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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Ludwig Nordheim, mein Heimathskind, war der
Enkel meines milden Freundes, und der Sohn mei¬
nes kräftigen Mitarbeiters; ich hatte mit Vertrauen
Beider Grundlagen sich schon im Knaben zu einer
heiteren Harmonie vereinigen sehen, und gar wohl den
Reiz eines ersten Märchenerzählers auch in einem an¬
deren Herzen gespürt. Aber sie waren Kinder dazu¬
mal, Jahre der Entfernung, der Entfremdung viel¬
leicht, darüber hingegangen, und als er in die Hei¬
math zurückkehrte, war es um Abschied zu nehmen von
dem Grabe seines Vaters und auf sich selbst gestellt,
sich einen Weg durch's Leben zu schlagen.

Eine tüchtige Kraft, einen frohen Willen, die
treue Liebe zu der heimathlichen Flur, und -- jenes
Erröthen meines Kindes, was brauchte ich mehr, um
ihn zu fragen, ob er der alternden Frau ein Gehülfe
in ihrem Tagewerke werden wolle? Und was brauchte
er mehr, um Ja zu sagen und manchen frischen Trieb
in das sich verjüngende Gehege einzupflanzen?

Nun aber erst, in dem freudigen Zusammenspiel
der Herzen, wurde es um mich her so warm und le¬
bendig, so bunt und neu. Die Gegenwart erschien mir
so lieblich; ich mochte an die Veränderungen der Zu¬
kunft gar nicht denken. "Es hat noch Zeit," sagte

Ludwig Nordheim, mein Heimathskind, war der
Enkel meines milden Freundes, und der Sohn mei¬
nes kräftigen Mitarbeiters; ich hatte mit Vertrauen
Beider Grundlagen ſich ſchon im Knaben zu einer
heiteren Harmonie vereinigen ſehen, und gar wohl den
Reiz eines erſten Märchenerzählers auch in einem an¬
deren Herzen geſpürt. Aber ſie waren Kinder dazu¬
mal, Jahre der Entfernung, der Entfremdung viel¬
leicht, darüber hingegangen, und als er in die Hei¬
math zurückkehrte, war es um Abſchied zu nehmen von
dem Grabe ſeines Vaters und auf ſich ſelbſt geſtellt,
ſich einen Weg durch’s Leben zu ſchlagen.

Eine tüchtige Kraft, einen frohen Willen, die
treue Liebe zu der heimathlichen Flur, und — jenes
Erröthen meines Kindes, was brauchte ich mehr, um
ihn zu fragen, ob er der alternden Frau ein Gehülfe
in ihrem Tagewerke werden wolle? Und was brauchte
er mehr, um Ja zu ſagen und manchen friſchen Trieb
in das ſich verjüngende Gehege einzupflanzen?

Nun aber erſt, in dem freudigen Zuſammenſpiel
der Herzen, wurde es um mich her ſo warm und le¬
bendig, ſo bunt und neu. Die Gegenwart erſchien mir
ſo lieblich; ich mochte an die Veränderungen der Zu¬
kunft gar nicht denken. „Es hat noch Zeit,“ ſagte

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[260/0264] Ludwig Nordheim, mein Heimathskind, war der Enkel meines milden Freundes, und der Sohn mei¬ nes kräftigen Mitarbeiters; ich hatte mit Vertrauen Beider Grundlagen ſich ſchon im Knaben zu einer heiteren Harmonie vereinigen ſehen, und gar wohl den Reiz eines erſten Märchenerzählers auch in einem an¬ deren Herzen geſpürt. Aber ſie waren Kinder dazu¬ mal, Jahre der Entfernung, der Entfremdung viel¬ leicht, darüber hingegangen, und als er in die Hei¬ math zurückkehrte, war es um Abſchied zu nehmen von dem Grabe ſeines Vaters und auf ſich ſelbſt geſtellt, ſich einen Weg durch’s Leben zu ſchlagen. Eine tüchtige Kraft, einen frohen Willen, die treue Liebe zu der heimathlichen Flur, und — jenes Erröthen meines Kindes, was brauchte ich mehr, um ihn zu fragen, ob er der alternden Frau ein Gehülfe in ihrem Tagewerke werden wolle? Und was brauchte er mehr, um Ja zu ſagen und manchen friſchen Trieb in das ſich verjüngende Gehege einzupflanzen? Nun aber erſt, in dem freudigen Zuſammenſpiel der Herzen, wurde es um mich her ſo warm und le¬ bendig, ſo bunt und neu. Die Gegenwart erſchien mir ſo lieblich; ich mochte an die Veränderungen der Zu¬ kunft gar nicht denken. „Es hat noch Zeit,“ ſagte

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/264>, abgerufen am 26.04.2024.