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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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hockte einsam und stumm vor der Thür, bis eine mit¬
leidige Nachbarin ihr einen Bissen reichte, oder sie in
ihr durchwärmtes Zimmer führte. Den Vater sah sie
fast nie. Wenn er spät in der Nacht heimkehrte,
schlief sie schon, und wenn er früh am Morgen wie¬
der aufbrach, schlief sie noch. Es ging jach abwärts
mit dem Manne, wie seine sterbende Frau es voraus¬
gesagt: aus dem Weinhause in die Branntweinskneipe,
aus dem Kreise kannegießernder Bürger unter ein Pu¬
blikum roher Gesellen. Sein lockigen Haare wurden
struppig, blutrothe Flecken brannten auf den gedunse¬
nen Wangen; die Adern schwollen neben den Narben
der Stirn, und ein wüstes Feuer brannte aus den
großen, blauen Augen, wenn er nach dem Pferde
schrie, das er tummeln, nach dem Säbel, mit dem er
den noch immer erwarteten Feind niederhauen wollte.
Das alte Soldatenherz rumorte noch wie einst, aber
Prinz Gustel war untergegangen, und das Vaterherz
hatte noch niemals pulsirt. Der Handschlag, den er
seinem sterbenden Weibe gegeben, war so gut wie ver¬
gessen.

Zu seinem Glücke kam der Tag, wo das letzte
Stück Hausrath, das letzte Kissen von Frau Lisettens
Brautschatz abgepfändet waren, wo der Hauswirth die

hockte einſam und ſtumm vor der Thür, bis eine mit¬
leidige Nachbarin ihr einen Biſſen reichte, oder ſie in
ihr durchwärmtes Zimmer führte. Den Vater ſah ſie
faſt nie. Wenn er ſpät in der Nacht heimkehrte,
ſchlief ſie ſchon, und wenn er früh am Morgen wie¬
der aufbrach, ſchlief ſie noch. Es ging jach abwärts
mit dem Manne, wie ſeine ſterbende Frau es voraus¬
geſagt: aus dem Weinhauſe in die Branntweinskneipe,
aus dem Kreiſe kannegießernder Bürger unter ein Pu¬
blikum roher Geſellen. Sein lockigen Haare wurden
ſtruppig, blutrothe Flecken brannten auf den gedunſe¬
nen Wangen; die Adern ſchwollen neben den Narben
der Stirn, und ein wüſtes Feuer brannte aus den
großen, blauen Augen, wenn er nach dem Pferde
ſchrie, das er tummeln, nach dem Säbel, mit dem er
den noch immer erwarteten Feind niederhauen wollte.
Das alte Soldatenherz rumorte noch wie einſt, aber
Prinz Guſtel war untergegangen, und das Vaterherz
hatte noch niemals pulſirt. Der Handſchlag, den er
ſeinem ſterbenden Weibe gegeben, war ſo gut wie ver¬
geſſen.

Zu ſeinem Glücke kam der Tag, wo das letzte
Stück Hausrath, das letzte Kiſſen von Frau Liſettens
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[40/0044] hockte einſam und ſtumm vor der Thür, bis eine mit¬ leidige Nachbarin ihr einen Biſſen reichte, oder ſie in ihr durchwärmtes Zimmer führte. Den Vater ſah ſie faſt nie. Wenn er ſpät in der Nacht heimkehrte, ſchlief ſie ſchon, und wenn er früh am Morgen wie¬ der aufbrach, ſchlief ſie noch. Es ging jach abwärts mit dem Manne, wie ſeine ſterbende Frau es voraus¬ geſagt: aus dem Weinhauſe in die Branntweinskneipe, aus dem Kreiſe kannegießernder Bürger unter ein Pu¬ blikum roher Geſellen. Sein lockigen Haare wurden ſtruppig, blutrothe Flecken brannten auf den gedunſe¬ nen Wangen; die Adern ſchwollen neben den Narben der Stirn, und ein wüſtes Feuer brannte aus den großen, blauen Augen, wenn er nach dem Pferde ſchrie, das er tummeln, nach dem Säbel, mit dem er den noch immer erwarteten Feind niederhauen wollte. Das alte Soldatenherz rumorte noch wie einſt, aber Prinz Guſtel war untergegangen, und das Vaterherz hatte noch niemals pulſirt. Der Handſchlag, den er ſeinem ſterbenden Weibe gegeben, war ſo gut wie ver¬ geſſen. Zu ſeinem Glücke kam der Tag, wo das letzte Stück Hausrath, das letzte Kiſſen von Frau Liſettens Brautſchatz abgepfändet waren, wo der Hauswirth die

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/44>, abgerufen am 16.04.2024.