewählt werden. Mar¬ mor! Er hatte sich so danach gesehnt, das edle Ge¬ stein unter seinen Fingern zu fühlen. Es war ein großer Luxus, und Wolff hatte ihm abgerathen, und nun erst Spitzer: "Sie stecken da viel Geld hinein, das Sie nie herausbekommen! Stellen Sie doch Ihren Gips aus, wie andre Leute. Das ist fast protzig gethan, sag' ich Ihnen." Aber Alfred hatte in guter Laune erwidert, er habe sich's einmal in den Kopf gesetzt, für die Babett sei nur Marmor gut ge¬ nug. Er bekomme ihn billig aus dem Nachlaß eines verstorbenen Künstlers, es werde auch nichts allzu Rares sein.
Sein Modell wartete schon auf ihn, das kam sonst nicht vor. Auch nicht, daß er so ohne Gruß an ihm vorbei ging und mit so zerstreuter Unlust zu arbeiten begann. Er sah bald selber ein, heut för¬ dere er nichts, heut verderbe er nur; er schickte den Schufterl nach zwei Stunden fort und begab sich in den Schuppen neben dem Atelier des Todten, wo drei noch rohe Blöcke lagerten. Er verstand sich nicht ganz schlecht auf das Gestein. Sein Meister in Ham¬ burg hatte mancherlei unter den Händen gehabt und ihm, als dem vertrautesten Schüler, jede Belehrung zukommen lassen, die ihm nützlich werden konnte.
daß heut eigentlich ein großer Tag für ihn ſei: der Marmor, den er für die Mädchenfigur „Sternthaler“ beſtimmt hatte, ſollte heut ausgewählt werden. Mar¬ mor! Er hatte ſich ſo danach geſehnt, das edle Ge¬ ſtein unter ſeinen Fingern zu fühlen. Es war ein großer Luxus, und Wolff hatte ihm abgerathen, und nun erſt Spitzer: „Sie ſtecken da viel Geld hinein, das Sie nie herausbekommen! Stellen Sie doch Ihren Gips aus, wie andre Leute. Das iſt faſt protzig gethan, ſag' ich Ihnen.“ Aber Alfred hatte in guter Laune erwidert, er habe ſich's einmal in den Kopf geſetzt, für die Babett ſei nur Marmor gut ge¬ nug. Er bekomme ihn billig aus dem Nachlaß eines verſtorbenen Künſtlers, es werde auch nichts allzu Rares ſein.
Sein Modell wartete ſchon auf ihn, das kam ſonſt nicht vor. Auch nicht, daß er ſo ohne Gruß an ihm vorbei ging und mit ſo zerſtreuter Unluſt zu arbeiten begann. Er ſah bald ſelber ein, heut för¬ dere er nichts, heut verderbe er nur; er ſchickte den Schufterl nach zwei Stunden fort und begab ſich in den Schuppen neben dem Atelier des Todten, wo drei noch rohe Blöcke lagerten. Er verſtand ſich nicht ganz ſchlecht auf das Geſtein. Sein Meiſter in Ham¬ burg hatte mancherlei unter den Händen gehabt und ihm, als dem vertrauteſten Schüler, jede Belehrung zukommen laſſen, die ihm nützlich werden konnte.
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daß heut eigentlich ein großer Tag für ihn ſei: der
Marmor, den er für die Mädchenfigur „Sternthaler“
beſtimmt hatte, ſollte heut ausgewählt werden. Mar¬
mor! Er hatte ſich ſo danach geſehnt, das edle Ge¬
ſtein unter ſeinen Fingern zu fühlen. Es war ein
großer Luxus, und Wolff hatte ihm abgerathen, und
nun erſt Spitzer: „Sie ſtecken da viel Geld hinein,
das Sie nie herausbekommen! Stellen Sie doch
Ihren Gips aus, wie andre Leute. Das iſt faſt
protzig gethan, ſag' ich Ihnen.“ Aber Alfred hatte
in guter Laune erwidert, er habe ſich's einmal in den
Kopf geſetzt, für die Babett ſei nur Marmor gut ge¬
nug. Er bekomme ihn billig aus dem Nachlaß eines
verſtorbenen Künſtlers, es werde auch nichts allzu
Rares ſein.
Sein Modell wartete ſchon auf ihn, das kam
ſonſt nicht vor. Auch nicht, daß er ſo ohne Gruß
an ihm vorbei ging und mit ſo zerſtreuter Unluſt zu
arbeiten begann. Er ſah bald ſelber ein, heut för¬
dere er nichts, heut verderbe er nur; er ſchickte den
Schufterl nach zwei Stunden fort und begab ſich in
den Schuppen neben dem Atelier des Todten, wo
drei noch rohe Blöcke lagerten. Er verſtand ſich nicht
ganz ſchlecht auf das Geſtein. Sein Meiſter in Ham¬
burg hatte mancherlei unter den Händen gehabt und
ihm, als dem vertrauteſten Schüler, jede Belehrung
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/87>, abgerufen am 06.05.2024.
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