er hat unterwegs viel Kopfweh gehabt, sein Köpfchen war immer heiß, wenn ich es anfühlte -- ein paar Mal, wenn ich die Hand vom Korb nahm, hat er heftig geniest, um mich an meine Pflicht zu erinnern, sonst war er musterhaft. Und doch haben wir seinet¬ wegen ein schreckliches Abenteuer ausgestanden, es war zwischen Innsbruck und Matrei, ich werde es nie ver¬ gessen. Als wir nämlich in Innsbruck wieder ein¬ stiegen, guckte ich noch einen Augenblick aus dem Fenster, denn Papa hatte mir die Martinswand ge¬ zeigt. Ihr wißt ja: "Willkommen Tirolerherzen, die Ihr so bieder schlagt!" und mein Auge hing ganz verzaubert an dem hochgethürmten sagenhaften Felsen -- es war mir, als müsse ich die Gestalt des kühnen Kaisersohnes in Alpenjägertracht dort oben zu ent¬ decken suchen! Da wir ganz allein im Coupe waren, hatte ich mich Putzi's wegen in Sorglosigkeit gewiegt. Plötzlich aber höre ich ihn winseln, scharf und lang¬ gezogen, durch die Nase, wie er immer thut, wenn er einen großen Kummer hat. Entsetzt sehe ich mich nach ihm um, da hebt sich der Korbdeckel, und das runde, schwarze Lockenköpfchen kommt zum Vorschein; im selben Augenblick aber, o Schrecken! öffnet sich die Coupethür, und der Schaffner blickt herein und schreit: "Jemand eingestiegen?" Ich warf mich über das Körbchen, um Putzi mit meinem Leibe zu decken, aber der Schaffner hatte ihn doch schon gesehen. Und nun
er hat unterwegs viel Kopfweh gehabt, ſein Köpfchen war immer heiß, wenn ich es anfühlte — ein paar Mal, wenn ich die Hand vom Korb nahm, hat er heftig genieſt, um mich an meine Pflicht zu erinnern, ſonſt war er muſterhaft. Und doch haben wir ſeinet¬ wegen ein ſchreckliches Abenteuer ausgeſtanden, es war zwiſchen Innsbruck und Matrei, ich werde es nie ver¬ geſſen. Als wir nämlich in Innsbruck wieder ein¬ ſtiegen, guckte ich noch einen Augenblick aus dem Fenſter, denn Papa hatte mir die Martinswand ge¬ zeigt. Ihr wißt ja: „Willkommen Tirolerherzen, die Ihr ſo bieder ſchlagt!“ und mein Auge hing ganz verzaubert an dem hochgethürmten ſagenhaften Felſen — es war mir, als müſſe ich die Geſtalt des kühnen Kaiſerſohnes in Alpenjägertracht dort oben zu ent¬ decken ſuchen! Da wir ganz allein im Coupé waren, hatte ich mich Putzi's wegen in Sorgloſigkeit gewiegt. Plötzlich aber höre ich ihn winſeln, ſcharf und lang¬ gezogen, durch die Naſe, wie er immer thut, wenn er einen großen Kummer hat. Entſetzt ſehe ich mich nach ihm um, da hebt ſich der Korbdeckel, und das runde, ſchwarze Lockenköpfchen kommt zum Vorſchein; im ſelben Augenblick aber, o Schrecken! öffnet ſich die Coupéthür, und der Schaffner blickt herein und ſchreit: „Jemand eingeſtiegen?“ Ich warf mich über das Körbchen, um Putzi mit meinem Leibe zu decken, aber der Schaffner hatte ihn doch ſchon geſehen. Und nun
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er hat unterwegs viel Kopfweh gehabt, ſein Köpfchen
war immer heiß, wenn ich es anfühlte — ein paar
Mal, wenn ich die Hand vom Korb nahm, hat er
heftig genieſt, um mich an meine Pflicht zu erinnern,
ſonſt war er muſterhaft. Und doch haben wir ſeinet¬
wegen ein ſchreckliches Abenteuer ausgeſtanden, es war
zwiſchen Innsbruck und Matrei, ich werde es nie ver¬
geſſen. Als wir nämlich in Innsbruck wieder ein¬
ſtiegen, guckte ich noch einen Augenblick aus dem
Fenſter, denn Papa hatte mir die Martinswand ge¬
zeigt. Ihr wißt ja: „Willkommen Tirolerherzen, die
Ihr ſo bieder ſchlagt!“ und mein Auge hing ganz
verzaubert an dem hochgethürmten ſagenhaften Felſen
— es war mir, als müſſe ich die Geſtalt des kühnen
Kaiſerſohnes in Alpenjägertracht dort oben zu ent¬
decken ſuchen! Da wir ganz allein im Coupé waren,
hatte ich mich Putzi's wegen in Sorgloſigkeit gewiegt.
Plötzlich aber höre ich ihn winſeln, ſcharf und lang¬
gezogen, durch die Naſe, wie er immer thut, wenn
er einen großen Kummer hat. Entſetzt ſehe ich mich
nach ihm um, da hebt ſich der Korbdeckel, und das
runde, ſchwarze Lockenköpfchen kommt zum Vorſchein;
im ſelben Augenblick aber, o Schrecken! öffnet ſich die
Coupéthür, und der Schaffner blickt herein und ſchreit:
„Jemand eingeſtiegen?“ Ich warf mich über das
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/208>, abgerufen am 13.10.2024.
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