"Weil ein Krankes zuvor gesund werden soll, eh' es, Entschüsse faßt! Versprich!"
Er legte zögernd seine Hand in die ihre; sie drückte sie kurz und fest.
"Und nun horch, was wir vorhaben, liebes Kind; das Schliers kenn' ich gut, bin schon zweimal zur Sommerfrische dort gewesen; und, gelt, wir ge¬ hen ins Ort, nicht auf den Freudenberg; es ist zwar sehr schön droben, aber es kommen da so Pensions¬ gäste hin, mit Schleppen und Strickstrümpfen, allerlei Familienbrei, da setzen wir uns nicht drunter. Und der Leo muß mit, daß man Eins um die Hand hat, und das Dummerl geht auch mit in 'm Körble, es hat dort so herrliche Holzställe und Scheuern, wo's herumstreunen kann."
Wie anders hatte sich der junge Bildhauer seinen ersten Reiseausflug ins Gebirge vorgestellt! Nicht im verräucherten Eisenbahnwagen, im rüstigen Wanderschritt, mit leichtem Gepäck hatte er gehofft, die schöne Welt zu sehen. Nun war das Gewicht, das er mit sich herumtrug, so schwer, daß er darüber der schönen Welt vergaß und mühselig und stumpf wie die blinde Schnecke dahin kroch. Die Treue der geliebten Gefährtin machte ihn wohl auf Stunden
„Willſt mir nun Eins verſprechen? Du weißt was?“
„Warum?“ bat er dringend.
„Weil ein Krankes zuvor geſund werden ſoll, eh' es, Entſchüſſe faßt! Verſprich!“
Er legte zögernd ſeine Hand in die ihre; ſie drückte ſie kurz und feſt.
„Und nun horch, was wir vorhaben, liebes Kind; das Schliers kenn' ich gut, bin ſchon zweimal zur Sommerfriſche dort geweſen; und, gelt, wir ge¬ hen ins Ort, nicht auf den Freudenberg; es iſt zwar ſehr ſchön droben, aber es kommen da ſo Penſions¬ gäſte hin, mit Schleppen und Strickſtrümpfen, allerlei Familienbrei, da ſetzen wir uns nicht drunter. Und der Leo muß mit, daß man Eins um die Hand hat, und das Dummerl geht auch mit in 'm Körble, es hat dort ſo herrliche Holzſtälle und Scheuern, wo's herumſtreunen kann.“
Wie anders hatte ſich der junge Bildhauer ſeinen erſten Reiſeausflug ins Gebirge vorgeſtellt! Nicht im verräucherten Eiſenbahnwagen, im rüſtigen Wanderſchritt, mit leichtem Gepäck hatte er gehofft, die ſchöne Welt zu ſehen. Nun war das Gewicht, das er mit ſich herumtrug, ſo ſchwer, daß er darüber der ſchönen Welt vergaß und mühſelig und ſtumpf wie die blinde Schnecke dahin kroch. Die Treue der geliebten Gefährtin machte ihn wohl auf Stunden
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„Willſt mir nun Eins verſprechen? Du weißt
was?“
„Warum?“ bat er dringend.
„Weil ein Krankes zuvor geſund werden ſoll, eh'
es, Entſchüſſe faßt! Verſprich!“
Er legte zögernd ſeine Hand in die ihre; ſie
drückte ſie kurz und feſt.
„Und nun horch, was wir vorhaben, liebes
Kind; das Schliers kenn' ich gut, bin ſchon zweimal
zur Sommerfriſche dort geweſen; und, gelt, wir ge¬
hen ins Ort, nicht auf den Freudenberg; es iſt zwar
ſehr ſchön droben, aber es kommen da ſo Penſions¬
gäſte hin, mit Schleppen und Strickſtrümpfen, allerlei
Familienbrei, da ſetzen wir uns nicht drunter. Und
der Leo muß mit, daß man Eins um die Hand hat,
und das Dummerl geht auch mit in 'm Körble, es
hat dort ſo herrliche Holzſtälle und Scheuern, wo's
herumſtreunen kann.“
Wie anders hatte ſich der junge Bildhauer
ſeinen erſten Reiſeausflug ins Gebirge vorgeſtellt!
Nicht im verräucherten Eiſenbahnwagen, im rüſtigen
Wanderſchritt, mit leichtem Gepäck hatte er gehofft,
die ſchöne Welt zu ſehen. Nun war das Gewicht,
das er mit ſich herumtrug, ſo ſchwer, daß er darüber
der ſchönen Welt vergaß und mühſelig und ſtumpf
wie die blinde Schnecke dahin kroch. Die Treue der
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/123>, abgerufen am 15.08.2024.
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