Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

liebte lebendige Seele. Palladio's Rathhaus war
göttlich wie ehedem, aber das Gefrorene in dem Cafe
gegenüber erinnerte mich an die Hechingen, es zog
mir den Mund zusammen. Und im römischen Theater
trat sie aus einer der Seitencoulissen, und der ganze
Chor der Eumeniden schien mir in ihr verkörpert, als
sie zu krächzen anfing: "Sie, Schmidthammer, wo
haben's denn den Doktor Esmarch und seine liebe
Frau gelassen, die so kurzsichtig ist, daß sie die Leut'
nimmer wieder erkennt, und das scharmante Klärchen,
das so einen langen Hals hinter Ihnen drein machte,
als Sie mit mir gingen in Desenzano? Sie sind er¬
kannt, Schwerenöther, Sie! Und ich sollt' Ihnen
Grüße bringen von einer gewissen schönen Frau, die
ein treueres Gemüth hat als Sie, Schmetterling!
Was, eine trauernde Wittwe, so zu sagen, in Mün¬
chen und nun schon wieder -- --" Ich ließ das rö¬
mische Theater im Stich und rannte davon, was ich
laufen konnte. In die Rotonda habe ich mich nicht
einmal gewagt, ich wußte ja, Klärchen ist nicht da!
Und wie hätte gerade sie dorthin gepaßt mit ihrer
schlanken Anmuth und ihrer instinktiven Liebe zum
Großartigen! -- Jetzt liegen die Sachen so: die
Hechingen wohnt in der Aurora, ich im Sandwirth,
und die Esmarchs, wie ich aus der Fremdenliste er¬
sehe, bei Bauer-Grünwald. Also sämmtlich hingesäet
am Canale grande! Sie, meine Verfolgerin, muß

liebte lebendige Seele. Palladio's Rathhaus war
göttlich wie ehedem, aber das Gefrorene in dem Café
gegenüber erinnerte mich an die Hechingen, es zog
mir den Mund zuſammen. Und im römiſchen Theater
trat ſie aus einer der Seitencouliſſen, und der ganze
Chor der Eumeniden ſchien mir in ihr verkörpert, als
ſie zu krächzen anfing: „Sie, Schmidthammer, wo
haben's denn den Doktor Esmarch und ſeine liebe
Frau gelaſſen, die ſo kurzſichtig iſt, daß ſie die Leut'
nimmer wieder erkennt, und das ſcharmante Klärchen,
das ſo einen langen Hals hinter Ihnen drein machte,
als Sie mit mir gingen in Deſenzano? Sie ſind er¬
kannt, Schwerenöther, Sie! Und ich ſollt' Ihnen
Grüße bringen von einer gewiſſen ſchönen Frau, die
ein treueres Gemüth hat als Sie, Schmetterling!
Was, eine trauernde Wittwe, ſo zu ſagen, in Mün¬
chen und nun ſchon wieder — —“ Ich ließ das rö¬
miſche Theater im Stich und rannte davon, was ich
laufen konnte. In die Rotonda habe ich mich nicht
einmal gewagt, ich wußte ja, Klärchen iſt nicht da!
