Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

So gingen die Tage bis zum Wochenschluß wie
im Traum dahin, und hin und wieder nur kam eine
einsame Abendstunde, in der Alfred, von unbestimmter
sehnsüchtiger Unruhe getrieben, das Fenster aufriß
und hinaushorchte, und wenn Alles still blieb, nach
dem Hute griff und ins Freie rannte, um sich müde zu
machen und seine Gedanken und sein warmes junges
Blut zu kühlen. Dabei war es ihm eine Annehmlich¬
keit, daß sein Zimmernachbar ausgezogen war und
der leere Raum ganz anspruchslos dastand; die Wirthin
hatte sogar die Verbindungsthür zwischen jenem und
dem seinigen geöffnet, so lange es unbenutzt sei, und
Alfred freute sich, für seine langen Beine etwas mehr
Spielraum zu haben. Was ihm die Frau gewonnen
hatte, war die Freigebigkeit des jungen Hamburgers
und seine Dienstbereitschaft für alles Weibliche im
Haus, sei es das alte Mütterchen im dritten Stock,
der er den entfallenen Arbeitsbeutel hinauftrug, sei
es das Wäschermädchen, dem er den schweren Korb
auf den Kopf setzen half. Es lag ihm eben in der
Natur, daß sein angenehmes Gesicht noch freundlicher
wurde, wenn es ein langes Haar und einen faltigen
Rock zu sehen bekam.

Am Sonntag fühlte er sich wieder unbehaglich
und aufgeregt, doch kam ihm garnicht der Gedanke,
daß er ja vielleicht aus dem Spitzer'schen Hause weg¬
bleiben dürfe. Noch hatte er das Fräulein nicht ge¬

So gingen die Tage bis zum Wochenſchluß wie
im Traum dahin, und hin und wieder nur kam eine
einſame Abendſtunde, in der Alfred, von unbeſtimmter
ſehnſüchtiger Unruhe getrieben, das Fenſter aufriß
und hinaushorchte, und wenn Alles ſtill blieb, nach
dem Hute griff und ins Freie rannte, um ſich müde zu
machen und ſeine Gedanken und ſein warmes junges
Blut zu kühlen. Dabei war es ihm eine Annehmlich¬
keit, daß ſein Zimmernachbar ausgezogen war und
der leere Raum ganz anſpruchslos daſtand; die Wirthin
hatte ſogar die Verbindungsthür zwiſchen jenem und
dem ſeinigen geöffnet, ſo lange es unbenutzt ſei, und
Alfred freute ſich, für ſeine langen Beine etwas mehr
Spielraum zu haben. Was ihm die Frau gewonnen
hatte, war die Freigebigkeit des jungen Hamburgers
und ſeine Dienſtbereitſchaft für alles Weibliche im
Haus, ſei es das alte Mütterchen im dritten Stock,
der er den entfallenen Arbeitsbeutel hinauftrug, ſei
es das Wäſchermädchen, dem er den ſchweren Korb
auf den Kopf ſetzen half. Es lag ihm eben in der
Natur, daß ſein angenehmes Geſicht noch freundlicher
wurde, wenn es ein langes Haar und einen faltigen
Rock zu ſehen bekam.

