seltsam! -- es ist der zwanzigste September, der Tag von Valmy, an dem ich diese Aufzeichnungen zu Ende bringe.
Und weiter las ich: der Mann, wie zwölf Jahre früher seine Gattin, war geschieden ohne Erben, ohne verwandtschaftlichen, oder nahe befreundeten Zusam¬ menhang. Kein ehrfürchtiges Gefühl wurde demnach verletzt, wenn ich Dir, Hardine, und dem, welchen Du liebtest, jetzt sagte: "Die Gattin dieses Mannes war Deines Vaters Mutter."
So hatte denn der alte Zauberer Tod die alten Gestalten noch einmal vor mir wach gerüttelt, und die ernsthafte, vergangene Zeit drängte sich in meine heitere Gegenwart hinein. Wunderbar aber, wie sich so Bild nach Bild im Zusammenhange entrollte, da er¬ schien mir auch das Deine, Hardine, plötzlich in einem neuen Licht.
Wohl war ich durch Deinen Anblick so manches¬ mal an die reizende Dorothee erinnert worden. Ich sah ihren lockigen Goldscheitel auf Deinem Haupt, manchen ihrer Züge, die fragenden Kinderaugen. Aber Deine Augen fragten nach etwas Anderem, als die ihren, Deine Gestalt war größer, die Farbe matter, und der stille Ernst der Bewegungen machte das ähnelnde Bild zu einer besonderen Erscheinung. Nein, es war
ſeltſam! — es iſt der zwanzigſte September, der Tag von Valmy, an dem ich dieſe Aufzeichnungen zu Ende bringe.
Und weiter las ich: der Mann, wie zwölf Jahre früher ſeine Gattin, war geſchieden ohne Erben, ohne verwandtſchaftlichen, oder nahe befreundeten Zuſam¬ menhang. Kein ehrfürchtiges Gefühl wurde demnach verletzt, wenn ich Dir, Hardine, und dem, welchen Du liebteſt, jetzt ſagte: „Die Gattin dieſes Mannes war Deines Vaters Mutter.“
So hatte denn der alte Zauberer Tod die alten Geſtalten noch einmal vor mir wach gerüttelt, und die ernſthafte, vergangene Zeit drängte ſich in meine heitere Gegenwart hinein. Wunderbar aber, wie ſich ſo Bild nach Bild im Zuſammenhange entrollte, da er¬ ſchien mir auch das Deine, Hardine, plötzlich in einem neuen Licht.
Wohl war ich durch Deinen Anblick ſo manches¬ mal an die reizende Dorothee erinnert worden. Ich ſah ihren lockigen Goldſcheitel auf Deinem Haupt, manchen ihrer Züge, die fragenden Kinderaugen. Aber Deine Augen fragten nach etwas Anderem, als die ihren, Deine Geſtalt war größer, die Farbe matter, und der ſtille Ernſt der Bewegungen machte das ähnelnde Bild zu einer beſonderen Erſcheinung. Nein, es war
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ſeltſam! — es iſt der zwanzigſte September, der Tag von
Valmy, an dem ich dieſe Aufzeichnungen zu Ende bringe.
Und weiter las ich: der Mann, wie zwölf Jahre
früher ſeine Gattin, war geſchieden ohne Erben, ohne
verwandtſchaftlichen, oder nahe befreundeten Zuſam¬
menhang. Kein ehrfürchtiges Gefühl wurde demnach
verletzt, wenn ich Dir, Hardine, und dem, welchen Du
liebteſt, jetzt ſagte: „Die Gattin dieſes Mannes war
Deines Vaters Mutter.“
So hatte denn der alte Zauberer Tod die alten
Geſtalten noch einmal vor mir wach gerüttelt, und
die ernſthafte, vergangene Zeit drängte ſich in meine
heitere Gegenwart hinein. Wunderbar aber, wie ſich ſo
Bild nach Bild im Zuſammenhange entrollte, da er¬
ſchien mir auch das Deine, Hardine, plötzlich in einem
neuen Licht.
Wohl war ich durch Deinen Anblick ſo manches¬
mal an die reizende Dorothee erinnert worden. Ich
ſah ihren lockigen Goldſcheitel auf Deinem Haupt,
manchen ihrer Züge, die fragenden Kinderaugen. Aber
Deine Augen fragten nach etwas Anderem, als die
ihren, Deine Geſtalt war größer, die Farbe matter, und
der ſtille Ernſt der Bewegungen machte das ähnelnde
Bild zu einer beſonderen Erſcheinung. Nein, es war
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/266>, abgerufen am 16.02.2025.
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