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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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nicht mehr aufrecht, sie hatte sich auf die Kniee ge¬
worfen, drückte mit beiden Händen ein Schwert gegen
ihre Brust und flehte mit verzücktem Antlitz: "Gieb
mir die Schmerzen der Welt, aber laß mich in allen
Schmerzen Dein sein, o Gott."

Mit einem langen, befreienden Athemzuge stand
er auf. Was in seiner Vernichtung Neid und Mi߬
gunst gewesen, fiel von ihm ab. Eine heiße Dank¬
barkeit wallte in ihm empor. O, die theure, die
fromme, die Engelsstimme! -- Ja, er war nur ein
Nichts, verglichen mit Jenen, die der Menschheit
ewige Schätze geschenkt hatten. Aber hatte es nicht
auch eine Zeit gegeben, wo sie noch nicht waren?
Ein redliches Versuchen, ein unermüdetes Ringen war
noch keine Anmaßung. Es war nur eine Frage an
seine eigne Natur, und die mußte doch erlaubt sein.
Er fühlte sich so erhoben, als habe er schon gefragt
und die Antwort laute: ja. Mit der ganzen Spann¬
kraft seiner fünfundzwanzig Jahre schwang er sich den
Hut auf den Kopf und stürmte hinaus. Er wollte
-- ja, vor allen Dingen wollte er zu Mittag essen,
denn was er noch von Unbehaglichkeit spürte, würde
wohl Hunger sein. Er vertiefte sich mit einer Gründ¬
lichkeit in seinen Suppenteller, über die er selbst ge¬
lacht hätte, wäre ihm nicht trotz der wiedergekehrten
Frische höchst feierlich zu Muthe gewesen. Seine hei¬
ligen Entschlüsse und sein gesunder Durst wirkten zu¬

Frapan, Bittersüß. 2

nicht mehr aufrecht, ſie hatte ſich auf die Kniee ge¬
worfen, drückte mit beiden Händen ein Schwert gegen
ihre Bruſt und flehte mit verzücktem Antlitz: „Gieb
mir die Schmerzen der Welt, aber laß mich in allen
Schmerzen Dein ſein, o Gott.“

Mit einem langen, befreienden Athemzuge ſtand
er auf. Was in ſeiner Vernichtung Neid und Mi߬
gunſt geweſen, fiel von ihm ab. Eine heiße Dank¬
barkeit wallte in ihm empor. O, die theure, die
fromme, die Engelsſtimme! — Ja, er war nur ein
Nichts, verglichen mit Jenen, die der Menſchheit
ewige Schätze geſchenkt hatten. Aber hatte es nicht
auch eine Zeit gegeben, wo ſie noch nicht waren?
Ein redliches Verſuchen, ein unermüdetes Ringen war
noch keine Anmaßung. Es war nur eine Frage an
ſeine eigne Natur, und die mußte doch erlaubt ſein.
Er fühlte ſich ſo erhoben, als habe er ſchon gefragt
und die Antwort laute: ja. Mit der ganzen Spann¬
kraft ſeiner fünfundzwanzig Jahre ſchwang er ſich den
Hut auf den Kopf und ſtürmte hinaus. Er wollte
— ja, vor allen Dingen wollte er zu Mittag eſſen,
denn was er noch von Unbehaglichkeit ſpürte, würde
wohl Hunger ſein. Er vertiefte ſich mit einer Gründ¬
lichkeit in ſeinen Suppenteller, über die er ſelbſt ge¬
lacht hätte, wäre ihm nicht trotz der wiedergekehrten
Friſche höchſt feierlich zu Muthe geweſen. Seine hei¬
ligen Entſchlüſſe und ſein geſunder Durſt wirkten zu¬

Frapan, Bitterſüß. 2
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[17/0033] nicht mehr aufrecht, ſie hatte ſich auf die Kniee ge¬ worfen, drückte mit beiden Händen ein Schwert gegen ihre Bruſt und flehte mit verzücktem Antlitz: „Gieb mir die Schmerzen der Welt, aber laß mich in allen Schmerzen Dein ſein, o Gott.“ Mit einem langen, befreienden Athemzuge ſtand er auf. Was in ſeiner Vernichtung Neid und Mi߬ gunſt geweſen, fiel von ihm ab. Eine heiße Dank¬ barkeit wallte in ihm empor. O, die theure, die fromme, die Engelsſtimme! — Ja, er war nur ein Nichts, verglichen mit Jenen, die der Menſchheit ewige Schätze geſchenkt hatten. Aber hatte es nicht auch eine Zeit gegeben, wo ſie noch nicht waren? Ein redliches Verſuchen, ein unermüdetes Ringen war noch keine Anmaßung. Es war nur eine Frage an ſeine eigne Natur, und die mußte doch erlaubt ſein. Er fühlte ſich ſo erhoben, als habe er ſchon gefragt und die Antwort laute: ja. Mit der ganzen Spann¬ kraft ſeiner fünfundzwanzig Jahre ſchwang er ſich den Hut auf den Kopf und ſtürmte hinaus. Er wollte — ja, vor allen Dingen wollte er zu Mittag eſſen, denn was er noch von Unbehaglichkeit ſpürte, würde wohl Hunger ſein. Er vertiefte ſich mit einer Gründ¬ lichkeit in ſeinen Suppenteller, über die er ſelbſt ge¬ lacht hätte, wäre ihm nicht trotz der wiedergekehrten Friſche höchſt feierlich zu Muthe geweſen. Seine hei¬ ligen Entſchlüſſe und ſein geſunder Durſt wirkten zu¬ Frapan, Bitterſüß. 2

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/33>, abgerufen am 21.11.2024.