erregbares Gemüth friert bei ihrem Anblick. Auch mischt sich Eitelkeit in das Unbehagen. Man will den Vorwurf geringerer Fühlbar- keit nicht verdient haben. Das gebildeste, geistreichste Zeitalter soll hinter keinem frühern zurückbleiben. Man giebt sich die Sporen, Phantasie und Empfindung auf den Culmi- nationspunkt zartester Empfänglichkeit hin- aufzuzwingen. Zustände, Stimmungen, Ver- hältnisse werden, der Seele, wie dem Leben angebildet, und wenn einer Seits Bequem- lichkeit einschläfert, so zersplittert anderwei- tig Affectation wie Jllusion die Gemüther, und greift das Beste, was im Menschen ist, die Wahrheit an. Jm ersten Falle verschlingt die Gegenwart Erinnerung und Ahndung, im letztern wird das Eigenthum wirklichen Daseins einer Schein-Existenz geopfert, in der nicht einmal so viel Leben ist, daß sie etwas Eignes erfände, sie schält die farbige Rinde eines alten Gemäldes ab, und trägt dieses, in sonderbarer Verschiebung, auf die enge und kleine Gestaltungen des Momentes über.
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erregbares Gemuͤth friert bei ihrem Anblick. Auch miſcht ſich Eitelkeit in das Unbehagen. Man will den Vorwurf geringerer Fuͤhlbar- keit nicht verdient haben. Das gebildeſte, geiſtreichſte Zeitalter ſoll hinter keinem fruͤhern zuruͤckbleiben. Man giebt ſich die Sporen, Phantaſie und Empfindung auf den Culmi- nationspunkt zarteſter Empfaͤnglichkeit hin- aufzuzwingen. Zuſtaͤnde, Stimmungen, Ver- haͤltniſſe werden, der Seele, wie dem Leben angebildet, und wenn einer Seits Bequem- lichkeit einſchlaͤfert, ſo zerſplittert anderwei- tig Affectation wie Jlluſion die Gemuͤther, und greift das Beſte, was im Menſchen iſt, die Wahrheit an. Jm erſten Falle verſchlingt die Gegenwart Erinnerung und Ahndung, im letztern wird das Eigenthum wirklichen Daſeins einer Schein-Exiſtenz geopfert, in der nicht einmal ſo viel Leben iſt, daß ſie etwas Eignes erfaͤnde, ſie ſchaͤlt die farbige Rinde eines alten Gemaͤldes ab, und traͤgt dieſes, in ſonderbarer Verſchiebung, auf die enge und kleine Geſtaltungen des Momentes uͤber.
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[209/0213]
erregbares Gemuͤth friert bei ihrem Anblick.
Auch miſcht ſich Eitelkeit in das Unbehagen.
Man will den Vorwurf geringerer Fuͤhlbar-
keit nicht verdient haben. Das gebildeſte,
geiſtreichſte Zeitalter ſoll hinter keinem fruͤhern
zuruͤckbleiben. Man giebt ſich die Sporen,
Phantaſie und Empfindung auf den Culmi-
nationspunkt zarteſter Empfaͤnglichkeit hin-
aufzuzwingen. Zuſtaͤnde, Stimmungen, Ver-
haͤltniſſe werden, der Seele, wie dem Leben
angebildet, und wenn einer Seits Bequem-
lichkeit einſchlaͤfert, ſo zerſplittert anderwei-
tig Affectation wie Jlluſion die Gemuͤther,
und greift das Beſte, was im Menſchen iſt,
die Wahrheit an. Jm erſten Falle verſchlingt
die Gegenwart Erinnerung und Ahndung,
im letztern wird das Eigenthum wirklichen
Daſeins einer Schein-Exiſtenz geopfert,
in der nicht einmal ſo viel Leben iſt, daß ſie
etwas Eignes erfaͤnde, ſie ſchaͤlt die farbige
Rinde eines alten Gemaͤldes ab, und traͤgt
dieſes, in ſonderbarer Verſchiebung, auf die
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uͤber.
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Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/213>, abgerufen am 22.11.2024.
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