Max stand lange wortlos vor der herrlichen Statue, deren fast übermenschliche Größe und ruhige Schönheit in diesem bunten Gewühl wie ein Zauber wirkten.
"Nun sehen Sie, das ist diese antikisirende Rich¬ tung," näselte es hinter ihnen, "Künstler? Heuvels in Rom, ah, Rom, dacht' ich mir -- die sitzen da so drin bis an den Hals -- das Zeitgemäße, das Ak¬ tuelle ist für diese Sorte nicht vorhanden, übrigens garnicht ohne Talent gemacht, -- wenn der jetzt in Berlin --"
Max wandte zornig den Kopf. Loni zupfte ihn am Rock und kniff die Augen zu: "Gelt, Max, der ist dumm!" sagte sie mit Ueberzeugung. Der Maler sah seine kleine Frau überrascht und strahlend an; die zwei Kritiker waren weggegangen.
"Da schau nur, Schatz," flüsterte Loni, "wie sich das schöne Thier, ein Reh wird's sein, an sie heran¬ schneckelt! o weh, es hat was am Haxen --"
"Diese unvergleichliche Neigung der ganzen Ge¬ stalt," hörten sie hinter sich sagen. Ein feines ält¬ liches Frauenantlitz blickte bewundernd auf die Sta¬ tue, ihre Worte galten dem halbwüchsigen Knaben an ihrer Seite.
"Aber wem reicht sie die Schale hin, Mutter? Es ist ja Niemand da," sagte der Knabe.
"Sie reicht sie Allen, die leiden; siehst Du, die
Max ſtand lange wortlos vor der herrlichen Statue, deren faſt übermenſchliche Größe und ruhige Schönheit in dieſem bunten Gewühl wie ein Zauber wirkten.
„Nun ſehen Sie, das iſt dieſe antikiſirende Rich¬ tung,“ näſelte es hinter ihnen, „Künſtler? Heuvels in Rom, ah, Rom, dacht' ich mir — die ſitzen da ſo drin bis an den Hals — das Zeitgemäße, das Ak¬ tuelle iſt für dieſe Sorte nicht vorhanden, übrigens garnicht ohne Talent gemacht, — wenn der jetzt in Berlin —“
Max wandte zornig den Kopf. Loni zupfte ihn am Rock und kniff die Augen zu: „Gelt, Max, der iſt dumm!“ ſagte ſie mit Ueberzeugung. Der Maler ſah ſeine kleine Frau überraſcht und ſtrahlend an; die zwei Kritiker waren weggegangen.
„Da ſchau nur, Schatz,“ flüſterte Loni, „wie ſich das ſchöne Thier, ein Reh wird's ſein, an ſie heran¬ ſchneckelt! o weh, es hat was am Haxen —“
„Dieſe unvergleichliche Neigung der ganzen Ge¬ ſtalt,“ hörten ſie hinter ſich ſagen. Ein feines ält¬ liches Frauenantlitz blickte bewundernd auf die Sta¬ tue, ihre Worte galten dem halbwüchſigen Knaben an ihrer Seite.
„Aber wem reicht ſie die Schale hin, Mutter? Es iſt ja Niemand da,“ ſagte der Knabe.
„Sie reicht ſie Allen, die leiden; ſiehſt Du, die
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Max ſtand lange wortlos vor der herrlichen
Statue, deren faſt übermenſchliche Größe und ruhige
Schönheit in dieſem bunten Gewühl wie ein Zauber
wirkten.
„Nun ſehen Sie, das iſt dieſe antikiſirende Rich¬
tung,“ näſelte es hinter ihnen, „Künſtler? Heuvels
in Rom, ah, Rom, dacht' ich mir — die ſitzen da ſo
drin bis an den Hals — das Zeitgemäße, das Ak¬
tuelle iſt für dieſe Sorte nicht vorhanden, übrigens
garnicht ohne Talent gemacht, — wenn der jetzt in
Berlin —“
Max wandte zornig den Kopf. Loni zupfte ihn
am Rock und kniff die Augen zu: „Gelt, Max, der
iſt dumm!“ ſagte ſie mit Ueberzeugung. Der Maler
ſah ſeine kleine Frau überraſcht und ſtrahlend an;
die zwei Kritiker waren weggegangen.
„Da ſchau nur, Schatz,“ flüſterte Loni, „wie ſich
das ſchöne Thier, ein Reh wird's ſein, an ſie heran¬
ſchneckelt! o weh, es hat was am Haxen —“
„Dieſe unvergleichliche Neigung der ganzen Ge¬
ſtalt,“ hörten ſie hinter ſich ſagen. Ein feines ält¬
liches Frauenantlitz blickte bewundernd auf die Sta¬
tue, ihre Worte galten dem halbwüchſigen Knaben an
ihrer Seite.
„Aber wem reicht ſie die Schale hin, Mutter?
Es iſt ja Niemand da,“ ſagte der Knabe.
„Sie reicht ſie Allen, die leiden; ſiehſt Du, die
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/159>, abgerufen am 16.07.2024.
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