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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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Er fühlte, wie sie sich in seinen Armen schüttelte.
Nun machte sie sich vollends los, streifte auch seine
Hände ab.

"Bedenk', es war nur dies eine Mal, wird nie
wieder sein."

"Ist das Liebe?" grollte er, die Arme ins Leere
ausgestreckt, "thut so die Liebe?"

"Sie trachtet nicht nach Schaden," sagte sie mit
der gewohnten klaren Stimme. "Horch, der Bub
kommt mit dem Nachtessen, da halt ich mit, wie sonst,
und schreib' dann an den Wolff, wenn Dir's recht ist."

"Ach," klagte er, "Deine Empfindung für mich ist
doch nur Theilnahme, Mitleid, und ich -- ich liebe Dich!"

"Theilnahme, Mitleid, Freundschaft, Liebe, warum
müßt Ihr nur den Menschen in soviel Stücke zerlegen!"
erwiderte sie eifrig, "ist ja doch Alles ein Gefühl!"

"Aber Liebe will doch auch haben, will nicht
bloß geben," murmelte er.

"Das ist ein Märchen," sagte sie zuversichtlich,
"glaub' mir, Alfred, damit ist's nichts. Ein Kniff,
eine niedrige Sach' mit einem hohen Namen zu ver¬
decken." Sie brach ab, athmete heftig, lachte kurz
auf und sagte befangen: "Du meinst, weil ich Dich
vorhin geküßt hab', könntest so mit mir sprechen?
Weißt, ich hab' einen lieben einzigen Bruder gehabt,
mit dem bin ich aufgewachsen und nach der Eltern
Tod zusammen blieben; da haben sie ihn vor drei

Er fühlte, wie ſie ſich in ſeinen Armen ſchüttelte.
Nun machte ſie ſich vollends los, ſtreifte auch ſeine
Hände ab.

„Bedenk', es war nur dies eine Mal, wird nie
wieder ſein.“

„Iſt das Liebe?“ grollte er, die Arme ins Leere
ausgeſtreckt, „thut ſo die Liebe?“

„Sie trachtet nicht nach Schaden,“ ſagte ſie mit
der gewohnten klaren Stimme. „Horch, der Bub
kommt mit dem Nachteſſen, da halt ich mit, wie ſonſt,
und ſchreib' dann an den Wolff, wenn Dir's recht iſt.“

„Ach,“ klagte er, „Deine Empfindung für mich iſt
doch nur Theilnahme, Mitleid, und ich — ich liebe Dich!“

„Theilnahme, Mitleid, Freundſchaft, Liebe, warum
müßt Ihr nur den Menſchen in ſoviel Stücke zerlegen!“
erwiderte ſie eifrig, „iſt ja doch Alles ein Gefühl!“

„Aber Liebe will doch auch haben, will nicht
bloß geben,“ murmelte er.

„Das iſt ein Märchen,“ ſagte ſie zuverſichtlich,
„glaub' mir, Alfred, damit iſt's nichts. Ein Kniff,
eine niedrige Sach' mit einem hohen Namen zu ver¬
decken.“ Sie brach ab, athmete heftig, lachte kurz
auf und ſagte befangen: „Du meinſt, weil ich Dich
vorhin geküßt hab', könnteſt ſo mit mir ſprechen?
Weißt, ich hab' einen lieben einzigen Bruder gehabt,
mit dem bin ich aufgewachſen und nach der Eltern
Tod zuſammen blieben; da haben ſie ihn vor drei

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[100/0116] Er fühlte, wie ſie ſich in ſeinen Armen ſchüttelte. Nun machte ſie ſich vollends los, ſtreifte auch ſeine Hände ab. „Bedenk', es war nur dies eine Mal, wird nie wieder ſein.“ „Iſt das Liebe?“ grollte er, die Arme ins Leere ausgeſtreckt, „thut ſo die Liebe?“ „Sie trachtet nicht nach Schaden,“ ſagte ſie mit der gewohnten klaren Stimme. „Horch, der Bub kommt mit dem Nachteſſen, da halt ich mit, wie ſonſt, und ſchreib' dann an den Wolff, wenn Dir's recht iſt.“ „Ach,“ klagte er, „Deine Empfindung für mich iſt doch nur Theilnahme, Mitleid, und ich — ich liebe Dich!“ „Theilnahme, Mitleid, Freundſchaft, Liebe, warum müßt Ihr nur den Menſchen in ſoviel Stücke zerlegen!“ erwiderte ſie eifrig, „iſt ja doch Alles ein Gefühl!“ „Aber Liebe will doch auch haben, will nicht bloß geben,“ murmelte er. „Das iſt ein Märchen,“ ſagte ſie zuverſichtlich, „glaub' mir, Alfred, damit iſt's nichts. Ein Kniff, eine niedrige Sach' mit einem hohen Namen zu ver¬ decken.“ Sie brach ab, athmete heftig, lachte kurz auf und ſagte befangen: „Du meinſt, weil ich Dich vorhin geküßt hab', könnteſt ſo mit mir ſprechen? Weißt, ich hab' einen lieben einzigen Bruder gehabt, mit dem bin ich aufgewachſen und nach der Eltern Tod zuſammen blieben; da haben ſie ihn vor drei

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/116>, abgerufen am 04.05.2024.