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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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Es war sechs Jahre später. Da kamen an
einem Septembernachmittage zwei Fremde in Stutt¬
gart an, ein Herr und eine Dame. Daß sie fremd
hier waren, hörte man an den entzückten Ausrufen
der jungen Frau im grauen Reiseschleier, als sie am
Königsbau standen und ihre Augen über die Palmen
und Bananen des Schloßplatzes hinweg zu der lieb¬
lichen Hügelkette dahinter wandern ließen. Die grü¬
nen Weinberge dort, der rothe Erdboden, die hell¬
getünchten Häuschen unter den Obstbäumen, all' das
strahlte und glühte in reinen satten Farben, erhöht
und doch wieder gemildert durch den sonnigen Staub,
der die ganze Luft erfüllte.

"Das ist ja wie bei uns unten in Italien,"
sagte die Dame, "jetzt freut mich's erst, daß sie hier
wohnt, gelt, Maxl? Ob wohl die Forststraß' da
droben ist, wo die netten gelben Häuserln stehen?"

Nein, die Forststraße lag hinter ihnen, wie man
sie belehrte, und sie hatten durch allerlei Gassen zu
gehen, das Grün hinter sich zu lassen, zwischen
Mauern dahinzuschreiten, die Gluthhitze von sich
spieen, auf weiß blendendem Boden, der heiß war.

Loni, die ein wenig stark geworden, stützte sich
schwer auf ihren Mann.

Endlich standen sie vor einem größeren Gebäude,
das den Eindruck machte, ein öffentliches zu sein.
Ein Vorgärtchen mit bestaubten Sträuchern schied es

Es war ſechs Jahre ſpäter. Da kamen an
einem Septembernachmittage zwei Fremde in Stutt¬
gart an, ein Herr und eine Dame. Daß ſie fremd
hier waren, hörte man an den entzückten Ausrufen
der jungen Frau im grauen Reiſeſchleier, als ſie am
Königsbau ſtanden und ihre Augen über die Palmen
und Bananen des Schloßplatzes hinweg zu der lieb¬
lichen Hügelkette dahinter wandern ließen. Die grü¬
nen Weinberge dort, der rothe Erdboden, die hell¬
getünchten Häuschen unter den Obſtbäumen, all' das
ſtrahlte und glühte in reinen ſatten Farben, erhöht
und doch wieder gemildert durch den ſonnigen Staub,
der die ganze Luft erfüllte.

„Das iſt ja wie bei uns unten in Italien,“
ſagte die Dame, „jetzt freut mich's erſt, daß ſie hier
wohnt, gelt, Maxl? Ob wohl die Forſtſtraß' da
droben iſt, wo die netten gelben Häuſerln ſtehen?“

Nein, die Forſtſtraße lag hinter ihnen, wie man
ſie belehrte, und ſie hatten durch allerlei Gaſſen zu
gehen, das Grün hinter ſich zu laſſen, zwiſchen
Mauern dahinzuſchreiten, die Gluthhitze von ſich
ſpieen, auf weiß blendendem Boden, der heiß war.

Loni, die ein wenig ſtark geworden, ſtützte ſich
ſchwer auf ihren Mann.

Endlich ſtanden ſie vor einem größeren Gebäude,
das den Eindruck machte, ein öffentliches zu ſein.
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[136/0152] Es war ſechs Jahre ſpäter. Da kamen an einem Septembernachmittage zwei Fremde in Stutt¬ gart an, ein Herr und eine Dame. Daß ſie fremd hier waren, hörte man an den entzückten Ausrufen der jungen Frau im grauen Reiſeſchleier, als ſie am Königsbau ſtanden und ihre Augen über die Palmen und Bananen des Schloßplatzes hinweg zu der lieb¬ lichen Hügelkette dahinter wandern ließen. Die grü¬ nen Weinberge dort, der rothe Erdboden, die hell¬ getünchten Häuschen unter den Obſtbäumen, all' das ſtrahlte und glühte in reinen ſatten Farben, erhöht und doch wieder gemildert durch den ſonnigen Staub, der die ganze Luft erfüllte. „Das iſt ja wie bei uns unten in Italien,“ ſagte die Dame, „jetzt freut mich's erſt, daß ſie hier wohnt, gelt, Maxl? Ob wohl die Forſtſtraß' da droben iſt, wo die netten gelben Häuſerln ſtehen?“ Nein, die Forſtſtraße lag hinter ihnen, wie man ſie belehrte, und ſie hatten durch allerlei Gaſſen zu gehen, das Grün hinter ſich zu laſſen, zwiſchen Mauern dahinzuſchreiten, die Gluthhitze von ſich ſpieen, auf weiß blendendem Boden, der heiß war. Loni, die ein wenig ſtark geworden, ſtützte ſich ſchwer auf ihren Mann. Endlich ſtanden ſie vor einem größeren Gebäude, das den Eindruck machte, ein öffentliches zu ſein. Ein Vorgärtchen mit beſtaubten Sträuchern ſchied es

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/152>, abgerufen am 24.11.2024.