schichte bis ins Detail kennt und in selbst zubereiteter pikanter Sauce Bekannten und Unbekannten auftischt. Ich saß wie auf Kohlen, denn ich sah das grinsende Gesicht der Alten noch süßlicher werden, als sie mich erblickte, und wie sie mich von Weitem anrief, wurde mir aufrichtig seekrank. "Sieh' da, Herr Schmidt¬ hammer," sagte sie, "warum haben Sie denn unser Künstlerfest versäumt? Die Maifee hat sich nach Ihnen ihre schönen Augen ausgeweint!" Klärchen war zum Glück an den Frühstückstisch getreten und hörte nichts, und der Papa ist zu harmlos, war auch zu sehr in Betrachtung der Ufer vertieft, um die gif¬ tigen Worte zu hören. Die Mutter aber warf mir einen fragenden Blick zu und flüsterte dann: "Ist das nicht die Hechingen? Ich kenne sie aus einem Wohl¬ thätigkeitsconcert -- leider -- wenn sie mich nur nicht sieht!" "Ich will sie unschädlich machen," rief ich, stürzte mich auf die Granate, die jeden Augen¬ blick platzen konnte und wich nicht mehr von ihrer Seite, bis wir in Desenzano waren. Ein Jammer um die schöne Fahrt! Sie ist leider gleichfalls nach Verona gekommen, und ich habe, während ich sie überwachte, meine Familie aus den Augen verloren. In Desenzano auf der Station ging der Doktor an mir vorüber, beladen mit warmen Koteletts und Bröt¬ chen, er sah mich nicht und ich -- herabgesunken zum Ritter der Hechingen, der ich eben zwei Apfelsinen
ſchichte bis ins Detail kennt und in ſelbſt zubereiteter pikanter Sauce Bekannten und Unbekannten auftiſcht. Ich ſaß wie auf Kohlen, denn ich ſah das grinſende Geſicht der Alten noch ſüßlicher werden, als ſie mich erblickte, und wie ſie mich von Weitem anrief, wurde mir aufrichtig ſeekrank. „Sieh' da, Herr Schmidt¬ hammer,“ ſagte ſie, „warum haben Sie denn unſer Künſtlerfeſt verſäumt? Die Maifee hat ſich nach Ihnen ihre ſchönen Augen ausgeweint!“ Klärchen war zum Glück an den Frühſtückstiſch getreten und hörte nichts, und der Papa iſt zu harmlos, war auch zu ſehr in Betrachtung der Ufer vertieft, um die gif¬ tigen Worte zu hören. Die Mutter aber warf mir einen fragenden Blick zu und flüſterte dann: „Iſt das nicht die Hechingen? Ich kenne ſie aus einem Wohl¬ thätigkeitsconcert — leider — wenn ſie mich nur nicht ſieht!“ „Ich will ſie unſchädlich machen,“ rief ich, ſtürzte mich auf die Granate, die jeden Augen¬ blick platzen konnte und wich nicht mehr von ihrer Seite, bis wir in Deſenzano waren. Ein Jammer um die ſchöne Fahrt! Sie iſt leider gleichfalls nach Verona gekommen, und ich habe, während ich ſie überwachte, meine Familie aus den Augen verloren. In Deſenzano auf der Station ging der Doktor an mir vorüber, beladen mit warmen Koteletts und Bröt¬ chen, er ſah mich nicht und ich — herabgeſunken zum Ritter der Hechingen, der ich eben zwei Apfelſinen
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="letter"n="2"><p><pbfacs="#f0244"n="228"/>ſchichte bis ins Detail kennt und in ſelbſt zubereiteter<lb/>
pikanter Sauce Bekannten und Unbekannten auftiſcht.<lb/>
Ich ſaß wie auf Kohlen, denn ich ſah das grinſende<lb/>
Geſicht der Alten noch ſüßlicher werden, als ſie mich<lb/>
erblickte, und wie ſie mich von Weitem anrief, wurde<lb/>
mir aufrichtig ſeekrank. „Sieh' da, Herr Schmidt¬<lb/>
hammer,“ſagte ſie, „warum haben Sie denn unſer<lb/>
Künſtlerfeſt verſäumt? Die Maifee hat ſich nach<lb/>
Ihnen ihre ſchönen Augen ausgeweint!“ Klärchen<lb/>
war zum Glück an den Frühſtückstiſch getreten und<lb/>
hörte nichts, und der Papa iſt zu harmlos, war auch<lb/>
zu ſehr in Betrachtung der Ufer vertieft, um die gif¬<lb/>
tigen Worte zu hören. Die Mutter aber warf mir<lb/>
einen fragenden Blick zu und flüſterte dann: „Iſt das<lb/>
nicht die Hechingen? Ich kenne ſie aus einem Wohl¬<lb/>
thätigkeitsconcert — leider — wenn ſie mich nur<lb/>
nicht ſieht!“„Ich will ſie unſchädlich machen,“ rief<lb/>
ich, ſtürzte mich auf die Granate, die jeden Augen¬<lb/>
blick platzen konnte und wich nicht mehr von ihrer<lb/>
Seite, bis wir in Deſenzano waren. Ein Jammer<lb/>
um die ſchöne Fahrt! Sie iſt leider gleichfalls nach<lb/>
Verona gekommen, und ich habe, während ich ſie<lb/>
überwachte, meine Familie aus den Augen verloren.<lb/>
In Deſenzano auf der Station ging der Doktor an<lb/>
mir vorüber, beladen mit warmen Koteletts und Bröt¬<lb/>
chen, er ſah mich nicht und ich — herabgeſunken zum<lb/>
Ritter der Hechingen, der ich eben zwei Apfelſinen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[228/0244]
ſchichte bis ins Detail kennt und in ſelbſt zubereiteter
pikanter Sauce Bekannten und Unbekannten auftiſcht.
Ich ſaß wie auf Kohlen, denn ich ſah das grinſende
Geſicht der Alten noch ſüßlicher werden, als ſie mich
erblickte, und wie ſie mich von Weitem anrief, wurde
mir aufrichtig ſeekrank. „Sieh' da, Herr Schmidt¬
hammer,“ ſagte ſie, „warum haben Sie denn unſer
Künſtlerfeſt verſäumt? Die Maifee hat ſich nach
Ihnen ihre ſchönen Augen ausgeweint!“ Klärchen
war zum Glück an den Frühſtückstiſch getreten und
hörte nichts, und der Papa iſt zu harmlos, war auch
zu ſehr in Betrachtung der Ufer vertieft, um die gif¬
tigen Worte zu hören. Die Mutter aber warf mir
einen fragenden Blick zu und flüſterte dann: „Iſt das
nicht die Hechingen? Ich kenne ſie aus einem Wohl¬
thätigkeitsconcert — leider — wenn ſie mich nur
nicht ſieht!“ „Ich will ſie unſchädlich machen,“ rief
ich, ſtürzte mich auf die Granate, die jeden Augen¬
blick platzen konnte und wich nicht mehr von ihrer
Seite, bis wir in Deſenzano waren. Ein Jammer
um die ſchöne Fahrt! Sie iſt leider gleichfalls nach
Verona gekommen, und ich habe, während ich ſie
überwachte, meine Familie aus den Augen verloren.
In Deſenzano auf der Station ging der Doktor an
mir vorüber, beladen mit warmen Koteletts und Bröt¬
chen, er ſah mich nicht und ich — herabgeſunken zum
Ritter der Hechingen, der ich eben zwei Apfelſinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/244>, abgerufen am 13.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.