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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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die alte Reckenburgerin das Liebeslied der Königsmark
trällern hörte, bis zu dem Schmerzensbilde, das Sieg¬
mund Faber enthüllt hatte. Ich träumte mit offnen
Augen und es währte wohl eine lange Weile, ehe ich
zwischen den Phantomen der Erinnerung die leibhaftige
Gestalt unterschied, welche bei dämmerndem Morgen
vor meinem Lager kniete mit gesenktem Kopf und die
Arme über der Brust gekreuzt gleich einer Verbrecherin.

"Wollen Sie mich retten, Fräulein Hardine?"
flüsterte sie nach einer langen Stille.

Eine neue lange Stille folgte und statt der Antwort
nur die Gegenfrage: "Was denkst Du zu thun, Dorothee?"

"Denken -- ich?" versetzte sie, indem sie traurig
den Kopf schüttelte. "Ich will thun, was Sie sagen,
Fräulein Hardine."

"Nicht was ich sage, was Siegmund Faber sagt,"
entgegnete ich.

Sie aber rief mit einem Schauder: "Der --
Der? Was hab' ich mit Dem noch zu schaffen?"
Doch verstand sie meinen vorwurfsvollen Blick, denn
sie setzte hastig hinzu: "Ich werde ihm das Seine zu¬
rückgeben und mein Brod mit meiner Hände Arbeit
verdienen."

In anderer Stimmung würde ich beim Anblick

die alte Reckenburgerin das Liebeslied der Königsmark
trällern hörte, bis zu dem Schmerzensbilde, das Sieg¬
mund Faber enthüllt hatte. Ich träumte mit offnen
Augen und es währte wohl eine lange Weile, ehe ich
zwiſchen den Phantomen der Erinnerung die leibhaftige
Geſtalt unterſchied, welche bei dämmerndem Morgen
vor meinem Lager kniete mit geſenktem Kopf und die
Arme über der Bruſt gekreuzt gleich einer Verbrecherin.

„Wollen Sie mich retten, Fräulein Hardine?“
flüſterte ſie nach einer langen Stille.

Eine neue lange Stille folgte und ſtatt der Antwort
nur die Gegenfrage: „Was denkſt Du zu thun, Dorothee?“

„Denken — ich?“ verſetzte ſie, indem ſie traurig
den Kopf ſchüttelte. „Ich will thun, was Sie ſagen,
Fräulein Hardine.“

„Nicht was ich ſage, was Siegmund Faber ſagt,“
entgegnete ich.

Sie aber rief mit einem Schauder: „Der —
Der? Was hab’ ich mit Dem noch zu ſchaffen?“
Doch verſtand ſie meinen vorwurfsvollen Blick, denn
ſie ſetzte haſtig hinzu: „Ich werde ihm das Seine zu¬
rückgeben und mein Brod mit meiner Hände Arbeit
verdienen.“

In anderer Stimmung würde ich beim Anblick

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[20/0024] die alte Reckenburgerin das Liebeslied der Königsmark trällern hörte, bis zu dem Schmerzensbilde, das Sieg¬ mund Faber enthüllt hatte. Ich träumte mit offnen Augen und es währte wohl eine lange Weile, ehe ich zwiſchen den Phantomen der Erinnerung die leibhaftige Geſtalt unterſchied, welche bei dämmerndem Morgen vor meinem Lager kniete mit geſenktem Kopf und die Arme über der Bruſt gekreuzt gleich einer Verbrecherin. „Wollen Sie mich retten, Fräulein Hardine?“ flüſterte ſie nach einer langen Stille. Eine neue lange Stille folgte und ſtatt der Antwort nur die Gegenfrage: „Was denkſt Du zu thun, Dorothee?“ „Denken — ich?“ verſetzte ſie, indem ſie traurig den Kopf ſchüttelte. „Ich will thun, was Sie ſagen, Fräulein Hardine.“ „Nicht was ich ſage, was Siegmund Faber ſagt,“ entgegnete ich. Sie aber rief mit einem Schauder: „Der — Der? Was hab’ ich mit Dem noch zu ſchaffen?“ Doch verſtand ſie meinen vorwurfsvollen Blick, denn ſie ſetzte haſtig hinzu: „Ich werde ihm das Seine zu¬ rückgeben und mein Brod mit meiner Hände Arbeit verdienen.“ In anderer Stimmung würde ich beim Anblick

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/24>, abgerufen am 28.03.2024.