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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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wieder in die Höhe schlug, sah ich eine dunkle Gestalt
durch das Pförtchen verschwinden, unten aber wurde
die Hausthür leise geöffnet.

Ich floh in meine Kammer, deren Schloß ich
nicht mehr zuzudrücken wagte. Schon hörte ich Schritte
auf der Treppe und hätte um die Welt nicht meine
Nähe verrathen mögen. Aber vielleicht, daß es eine
erste nächtliche Begegnung gewesen war, eine erste und
letzte zum ewigen Lebewohl.

Athemlos lauschte ich an der Spalte der Thür.
Nein! dieser elastische, hüpfende Schritt, dieses freie,
volle Hauchen der Brust, sie sprachen nicht von Schei¬
den und Meiden. So schwebt, so athmet nur der
Glückliche. Sie tänzelte über Rosen und sah die
Sünde nicht, die sie umrauschte, nicht den Tod, der
im Hintergrunde lauerte.

Und nun saß ich oben in der Laube. Fragt mich
nicht, was mich hineingetrieben hatte, oder wie viel
Stunden es mich dort gebannt. Ich hatte kein Maaß
für die Zeit, hatte keine bewußte Vorstellung. Alles
lag mir in Dumpfheit und Nebel.

Der erste Schimmer dämmerte im Osten; zu
meinen Füßen sah ich einen blauen Streifen. "Do¬

wieder in die Höhe ſchlug, ſah ich eine dunkle Geſtalt
durch das Pförtchen verſchwinden, unten aber wurde
die Hausthür leiſe geöffnet.

Ich floh in meine Kammer, deren Schloß ich
nicht mehr zuzudrücken wagte. Schon hörte ich Schritte
auf der Treppe und hätte um die Welt nicht meine
Nähe verrathen mögen. Aber vielleicht, daß es eine
erſte nächtliche Begegnung geweſen war, eine erſte und
letzte zum ewigen Lebewohl.

Athemlos lauſchte ich an der Spalte der Thür.
Nein! dieſer elaſtiſche, hüpfende Schritt, dieſes freie,
volle Hauchen der Bruſt, ſie ſprachen nicht von Schei¬
den und Meiden. So ſchwebt, ſo athmet nur der
Glückliche. Sie tänzelte über Roſen und ſah die
Sünde nicht, die ſie umrauſchte, nicht den Tod, der
im Hintergrunde lauerte.

Und nun ſaß ich oben in der Laube. Fragt mich
nicht, was mich hineingetrieben hatte, oder wie viel
Stunden es mich dort gebannt. Ich hatte kein Maaß
für die Zeit, hatte keine bewußte Vorſtellung. Alles
lag mir in Dumpfheit und Nebel.

Der erſte Schimmer dämmerte im Oſten; zu
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[267/0274] wieder in die Höhe ſchlug, ſah ich eine dunkle Geſtalt durch das Pförtchen verſchwinden, unten aber wurde die Hausthür leiſe geöffnet. Ich floh in meine Kammer, deren Schloß ich nicht mehr zuzudrücken wagte. Schon hörte ich Schritte auf der Treppe und hätte um die Welt nicht meine Nähe verrathen mögen. Aber vielleicht, daß es eine erſte nächtliche Begegnung geweſen war, eine erſte und letzte zum ewigen Lebewohl. Athemlos lauſchte ich an der Spalte der Thür. Nein! dieſer elaſtiſche, hüpfende Schritt, dieſes freie, volle Hauchen der Bruſt, ſie ſprachen nicht von Schei¬ den und Meiden. So ſchwebt, ſo athmet nur der Glückliche. Sie tänzelte über Roſen und ſah die Sünde nicht, die ſie umrauſchte, nicht den Tod, der im Hintergrunde lauerte. Und nun ſaß ich oben in der Laube. Fragt mich nicht, was mich hineingetrieben hatte, oder wie viel Stunden es mich dort gebannt. Ich hatte kein Maaß für die Zeit, hatte keine bewußte Vorſtellung. Alles lag mir in Dumpfheit und Nebel. Der erſte Schimmer dämmerte im Oſten; zu meinen Füßen ſah ich einen blauen Streifen. „Do¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/274>, abgerufen am 22.11.2024.