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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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"So dächtest Du, ihm Dein Geheimniß zu be¬
kennen, Dorothee?"

"Wie sollte ich nicht, Fräulein Hardine? Ich
nähme ihn ja nur, um das Kind zu versorgen. Nur
um des Kindes willen."

"Auch schon ehe er Dein Mann geworden ist, es
ihm bekennen?"

"Wenn Sie es für Pflicht halten, auch schon zuvor."

"Und Du glaubst, daß er dennoch Dein Mann
werden würde?"

"Ich glaube es, Fräulein Hardine."

Ich schwieg eine Weile. Dorothee saß mir im
Fenster gegenüber, die Hände über der Brust gekreuzt.
Unwillkürlich fiel mein Blick auf den Verlobungsring,
den sie noch immer am Finger trug. Sie bemerkte
den Blick und sagte erröthend, indem sie sich vergeb¬
lich bemühte, den Reif abzustreifen: "Er ist mir in's
Fleisch gewachsen."

Es war im achten Jahre, seit Siegmund Faber
von hinnen gegangen, im fünften seines spurlosen
Verschwindens; niemand zweifelte an seinem Tode.
Lebte er aber selbst -- und eine innerliche Stimme
sagte mir immerfort: er lebt!" -- lebte er und kehrte
er zurück: dieser Mann konnte nimmermehr dieses

„So dächteſt Du, ihm Dein Geheimniß zu be¬
kennen, Dorothee?“

„Wie ſollte ich nicht, Fräulein Hardine? Ich
nähme ihn ja nur, um das Kind zu verſorgen. Nur
um des Kindes willen.“

„Auch ſchon ehe er Dein Mann geworden iſt, es
ihm bekennen?“

„Wenn Sie es für Pflicht halten, auch ſchon zuvor.“

„Und Du glaubſt, daß er dennoch Dein Mann
werden würde?“

„Ich glaube es, Fräulein Hardine.“

Ich ſchwieg eine Weile. Dorothee ſaß mir im
Fenſter gegenüber, die Hände über der Bruſt gekreuzt.
Unwillkürlich fiel mein Blick auf den Verlobungsring,
den ſie noch immer am Finger trug. Sie bemerkte
den Blick und ſagte erröthend, indem ſie ſich vergeb¬
lich bemühte, den Reif abzuſtreifen: „Er iſt mir in's
Fleiſch gewachſen.“

Es war im achten Jahre, ſeit Siegmund Faber
von hinnen gegangen, im fünften ſeines ſpurloſen
Verſchwindens; niemand zweifelte an ſeinem Tode.
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ſagte mir immerfort: er lebt!“ — lebte er und kehrte
er zurück: dieſer Mann konnte nimmermehr dieſes

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[58/0062] „So dächteſt Du, ihm Dein Geheimniß zu be¬ kennen, Dorothee?“ „Wie ſollte ich nicht, Fräulein Hardine? Ich nähme ihn ja nur, um das Kind zu verſorgen. Nur um des Kindes willen.“ „Auch ſchon ehe er Dein Mann geworden iſt, es ihm bekennen?“ „Wenn Sie es für Pflicht halten, auch ſchon zuvor.“ „Und Du glaubſt, daß er dennoch Dein Mann werden würde?“ „Ich glaube es, Fräulein Hardine.“ Ich ſchwieg eine Weile. Dorothee ſaß mir im Fenſter gegenüber, die Hände über der Bruſt gekreuzt. Unwillkürlich fiel mein Blick auf den Verlobungsring, den ſie noch immer am Finger trug. Sie bemerkte den Blick und ſagte erröthend, indem ſie ſich vergeb¬ lich bemühte, den Reif abzuſtreifen: „Er iſt mir in's Fleiſch gewachſen.“ Es war im achten Jahre, ſeit Siegmund Faber von hinnen gegangen, im fünften ſeines ſpurloſen Verſchwindens; niemand zweifelte an ſeinem Tode. Lebte er aber ſelbſt — und eine innerliche Stimme ſagte mir immerfort: er lebt!“ — lebte er und kehrte er zurück: dieſer Mann konnte nimmermehr dieſes

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/62>, abgerufen am 29.03.2024.