Und wie hätte gerade ſie dorthin gepaßt mit ihrer
ſchlanken Anmuth und ihrer inſtinktiven Liebe zum
Großartigen! — Jetzt liegen die Sachen ſo: die
Hechingen wohnt in der Aurora, ich im Sandwirth,
und die Esmarchs, wie ich aus der Fremdenliſte er¬
ſehe, bei Bauer-Grünwald. Alſo ſämmtlich hingeſäet
am Canale grande! Sie, meine Verfolgerin, muß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="letter" n="2">
          <p><pb facs="#f0253" n="237"/>
liebte lebendige Seele. Palladio's Rathhaus war<lb/>
göttlich wie ehedem, aber das Gefrorene in dem Caf<hi rendition="#aq">é</hi><lb/>
gegenüber erinnerte mich an die Hechingen, es zog<lb/>
mir den Mund zu&#x017F;ammen. Und im römi&#x017F;chen Theater<lb/>
trat &#x017F;ie aus einer der Seitencouli&#x017F;&#x017F;en, und der ganze<lb/>
Chor der Eumeniden &#x017F;chien mir in ihr verkörpert, als<lb/>
&#x017F;ie zu krächzen anfing: &#x201E;Sie, Schmidthammer, wo<lb/>
haben's denn den Doktor Esmarch und &#x017F;eine liebe<lb/>
Frau gela&#x017F;&#x017F;en, die &#x017F;o kurz&#x017F;ichtig i&#x017F;t, daß &#x017F;ie die Leut'<lb/>
nimmer wieder erkennt, und das &#x017F;charmante Klärchen,<lb/>
das &#x017F;o einen langen Hals hinter Ihnen drein machte,<lb/>
als Sie mit mir gingen in De&#x017F;enzano? Sie &#x017F;ind er¬<lb/>
kannt, Schwerenöther, Sie! Und ich &#x017F;ollt' Ihnen<lb/>
Grüße bringen von einer gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chönen Frau, die<lb/>
ein treueres Gemüth hat als Sie, Schmetterling!<lb/>
Was, eine trauernde Wittwe, &#x017F;o zu &#x017F;agen, in Mün¬<lb/>
chen und nun &#x017F;chon wieder &#x2014; &#x2014;&#x201C; Ich ließ das rö¬<lb/>
mi&#x017F;che Theater im Stich und rannte davon, was ich<lb/>
laufen konnte. In die Rotonda habe ich mich nicht<lb/>
einmal gewagt, ich wußte ja, Klärchen i&#x017F;t nicht da!<lb/>
Und wie hätte gerade &#x017F;ie dorthin gepaßt mit ihrer<lb/>
&#x017F;chlanken Anmuth und ihrer in&#x017F;tinktiven Liebe zum<lb/>
Großartigen! &#x2014; Jetzt liegen die Sachen &#x017F;o: die<lb/>
Hechingen wohnt in der Aurora, ich im Sandwirth,<lb/>
und die Esmarchs, wie ich aus der Fremdenli&#x017F;te er¬<lb/>
&#x017F;ehe, bei Bauer-Grünwald. Al&#x017F;o &#x017F;ämmtlich hinge&#x017F;äet<lb/>
am <hi rendition="#aq">Canale grande</hi>! Sie, meine Verfolgerin, muß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0253] liebte lebendige Seele. Palladio's Rathhaus war göttlich wie ehedem, aber das Gefrorene in dem Café gegenüber erinnerte mich an die Hechingen, es zog mir den Mund zuſammen. Und im römiſchen Theater trat ſie aus einer der Seitencouliſſen, und der ganze Chor der Eumeniden ſchien mir in ihr verkörpert, als ſie zu krächzen anfing: „Sie, Schmidthammer, wo haben's denn den Doktor Esmarch und ſeine liebe Frau gelaſſen, die ſo kurzſichtig iſt, daß ſie die Leut' nimmer wieder erkennt, und das ſcharmante Klärchen, das ſo einen langen Hals hinter Ihnen drein machte, als Sie mit mir gingen in Deſenzano? Sie ſind er¬ kannt, Schwerenöther, Sie! Und ich ſollt' Ihnen Grüße bringen von einer gewiſſen ſchönen Frau, die ein treueres Gemüth hat als Sie, Schmetterling! Was, eine trauernde Wittwe, ſo zu ſagen, in Mün¬ chen und nun ſchon wieder — —“ Ich ließ das rö¬ miſche Theater im Stich und rannte davon, was ich laufen konnte. In die Rotonda habe ich mich nicht einmal gewagt, ich wußte ja, Klärchen iſt nicht da! Und wie hätte gerade ſie dorthin gepaßt mit ihrer ſchlanken Anmuth und ihrer inſtinktiven Liebe zum Großartigen! — Jetzt liegen die Sachen ſo: die Hechingen wohnt in der Aurora, ich im Sandwirth, und die Esmarchs, wie ich aus der Fremdenliſte er¬ ſehe, bei Bauer-Grünwald. Alſo ſämmtlich hingeſäet am Canale grande! Sie, meine Verfolgerin, muß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/253
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/253>, abgerufen am 22.11.2024.