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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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eine Fügung der Vorsehung betrachten, daß mindestens
ein unumstößliches Dokument über August Müllers
Abstammung gerettet worden ist. Kurz vor meinem
Abgange von Reckenburg und dem Brande der Kirche
nahm ich eine Abschrift des Taufzeugnisses, um es,
ohne die Aufmerksamkeit eines Dritten zu erregen, der
Mutter des Knaben zu gelegentlicher Verwendung an¬
heimzugeben. Gedankenlosigkeit verzögerte den ursprüng¬
lichen Zweck; und so lege ich es jetzt, statt in die
der Mutter, in Ihre Hand, Fräulein Hardine. Weisen
Sie es nicht zurück; verwahren Sie es aus Rücksicht
für einen treuen Freund, so viel derselbe heute in Ihrer
Schätzung verloren haben mag."

Um weitere verdrießliche Erörterungen abzuschnei¬
den, nahm ich das Attest; bei ruhigerem Blute sah ich
in seiner Erhaltung eine Pflicht, wenn nicht für mich
selbst, so doch für den verwaisten Knaben und ich er¬
wähnte bereits, daß Ihr es dieser Handschrift beige¬
fügt finden werdet.

Nach diesem Zugeständnisse mußte nun aber der
geistliche Herr sich darein ergeben, von mir nach seiner
Anstalt geleitet zu werden. Die Klosterglocke schlug
Mitternacht, als ich ihn, seinen Pflegling im Arm,
hinter der Pforte verschwinden sah.

eine Fügung der Vorſehung betrachten, daß mindeſtens
ein unumſtößliches Dokument über Auguſt Müllers
Abſtammung gerettet worden iſt. Kurz vor meinem
Abgange von Reckenburg und dem Brande der Kirche
nahm ich eine Abſchrift des Taufzeugniſſes, um es,
ohne die Aufmerkſamkeit eines Dritten zu erregen, der
Mutter des Knaben zu gelegentlicher Verwendung an¬
heimzugeben. Gedankenloſigkeit verzögerte den urſprüng¬
lichen Zweck; und ſo lege ich es jetzt, ſtatt in die
der Mutter, in Ihre Hand, Fräulein Hardine. Weiſen
Sie es nicht zurück; verwahren Sie es aus Rückſicht
für einen treuen Freund, ſo viel derſelbe heute in Ihrer
Schätzung verloren haben mag.“

Um weitere verdrießliche Erörterungen abzuſchnei¬
den, nahm ich das Atteſt; bei ruhigerem Blute ſah ich
in ſeiner Erhaltung eine Pflicht, wenn nicht für mich
ſelbſt, ſo doch für den verwaiſten Knaben und ich er¬
wähnte bereits, daß Ihr es dieſer Handſchrift beige¬
fügt finden werdet.

Nach dieſem Zugeſtändniſſe mußte nun aber der
geiſtliche Herr ſich darein ergeben, von mir nach ſeiner
Anſtalt geleitet zu werden. Die Kloſterglocke ſchlug
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[100/0104] eine Fügung der Vorſehung betrachten, daß mindeſtens ein unumſtößliches Dokument über Auguſt Müllers Abſtammung gerettet worden iſt. Kurz vor meinem Abgange von Reckenburg und dem Brande der Kirche nahm ich eine Abſchrift des Taufzeugniſſes, um es, ohne die Aufmerkſamkeit eines Dritten zu erregen, der Mutter des Knaben zu gelegentlicher Verwendung an¬ heimzugeben. Gedankenloſigkeit verzögerte den urſprüng¬ lichen Zweck; und ſo lege ich es jetzt, ſtatt in die der Mutter, in Ihre Hand, Fräulein Hardine. Weiſen Sie es nicht zurück; verwahren Sie es aus Rückſicht für einen treuen Freund, ſo viel derſelbe heute in Ihrer Schätzung verloren haben mag.“ Um weitere verdrießliche Erörterungen abzuſchnei¬ den, nahm ich das Atteſt; bei ruhigerem Blute ſah ich in ſeiner Erhaltung eine Pflicht, wenn nicht für mich ſelbſt, ſo doch für den verwaiſten Knaben und ich er¬ wähnte bereits, daß Ihr es dieſer Handſchrift beige¬ fügt finden werdet. Nach dieſem Zugeſtändniſſe mußte nun aber der geiſtliche Herr ſich darein ergeben, von mir nach ſeiner Anſtalt geleitet zu werden. Die Kloſterglocke ſchlug Mitternacht, als ich ihn, ſeinen Pflegling im Arm, hinter der Pforte verſchwinden ſah.

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/104>, abgerufen am 19.04.2024.