Am Sonntag fühlte er ſich wieder unbehaglich
und aufgeregt, doch kam ihm garnicht der Gedanke,
daß er ja vielleicht aus dem Spitzer'ſchen Hauſe weg¬
bleiben dürfe. Noch hatte er das Fräulein nicht ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0075" n="59"/>
        <p>So gingen die Tage bis zum Wochen&#x017F;chluß wie<lb/>
im Traum dahin, und hin und wieder nur kam eine<lb/>
ein&#x017F;ame Abend&#x017F;tunde, in der Alfred, von unbe&#x017F;timmter<lb/>
&#x017F;ehn&#x017F;üchtiger Unruhe getrieben, das Fen&#x017F;ter aufriß<lb/>
und hinaushorchte, und wenn Alles &#x017F;till blieb, nach<lb/>
dem Hute griff und ins Freie rannte, um &#x017F;ich müde zu<lb/>
machen und &#x017F;eine Gedanken und &#x017F;ein warmes junges<lb/>
Blut zu kühlen. Dabei war es ihm eine Annehmlich¬<lb/>
keit, daß &#x017F;ein Zimmernachbar ausgezogen war und<lb/>
der leere Raum ganz an&#x017F;pruchslos da&#x017F;tand; die Wirthin<lb/>
hatte &#x017F;ogar die Verbindungsthür zwi&#x017F;chen jenem und<lb/>
dem &#x017F;einigen geöffnet, &#x017F;o lange es unbenutzt &#x017F;ei, und<lb/>
Alfred freute &#x017F;ich, für &#x017F;eine langen Beine etwas mehr<lb/>
Spielraum zu haben. Was ihm die Frau gewonnen<lb/>
hatte, war die Freigebigkeit des jungen Hamburgers<lb/>
und &#x017F;eine Dien&#x017F;tbereit&#x017F;chaft für alles Weibliche im<lb/>
Haus, &#x017F;ei es das alte Mütterchen im dritten Stock,<lb/>
der er den entfallenen Arbeitsbeutel hinauftrug, &#x017F;ei<lb/>
es das Wä&#x017F;chermädchen, dem er den &#x017F;chweren Korb<lb/>
auf den Kopf &#x017F;etzen half. Es lag ihm eben in der<lb/>
Natur, daß &#x017F;ein angenehmes Ge&#x017F;icht noch freundlicher<lb/>
wurde, wenn es ein langes Haar und einen faltigen<lb/>
Rock zu &#x017F;ehen bekam.</p><lb/>
        <p>Am Sonntag fühlte er &#x017F;ich wieder unbehaglich<lb/>
und aufgeregt, doch kam ihm garnicht der Gedanke,<lb/>
daß er ja vielleicht aus dem Spitzer'&#x017F;chen Hau&#x017F;e weg¬<lb/>
bleiben dürfe. Noch hatte er das Fräulein nicht ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0075] So gingen die Tage bis zum Wochenſchluß wie im Traum dahin, und hin und wieder nur kam eine einſame Abendſtunde, in der Alfred, von unbeſtimmter ſehnſüchtiger Unruhe getrieben, das Fenſter aufriß und hinaushorchte, und wenn Alles ſtill blieb, nach dem Hute griff und ins Freie rannte, um ſich müde zu machen und ſeine Gedanken und ſein warmes junges Blut zu kühlen. Dabei war es ihm eine Annehmlich¬ keit, daß ſein Zimmernachbar ausgezogen war und der leere Raum ganz anſpruchslos daſtand; die Wirthin hatte ſogar die Verbindungsthür zwiſchen jenem und dem ſeinigen geöffnet, ſo lange es unbenutzt ſei, und Alfred freute ſich, für ſeine langen Beine etwas mehr Spielraum zu haben. Was ihm die Frau gewonnen hatte, war die Freigebigkeit des jungen Hamburgers und ſeine Dienſtbereitſchaft für alles Weibliche im Haus, ſei es das alte Mütterchen im dritten Stock, der er den entfallenen Arbeitsbeutel hinauftrug, ſei es das Wäſchermädchen, dem er den ſchweren Korb auf den Kopf ſetzen half. Es lag ihm eben in der Natur, daß ſein angenehmes Geſicht noch freundlicher wurde, wenn es ein langes Haar und einen faltigen Rock zu ſehen bekam. Am Sonntag fühlte er ſich wieder unbehaglich und aufgeregt, doch kam ihm garnicht der Gedanke, daß er ja vielleicht aus dem Spitzer'ſchen Hauſe weg¬ bleiben dürfe. Noch hatte er das Fräulein nicht ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/75
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/75>, abgerufen am 06.05.2024.