ab, setzte mich in die tiefe Fensternische und schaute über den Garten hinweg in die düstren Föhrenwipfel, zwischen welchen das Abendroth verglomm. Inmitten der wunderlichen Baum- und Steinfaxen zu meinen Füßen stiegen und schwebten die Octobernebel phan¬ tastisch auf und nieder; es war der erste und ich glaube auch letzte Märchenschauer meines Lebens, der mich im Dämmerlicht dieses dunkel boisirten, todten¬ stillen Wartezimmers überrieselte.
Eine halbe Stunde mochte auf diese Weise ver¬ gangen sein, ich war des Antichambrirens und der ro¬ mantischen Schauer herzlich müde geworden; da hörte ich das Zurückschieben eines Riegels, das Dröhnen eines Krückstocks, endlich ein pfeifendes Keuchen auf der Schwelle des Thurmgemachs. Meine hohe Gast¬ freundin war eingetreten.
Die Eltern, wenn sie überhaupt um die land¬ läufigen Vorstellungen über ihre einzige Verwandtin Näheres gewußt, hatten mir dieselben wohlweislich vorenthalten. Meine Instruction lautete einfach: Einer hochbetagten, daher wunderlichen, möglicherweise stolzen und ein wenig ökonomischen Würdenträgerin mit Ehrerbietung zu begegnen.
Da überlief mich denn nun freilich eine Gänse¬
ab, ſetzte mich in die tiefe Fenſterniſche und ſchaute über den Garten hinweg in die düſtren Föhrenwipfel, zwiſchen welchen das Abendroth verglomm. Inmitten der wunderlichen Baum- und Steinfaxen zu meinen Füßen ſtiegen und ſchwebten die Octobernebel phan¬ taſtiſch auf und nieder; es war der erſte und ich glaube auch letzte Märchenſchauer meines Lebens, der mich im Dämmerlicht dieſes dunkel boiſirten, todten¬ ſtillen Wartezimmers überrieſelte.
Eine halbe Stunde mochte auf dieſe Weiſe ver¬ gangen ſein, ich war des Antichambrirens und der ro¬ mantiſchen Schauer herzlich müde geworden; da hörte ich das Zurückſchieben eines Riegels, das Dröhnen eines Krückſtocks, endlich ein pfeifendes Keuchen auf der Schwelle des Thurmgemachs. Meine hohe Gaſt¬ freundin war eingetreten.
Die Eltern, wenn ſie überhaupt um die land¬ läufigen Vorſtellungen über ihre einzige Verwandtin Näheres gewußt, hatten mir dieſelben wohlweislich vorenthalten. Meine Inſtruction lautete einfach: Einer hochbetagten, daher wunderlichen, möglicherweiſe ſtolzen und ein wenig ökonomiſchen Würdenträgerin mit Ehrerbietung zu begegnen.
Da überlief mich denn nun freilich eine Gänſe¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0189"n="182"/>
ab, ſetzte mich in die tiefe Fenſterniſche und ſchaute<lb/>
über den Garten hinweg in die düſtren Föhrenwipfel,<lb/>
zwiſchen welchen das Abendroth verglomm. Inmitten<lb/>
der wunderlichen Baum- und Steinfaxen zu meinen<lb/>
Füßen ſtiegen und ſchwebten die Octobernebel phan¬<lb/>
taſtiſch auf und nieder; es war der erſte und ich<lb/>
glaube auch letzte Märchenſchauer meines Lebens, der<lb/>
mich im Dämmerlicht dieſes dunkel boiſirten, todten¬<lb/>ſtillen Wartezimmers überrieſelte.</p><lb/><p>Eine halbe Stunde mochte auf dieſe Weiſe ver¬<lb/>
gangen ſein, ich war des Antichambrirens und der ro¬<lb/>
mantiſchen Schauer herzlich müde geworden; da hörte<lb/>
ich das Zurückſchieben eines Riegels, das Dröhnen<lb/>
eines Krückſtocks, endlich ein pfeifendes Keuchen auf<lb/>
der Schwelle des Thurmgemachs. Meine hohe Gaſt¬<lb/>
freundin war eingetreten.</p><lb/><p>Die Eltern, wenn ſie überhaupt um die land¬<lb/>
läufigen Vorſtellungen über ihre einzige Verwandtin<lb/>
Näheres gewußt, hatten mir dieſelben wohlweislich<lb/>
vorenthalten. Meine Inſtruction lautete einfach:<lb/>
Einer hochbetagten, daher wunderlichen, möglicherweiſe<lb/>ſtolzen und ein wenig ökonomiſchen Würdenträgerin<lb/>
mit Ehrerbietung zu begegnen.</p><lb/><p>Da überlief mich denn nun freilich eine Gänſe¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[182/0189]
ab, ſetzte mich in die tiefe Fenſterniſche und ſchaute
über den Garten hinweg in die düſtren Föhrenwipfel,
zwiſchen welchen das Abendroth verglomm. Inmitten
der wunderlichen Baum- und Steinfaxen zu meinen
Füßen ſtiegen und ſchwebten die Octobernebel phan¬
taſtiſch auf und nieder; es war der erſte und ich
glaube auch letzte Märchenſchauer meines Lebens, der
mich im Dämmerlicht dieſes dunkel boiſirten, todten¬
ſtillen Wartezimmers überrieſelte.
Eine halbe Stunde mochte auf dieſe Weiſe ver¬
gangen ſein, ich war des Antichambrirens und der ro¬
mantiſchen Schauer herzlich müde geworden; da hörte
ich das Zurückſchieben eines Riegels, das Dröhnen
eines Krückſtocks, endlich ein pfeifendes Keuchen auf
der Schwelle des Thurmgemachs. Meine hohe Gaſt¬
freundin war eingetreten.
Die Eltern, wenn ſie überhaupt um die land¬
läufigen Vorſtellungen über ihre einzige Verwandtin
Näheres gewußt, hatten mir dieſelben wohlweislich
vorenthalten. Meine Inſtruction lautete einfach:
Einer hochbetagten, daher wunderlichen, möglicherweiſe
ſtolzen und ein wenig ökonomiſchen Würdenträgerin
mit Ehrerbietung zu begegnen.
Da überlief mich denn nun freilich eine Gänſe¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/189>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.