Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

der Kranke dem Tageslicht aussetze; ein breitkrämpiger
Hut schützte vor den blendenden Strahlen. Die
rothen Flecke in den Augen hatten sich in weißliche
verwandelt, die, immer undurchsichtiger werdend, das
dunkle Blau der Iris und der Pupille verdeckten.
Das war der Staar, den der Arzt vorausgesagt
hatte. Je mehr er reifte, desto schwächer ward die
Dämmerung, die noch hindurch fiel und dem Ver¬
letzten die Hoffnung erhielt, daß es drinnen noch ge¬
sund sei. Sie versuchten, Spaziergänge zu machen;
doch erwies sich der Bub als ein kaum geschickter
Führer, und sobald ein Straßenübergang nöthig ward,
gerieth Marianne in Angst, vor rasch daherfahrenden
Wagen.

"Sie sollten hinausziehen, es wird ohnedies bald
heiß werden," rieth ihm der Doktor.

"Marianne?" fragte Alfred statt aller Antwort.

"Ich hab's mir auch schon gedacht," versetzte sie
bereitwillig, "ich geh sogleich zur Huber und kündige
das Logis auf."

"Aber allein können Sie's nicht unternehmen,"
sagte der Arzt und blickte das Fräulein fragend an.

"Ich weiß, ich bleibe bei ihm," -- es war ihr
aber doch ein leichtes Roth ins Gesicht gestiegen. Sie
verließ schnell das Zimmer.

"Sie dürfen dankbar sein," meinte der Doktor
zu Alfred.

der Kranke dem Tageslicht ausſetze; ein breitkrämpiger
Hut ſchützte vor den blendenden Strahlen. Die
rothen Flecke in den Augen hatten ſich in weißliche
verwandelt, die, immer undurchſichtiger werdend, das
dunkle Blau der Iris und der Pupille verdeckten.
Das war der Staar, den der Arzt vorausgeſagt
hatte. Je mehr er reifte, deſto ſchwächer ward die
Dämmerung, die noch hindurch fiel und dem Ver¬
letzten die Hoffnung erhielt, daß es drinnen noch ge¬
ſund ſei. Sie verſuchten, Spaziergänge zu machen;
doch erwies ſich der Bub als ein kaum geſchickter
Führer, und ſobald ein Straßenübergang nöthig ward,
gerieth Marianne in Angſt, vor raſch daherfahrenden
Wagen.

„Sie ſollten hinausziehen, es wird ohnedies bald
heiß werden,“ rieth ihm der Doktor.

„Marianne?“ fragte Alfred ſtatt aller Antwort.

„Ich hab's mir auch ſchon gedacht,“ verſetzte ſie
bereitwillig, „ich geh ſogleich zur Huber und kündige
das Logis auf.“

„Aber allein können Sie's nicht unternehmen,“
ſagte der Arzt und blickte das Fräulein fragend an.

„Ich weiß, ich bleibe bei ihm,“ — es war ihr
aber doch ein leichtes Roth ins Geſicht geſtiegen. Sie
verließ ſchnell das Zimmer.

„Sie dürfen dankbar ſein,“ meinte der Doktor
zu Alfred.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="103"/>
der Kranke dem Tageslicht aus&#x017F;etze; ein breitkrämpiger<lb/>
Hut &#x017F;chützte vor den blendenden Strahlen. Die<lb/>
rothen Flecke in den Augen hatten &#x017F;ich in weißliche<lb/>
verwandelt, die, immer undurch&#x017F;ichtiger werdend, das<lb/>
dunkle Blau der Iris und der Pupille verdeckten.<lb/>
Das war der Staar, den der Arzt vorausge&#x017F;agt<lb/>
hatte. Je mehr er reifte, de&#x017F;to &#x017F;chwächer ward die<lb/>
Dämmerung, die noch hindurch fiel und dem Ver¬<lb/>
letzten die Hoffnung erhielt, daß es drinnen noch ge¬<lb/>
&#x017F;und &#x017F;ei. Sie ver&#x017F;uchten, Spaziergänge zu machen;<lb/>
doch erwies &#x017F;ich der Bub als ein kaum ge&#x017F;chickter<lb/>
Führer, und &#x017F;obald ein Straßenübergang nöthig ward,<lb/>
gerieth Marianne in Ang&#x017F;t, vor ra&#x017F;ch daherfahrenden<lb/>
Wagen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie &#x017F;ollten hinausziehen, es wird ohnedies bald<lb/>
heiß werden,&#x201C; rieth ihm der Doktor.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Marianne?&#x201C; fragte Alfred &#x017F;tatt aller Antwort.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich hab's mir auch &#x017F;chon gedacht,&#x201C; ver&#x017F;etzte &#x017F;ie<lb/>
bereitwillig, &#x201E;ich geh &#x017F;ogleich zur Huber und kündige<lb/>
das Logis auf.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber allein können Sie's nicht unternehmen,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte der Arzt und blickte das Fräulein fragend an.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich weiß, ich bleibe bei ihm,&#x201C; &#x2014; es war ihr<lb/>
aber doch ein leichtes Roth ins Ge&#x017F;icht ge&#x017F;tiegen. Sie<lb/>
verließ &#x017F;chnell das Zimmer.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie dürfen dankbar &#x017F;ein,&#x201C; meinte der Doktor<lb/>
zu Alfred.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0119] der Kranke dem Tageslicht ausſetze; ein breitkrämpiger Hut ſchützte vor den blendenden Strahlen. Die rothen Flecke in den Augen hatten ſich in weißliche verwandelt, die, immer undurchſichtiger werdend, das dunkle Blau der Iris und der Pupille verdeckten. Das war der Staar, den der Arzt vorausgeſagt hatte. Je mehr er reifte, deſto ſchwächer ward die Dämmerung, die noch hindurch fiel und dem Ver¬ letzten die Hoffnung erhielt, daß es drinnen noch ge¬ ſund ſei. Sie verſuchten, Spaziergänge zu machen; doch erwies ſich der Bub als ein kaum geſchickter Führer, und ſobald ein Straßenübergang nöthig ward, gerieth Marianne in Angſt, vor raſch daherfahrenden Wagen. „Sie ſollten hinausziehen, es wird ohnedies bald heiß werden,“ rieth ihm der Doktor. „Marianne?“ fragte Alfred ſtatt aller Antwort. „Ich hab's mir auch ſchon gedacht,“ verſetzte ſie bereitwillig, „ich geh ſogleich zur Huber und kündige das Logis auf.“ „Aber allein können Sie's nicht unternehmen,“ ſagte der Arzt und blickte das Fräulein fragend an. „Ich weiß, ich bleibe bei ihm,“ — es war ihr aber doch ein leichtes Roth ins Geſicht geſtiegen. Sie verließ ſchnell das Zimmer. „Sie dürfen dankbar ſein,“ meinte der Doktor zu Alfred.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/119
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/119>, abgerufen am 04.05.2024.