fürchtete bald, durch Verzögerung die Flüchtige zu weit voraus zu lassen, bald wieder, in der großen Eile sie irgendwo, dafern sie sich vor ihm verstecken wolle, zu übersehn. Er war indeß schon ziemlich tief in das Thal hinein gekommen, und konnte nun denken, das Mägdlein bald ein- geholt zu haben, wenn er anders auf der rech- ten Spur war. Die Ahnung, daß er das auch wohl nicht sein könne, trieb sein Herz zu immer ängstlicheren Schlägen. Wo sollte die zarte Ber- talda bleiben, wenn er sie nicht fand, in der drohenden Wetternacht, die sich immer furchtba- rer über das Thal herein bog? Da sah er endlich etwas Weißes am Hange des Berges durch die Zweige schimmern. Er glaubte Ber- taldas Gewand zu erkennen, und machte sich hinzu. Sein Roß aber wollte nicht hinan; es bäumte sich so ungestüm, und er wollte so we- nig Zeit verlieren, daß er -- zumahl da ihm wohl ohnehin zu Pferde das Gesträuch allzuhin- derlich geworden wäre, -- absaß, und den schnau- benden Hengst an eine Rüster band, worauf er
fuͤrchtete bald, durch Verzoͤgerung die Fluͤchtige zu weit voraus zu laſſen, bald wieder, in der großen Eile ſie irgendwo, dafern ſie ſich vor ihm verſtecken wolle, zu uͤberſehn. Er war indeß ſchon ziemlich tief in das Thal hinein gekommen, und konnte nun denken, das Maͤgdlein bald ein- geholt zu haben, wenn er anders auf der rech- ten Spur war. Die Ahnung, daß er das auch wohl nicht ſein koͤnne, trieb ſein Herz zu immer aͤngſtlicheren Schlaͤgen. Wo ſollte die zarte Ber- talda bleiben, wenn er ſie nicht fand, in der drohenden Wetternacht, die ſich immer furchtba- rer uͤber das Thal herein bog? Da ſah er endlich etwas Weißes am Hange des Berges durch die Zweige ſchimmern. Er glaubte Ber- taldas Gewand zu erkennen, und machte ſich hinzu. Sein Roß aber wollte nicht hinan; es baͤumte ſich ſo ungeſtuͤm, und er wollte ſo we- nig Zeit verlieren, daß er — zumahl da ihm wohl ohnehin zu Pferde das Geſtraͤuch allzuhin- derlich geworden waͤre, — abſaß, und den ſchnau- benden Hengſt an eine Ruͤſter band, worauf er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0153"n="139"/>
fuͤrchtete bald, durch Verzoͤgerung die Fluͤchtige<lb/>
zu weit voraus zu laſſen, bald wieder, in der<lb/>
großen Eile ſie irgendwo, dafern ſie ſich vor ihm<lb/>
verſtecken wolle, zu uͤberſehn. Er war indeß<lb/>ſchon ziemlich tief in das Thal hinein gekommen,<lb/>
und konnte nun denken, das Maͤgdlein bald ein-<lb/>
geholt zu haben, wenn er anders auf der rech-<lb/>
ten Spur war. Die Ahnung, daß er das auch<lb/>
wohl nicht ſein koͤnne, trieb ſein Herz zu immer<lb/>
aͤngſtlicheren Schlaͤgen. Wo ſollte die zarte Ber-<lb/>
talda bleiben, wenn er ſie nicht fand, in der<lb/>
drohenden Wetternacht, die ſich immer furchtba-<lb/>
rer uͤber das Thal herein bog? Da ſah er<lb/>
endlich etwas Weißes am Hange des Berges<lb/>
durch die Zweige ſchimmern. Er glaubte Ber-<lb/>
taldas Gewand zu erkennen, und machte ſich<lb/>
hinzu. Sein Roß aber wollte nicht hinan; es<lb/>
baͤumte ſich ſo ungeſtuͤm, und er wollte ſo we-<lb/>
nig Zeit verlieren, daß er — zumahl da ihm<lb/>
wohl ohnehin zu Pferde das Geſtraͤuch allzuhin-<lb/>
derlich geworden waͤre, — abſaß, und den ſchnau-<lb/>
benden Hengſt an eine Ruͤſter band, worauf er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[139/0153]
fuͤrchtete bald, durch Verzoͤgerung die Fluͤchtige
zu weit voraus zu laſſen, bald wieder, in der
großen Eile ſie irgendwo, dafern ſie ſich vor ihm
verſtecken wolle, zu uͤberſehn. Er war indeß
ſchon ziemlich tief in das Thal hinein gekommen,
und konnte nun denken, das Maͤgdlein bald ein-
geholt zu haben, wenn er anders auf der rech-
ten Spur war. Die Ahnung, daß er das auch
wohl nicht ſein koͤnne, trieb ſein Herz zu immer
aͤngſtlicheren Schlaͤgen. Wo ſollte die zarte Ber-
talda bleiben, wenn er ſie nicht fand, in der
drohenden Wetternacht, die ſich immer furchtba-
rer uͤber das Thal herein bog? Da ſah er
endlich etwas Weißes am Hange des Berges
durch die Zweige ſchimmern. Er glaubte Ber-
taldas Gewand zu erkennen, und machte ſich
hinzu. Sein Roß aber wollte nicht hinan; es
baͤumte ſich ſo ungeſtuͤm, und er wollte ſo we-
nig Zeit verlieren, daß er — zumahl da ihm
wohl ohnehin zu Pferde das Geſtraͤuch allzuhin-
derlich geworden waͤre, — abſaß, und den ſchnau-
benden Hengſt an eine Ruͤſter band, worauf er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189, hier S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_undine_1811/153>, abgerufen am 03.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.