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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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noch eintrifft, versteht sich, unsere Tochter. Daß sie
nur käme! Die Kleine verzehrt sich buchstäblich über
dieser fixen Idee. Bei jedem Wagen, der die Straße
heraufrollt, stürzt sie an's Fenster und schaut hinaus.
""Hardine, Fräulein Hardine!"" sind fast die einzigen
Worte, die ihre Lippen berühren. Vorgestern, wo wir sie mit
Bestimmtheit erwarteten, habe ich selber mich über die
kleine Thorheit geärgert. Sie ist in diesen acht Tagen
abgemagert zum Skelett; der Verlobungsring, der ihr
so drall am Finger saß, rollt bei der geringsten Hand¬
thierung in ihren Schoß. Sogar an den Brautputz
denkt sie nicht. ""Es wird doch nichts daraus!"" mur¬
melte sie, als Adelheid neulich davon anfing. Hysterie,
Probst, nennt man ja wohl diese Launen bei dem
Frauenvolk? Gottlob, unsere Dine hat von dem
Wesen keine Spur." --

"Und zeigt der Bräutigam keine Art von Beun¬
ruhigung über diesen jedenfalls verwunderlichen Herzens¬
zustand?" wagte ich zu äußern: ein Zweifel, welchen
der ritterliche Herr Major aber nahezu als eine
Ehrenkränkung zurückwies. -- "Wie meinen Sie das,
Probst?" rief er unwillig. "Hat der Mann nicht
Adelheids und mein eignes Zeugniß für des Mädchens
untadeliges Verhalten? Würde ohne dasselbe unsere

noch eintrifft, verſteht ſich, unſere Tochter. Daß ſie
nur käme! Die Kleine verzehrt ſich buchſtäblich über
dieſer fixen Idee. Bei jedem Wagen, der die Straße
heraufrollt, ſtürzt ſie an’s Fenſter und ſchaut hinaus.
„„Hardine, Fräulein Hardine!““ ſind faſt die einzigen
Worte, die ihre Lippen berühren. Vorgeſtern, wo wir ſie mit
Beſtimmtheit erwarteten, habe ich ſelber mich über die
kleine Thorheit geärgert. Sie iſt in dieſen acht Tagen
abgemagert zum Skelett; der Verlobungsring, der ihr
ſo drall am Finger ſaß, rollt bei der geringſten Hand¬
thierung in ihren Schoß. Sogar an den Brautputz
denkt ſie nicht. „„Es wird doch nichts daraus!““ mur¬
melte ſie, als Adelheid neulich davon anfing. Hyſterie,
Probſt, nennt man ja wohl dieſe Launen bei dem
Frauenvolk? Gottlob, unſere Dine hat von dem
Weſen keine Spur.“ —

„Und zeigt der Bräutigam keine Art von Beun¬
ruhigung über dieſen jedenfalls verwunderlichen Herzens¬
zuſtand?“ wagte ich zu äußern: ein Zweifel, welchen
der ritterliche Herr Major aber nahezu als eine
Ehrenkränkung zurückwies. — „Wie meinen Sie das,
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[90/0094] noch eintrifft, verſteht ſich, unſere Tochter. Daß ſie nur käme! Die Kleine verzehrt ſich buchſtäblich über dieſer fixen Idee. Bei jedem Wagen, der die Straße heraufrollt, ſtürzt ſie an’s Fenſter und ſchaut hinaus. „„Hardine, Fräulein Hardine!““ ſind faſt die einzigen Worte, die ihre Lippen berühren. Vorgeſtern, wo wir ſie mit Beſtimmtheit erwarteten, habe ich ſelber mich über die kleine Thorheit geärgert. Sie iſt in dieſen acht Tagen abgemagert zum Skelett; der Verlobungsring, der ihr ſo drall am Finger ſaß, rollt bei der geringſten Hand¬ thierung in ihren Schoß. Sogar an den Brautputz denkt ſie nicht. „„Es wird doch nichts daraus!““ mur¬ melte ſie, als Adelheid neulich davon anfing. Hyſterie, Probſt, nennt man ja wohl dieſe Launen bei dem Frauenvolk? Gottlob, unſere Dine hat von dem Weſen keine Spur.“ — „Und zeigt der Bräutigam keine Art von Beun¬ ruhigung über dieſen jedenfalls verwunderlichen Herzens¬ zuſtand?“ wagte ich zu äußern: ein Zweifel, welchen der ritterliche Herr Major aber nahezu als eine Ehrenkränkung zurückwies. — „Wie meinen Sie das, Probſt?“ rief er unwillig. „Hat der Mann nicht Adelheids und mein eignes Zeugniß für des Mädchens untadeliges Verhalten? Würde ohne daſſelbe unſere

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/94>, abgerufen am 26.04.2024.