Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fouqué, Caroline de La Motte-: Ueber deutsche Geselligkeit. Berlin, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

kung zerreißend seyn und das Urtheil verwirren,
indem gerade dasjenige verletzt ward, was als
das Wesen nationeller Persönlichkeit angesehen wer-
den muß.

Wie denn aber Jedwedes, das ein Gefühl,
sey es Unwille oder Bewunderung, recht ausschlie-
ßend in Anspruch nimmt, nicht eher wieder ab-
läßt, bis es sich in eine Art von Gleichgewicht
mit uns setzt, indem es uns durch Kampf und
Streit auf seinen eigentlichen Standpunkt hin-
zwingt: so ängstete mich der gleichsam zur Schau
gestellte Schattenriß meiner Nation so lange, bis
mich eine genauere Bekanntschaft durch alle Linien
und das ganze Trieb- und Räderwerk desselben zer-
rend plötzlich den Sühn- und Wendepunkt des
ganzen Streites entdecken ließ, und ich den lästi-
gen Traum von mir schiebend, rief: das sind
wir nicht! das sind ja gar keine Deut-
sche!

Jch wollte frei athmen, aber die Zauber-
worte rissen mich auf's neue zurück, verwandte
Züge sahen mich fast höhnend an, ich konnte mir

kung zerreißend ſeyn und das Urtheil verwirren,
indem gerade dasjenige verletzt ward, was als
das Weſen nationeller Perſoͤnlichkeit angeſehen wer-
den muß.

Wie denn aber Jedwedes, das ein Gefuͤhl,
ſey es Unwille oder Bewunderung, recht ausſchlie-
ßend in Anſpruch nimmt, nicht eher wieder ab-
laͤßt, bis es ſich in eine Art von Gleichgewicht
mit uns ſetzt, indem es uns durch Kampf und
Streit auf ſeinen eigentlichen Standpunkt hin-
zwingt: ſo aͤngſtete mich der gleichſam zur Schau
geſtellte Schattenriß meiner Nation ſo lange, bis
mich eine genauere Bekanntſchaft durch alle Linien
und das ganze Trieb- und Raͤderwerk deſſelben zer-
rend ploͤtzlich den Suͤhn- und Wendepunkt des
ganzen Streites entdecken ließ, und ich den laͤſti-
gen Traum von mir ſchiebend, rief: das ſind
wir nicht! das ſind ja gar keine Deut-
ſche!

Jch wollte frei athmen, aber die Zauber-
worte riſſen mich auf’s neue zuruͤck, verwandte
Zuͤge ſahen mich faſt hoͤhnend an, ich konnte mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0008" n="6"/>
kung zerreißend &#x017F;eyn und das Urtheil verwirren,<lb/>
indem gerade dasjenige verletzt ward, was als<lb/>
das We&#x017F;en nationeller Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeit ange&#x017F;ehen wer-<lb/>
den muß.</p><lb/>
        <p>Wie denn aber Jedwedes, das ein Gefu&#x0364;hl,<lb/>
&#x017F;ey es Unwille oder Bewunderung, recht aus&#x017F;chlie-<lb/>
ßend in An&#x017F;pruch nimmt, nicht eher wieder ab-<lb/>
la&#x0364;ßt, bis es &#x017F;ich in eine Art von Gleichgewicht<lb/>
mit uns &#x017F;etzt, indem es uns durch Kampf und<lb/>
Streit auf &#x017F;einen eigentlichen Standpunkt hin-<lb/>
zwingt: &#x017F;o a&#x0364;ng&#x017F;tete mich der gleich&#x017F;am zur Schau<lb/>
ge&#x017F;tellte Schattenriß meiner Nation &#x017F;o lange, bis<lb/>
mich eine genauere Bekannt&#x017F;chaft durch alle Linien<lb/>
und das ganze Trieb- und Ra&#x0364;derwerk de&#x017F;&#x017F;elben zer-<lb/>
rend plo&#x0364;tzlich den Su&#x0364;hn- und Wendepunkt des<lb/>
ganzen Streites entdecken ließ, und ich den la&#x0364;&#x017F;ti-<lb/>
gen Traum von mir &#x017F;chiebend, rief: <hi rendition="#g">das &#x017F;ind<lb/>
wir nicht! das &#x017F;ind ja gar keine Deut-<lb/>
&#x017F;che!</hi></p><lb/>
        <p>Jch wollte frei athmen, aber die Zauber-<lb/>
worte ri&#x017F;&#x017F;en mich auf&#x2019;s neue zuru&#x0364;ck, verwandte<lb/>
Zu&#x0364;ge &#x017F;ahen mich fa&#x017F;t ho&#x0364;hnend an, ich konnte mir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0008] kung zerreißend ſeyn und das Urtheil verwirren, indem gerade dasjenige verletzt ward, was als das Weſen nationeller Perſoͤnlichkeit angeſehen wer- den muß. Wie denn aber Jedwedes, das ein Gefuͤhl, ſey es Unwille oder Bewunderung, recht ausſchlie- ßend in Anſpruch nimmt, nicht eher wieder ab- laͤßt, bis es ſich in eine Art von Gleichgewicht mit uns ſetzt, indem es uns durch Kampf und Streit auf ſeinen eigentlichen Standpunkt hin- zwingt: ſo aͤngſtete mich der gleichſam zur Schau geſtellte Schattenriß meiner Nation ſo lange, bis mich eine genauere Bekanntſchaft durch alle Linien und das ganze Trieb- und Raͤderwerk deſſelben zer- rend ploͤtzlich den Suͤhn- und Wendepunkt des ganzen Streites entdecken ließ, und ich den laͤſti- gen Traum von mir ſchiebend, rief: das ſind wir nicht! das ſind ja gar keine Deut- ſche! Jch wollte frei athmen, aber die Zauber- worte riſſen mich auf’s neue zuruͤck, verwandte Zuͤge ſahen mich faſt hoͤhnend an, ich konnte mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_geselligkeit_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_geselligkeit_1814/8
Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de La Motte-: Ueber deutsche Geselligkeit. Berlin, 1814, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_geselligkeit_1814/8>, abgerufen am 27.11.2024.