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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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"Und dieses herrliche Opfer sühnt kein Sieg, sühnt
nicht einmal das Bewußtsein der genügten Ehre. Der
Feind steht uns heute wie gestern hoch gegenüber.
Wir greifen auch heute nicht an und selber die Ge¬
schütze schweigen. Man munkelt von Unterhandlungen,
von Rückzug. Mir ist nichts unglaublich nach dem
gestrigen Puff. Kann aber, wird ein König von
Preußen sich dieser Schmach unterwerfen? Die Officiere
schreien Zeter über den Braunschweiger. Mit abge¬
wandten Gesichtern schleichen sie aneinander vorüber,
sie, die gestern so stolz und sicher wie zur Parade
ausgezogen waren! Weinen habe ich ihrer sehen vor
Zorn und Scham. "Wären Sie ein Preuße wie ich,"
sagte mir ein alter Major, "hätten Sie noch unter
Friedrichs Fahne gedient, Sie beneideten Ihren ge¬
fallenen Prinzen."

Was soll ich weiter sagen? Aeußerlich hielt ich
Stand. Lautlos legte ich den Brief in des Vaters
Hand zurück. Er schluchzte wie ein Kind und die
Thränen rieselten über seine Wangen in den ergrauenden
Bart. Die Mutter saß lange Zeit still mit gefalteten
Händen. Endlich erhob sie sich. "Wir alle bedürfen
der Sammlung. Geh' zur Ruhe, liebe Tochter," sagte
sie, indem sie mich auf die Stirn küßte.

„Und dieſes herrliche Opfer ſühnt kein Sieg, ſühnt
nicht einmal das Bewußtſein der genügten Ehre. Der
Feind ſteht uns heute wie geſtern hoch gegenüber.
Wir greifen auch heute nicht an und ſelber die Ge¬
ſchütze ſchweigen. Man munkelt von Unterhandlungen,
von Rückzug. Mir iſt nichts unglaublich nach dem
geſtrigen Puff. Kann aber, wird ein König von
Preußen ſich dieſer Schmach unterwerfen? Die Officiere
ſchreien Zeter über den Braunſchweiger. Mit abge¬
wandten Geſichtern ſchleichen ſie aneinander vorüber,
ſie, die geſtern ſo ſtolz und ſicher wie zur Parade
ausgezogen waren! Weinen habe ich ihrer ſehen vor
Zorn und Scham. „Wären Sie ein Preuße wie ich,“
ſagte mir ein alter Major, „hätten Sie noch unter
Friedrichs Fahne gedient, Sie beneideten Ihren ge¬
fallenen Prinzen.“

Was ſoll ich weiter ſagen? Aeußerlich hielt ich
Stand. Lautlos legte ich den Brief in des Vaters
Hand zurück. Er ſchluchzte wie ein Kind und die
Thränen rieſelten über ſeine Wangen in den ergrauenden
Bart. Die Mutter ſaß lange Zeit ſtill mit gefalteten
Händen. Endlich erhob ſie ſich. „Wir alle bedürfen
der Sammlung. Geh’ zur Ruhe, liebe Tochter,“ ſagte
ſie, indem ſie mich auf die Stirn küßte.

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[13/0017] „Und dieſes herrliche Opfer ſühnt kein Sieg, ſühnt nicht einmal das Bewußtſein der genügten Ehre. Der Feind ſteht uns heute wie geſtern hoch gegenüber. Wir greifen auch heute nicht an und ſelber die Ge¬ ſchütze ſchweigen. Man munkelt von Unterhandlungen, von Rückzug. Mir iſt nichts unglaublich nach dem geſtrigen Puff. Kann aber, wird ein König von Preußen ſich dieſer Schmach unterwerfen? Die Officiere ſchreien Zeter über den Braunſchweiger. Mit abge¬ wandten Geſichtern ſchleichen ſie aneinander vorüber, ſie, die geſtern ſo ſtolz und ſicher wie zur Parade ausgezogen waren! Weinen habe ich ihrer ſehen vor Zorn und Scham. „Wären Sie ein Preuße wie ich,“ ſagte mir ein alter Major, „hätten Sie noch unter Friedrichs Fahne gedient, Sie beneideten Ihren ge¬ fallenen Prinzen.“ Was ſoll ich weiter ſagen? Aeußerlich hielt ich Stand. Lautlos legte ich den Brief in des Vaters Hand zurück. Er ſchluchzte wie ein Kind und die Thränen rieſelten über ſeine Wangen in den ergrauenden Bart. Die Mutter ſaß lange Zeit ſtill mit gefalteten Händen. Endlich erhob ſie ſich. „Wir alle bedürfen der Sammlung. Geh’ zur Ruhe, liebe Tochter,“ ſagte ſie, indem ſie mich auf die Stirn küßte.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/17>, abgerufen am 28.03.2024.