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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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Sie war so gütig geblieben, wie eine Erwachsene, die
einen wilden Knaben vor sich sieht. Sein unver¬
hohlenes Erschrecken im Anfang, seine unzusammen¬
hängenden Entschuldigungen, seine besinnungslose
Keckheit, -- sie hatte Alles mit lächelnder Nachsicht
hingenommen. Nein, das Letzte doch nicht, da hatte
sie gesagt: "Das war nicht recht." Warum auch
hatte er sie geküßt! Es war ja schon nach der Ent¬
zauberung. Und doch war er sich bewußt, auch darin
ganz seinem Gefühl gefolgt zu sein. Es war nicht
recht, aber falsch war es auch nicht. Sein Herz war
übergeströmt gegen sie in Liebe und Haß, ja auch
Haß, daß sie dem Bilde nicht glich, welches er sich
von ihr gemacht. Und in dieser gemischten Empfin¬
dung hatte er sich hinreißen lassen. Und es war doch
ein Kuß gewesen, als sei sie schön. Er fühlte es
noch weich und duftig an seinen Lippen. Freilich,
als sie dann wieder das Licht entzündet --

Er war wie in einem Ring gefangen und stieß
sich darin müde und matt. Zuletzt überredete er sich,
das sei die Strafe für seine Widerstandslosigkeit.
"Im ersten Gefecht schon besiegt," würde sein Lehrer
spotten, wenn er es wüßte. Was hatte er nach den
Frauen zu gaffen. "Und gar nach häßlichen!" würde
sein Lehrer sagen. Der hatte eine Kellnerin gehei¬
rathet, freilich eine schöne; sein bestes und beständiges
Modell, wie er selbst bekannte.

Sie war ſo gütig geblieben, wie eine Erwachſene, die
einen wilden Knaben vor ſich ſieht. Sein unver¬
hohlenes Erſchrecken im Anfang, ſeine unzuſammen¬
hängenden Entſchuldigungen, ſeine beſinnungsloſe
Keckheit, — ſie hatte Alles mit lächelnder Nachſicht
hingenommen. Nein, das Letzte doch nicht, da hatte
ſie geſagt: „Das war nicht recht.“ Warum auch
hatte er ſie geküßt! Es war ja ſchon nach der Ent¬
zauberung. Und doch war er ſich bewußt, auch darin
ganz ſeinem Gefühl gefolgt zu ſein. Es war nicht
recht, aber falſch war es auch nicht. Sein Herz war
übergeſtrömt gegen ſie in Liebe und Haß, ja auch
Haß, daß ſie dem Bilde nicht glich, welches er ſich
von ihr gemacht. Und in dieſer gemiſchten Empfin¬
dung hatte er ſich hinreißen laſſen. Und es war doch
ein Kuß geweſen, als ſei ſie ſchön. Er fühlte es
noch weich und duftig an ſeinen Lippen. Freilich,
als ſie dann wieder das Licht entzündet —

Er war wie in einem Ring gefangen und ſtieß
ſich darin müde und matt. Zuletzt überredete er ſich,
das ſei die Strafe für ſeine Widerſtandsloſigkeit.
„Im erſten Gefecht ſchon beſiegt,“ würde ſein Lehrer
ſpotten, wenn er es wüßte. Was hatte er nach den
Frauen zu gaffen. „Und gar nach häßlichen!“ würde
ſein Lehrer ſagen. Der hatte eine Kellnerin gehei¬
rathet, freilich eine ſchöne; ſein beſtes und beſtändiges
Modell, wie er ſelbſt bekannte.

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[26/0042] Sie war ſo gütig geblieben, wie eine Erwachſene, die einen wilden Knaben vor ſich ſieht. Sein unver¬ hohlenes Erſchrecken im Anfang, ſeine unzuſammen¬ hängenden Entſchuldigungen, ſeine beſinnungsloſe Keckheit, — ſie hatte Alles mit lächelnder Nachſicht hingenommen. Nein, das Letzte doch nicht, da hatte ſie geſagt: „Das war nicht recht.“ Warum auch hatte er ſie geküßt! Es war ja ſchon nach der Ent¬ zauberung. Und doch war er ſich bewußt, auch darin ganz ſeinem Gefühl gefolgt zu ſein. Es war nicht recht, aber falſch war es auch nicht. Sein Herz war übergeſtrömt gegen ſie in Liebe und Haß, ja auch Haß, daß ſie dem Bilde nicht glich, welches er ſich von ihr gemacht. Und in dieſer gemiſchten Empfin¬ dung hatte er ſich hinreißen laſſen. Und es war doch ein Kuß geweſen, als ſei ſie ſchön. Er fühlte es noch weich und duftig an ſeinen Lippen. Freilich, als ſie dann wieder das Licht entzündet — Er war wie in einem Ring gefangen und ſtieß ſich darin müde und matt. Zuletzt überredete er ſich, das ſei die Strafe für ſeine Widerſtandsloſigkeit. „Im erſten Gefecht ſchon beſiegt,“ würde ſein Lehrer ſpotten, wenn er es wüßte. Was hatte er nach den Frauen zu gaffen. „Und gar nach häßlichen!“ würde ſein Lehrer ſagen. Der hatte eine Kellnerin gehei¬ rathet, freilich eine ſchöne; ſein beſtes und beſtändiges Modell, wie er ſelbſt bekannte.

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/42>, abgerufen am 29.03.2024.