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Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Erstes Bändchen. Berlin, 1810.

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lebendiger zu zeigen; allein die Natur widersteht jeder Absichtlichkeit, und nur in einzelnen Augenblicken, wenn irgend eine Saite seines Innren ungewohnt berührt ward, rauschte der Klang erschütternd durch ihn hin, und sprengte die Bande, die den edelsten Geist gefesselt hielten. Der Mönch verstand es fast allein, solche Momente herbeizuführen. Durch ihn lernten Beide die Bibel kennen, die sie bis dahin nur, als ein nothwendiges Glied in der Stufenfolge menschlicher Entwicklung, geschichtlich, betrachtet hatten. Er sagte ihnen oft: wenn es nur zu wahr ist, daß der schwankende Mensch äußrer Anregungen bedarf, wo kann er sie würdiger finden, als grade hier? Das Leben, fuhr er fort, ist reich in Vergangenheit und Gegenwart, die Entwicklung des einen, ewigen, Geistes in Natur und Menschen sichtbar; allein dies in jeder Zeit wahrzunehmen, erfordert einen wachen, geübten Blick. Das halbgeöffnete Auge schweift an den großen Offenbarungen vorüber, die, wie einzelne Chiffern, nur dem eine lesbare Schrift sind, der ihren Sinn erkannt in sich trägt. Die leisere Fühlbarkeit, das schnelle Erfassen und Vereinen vorüberfliegender Töne, ist nur einem sehr reichen, in sich beweglichen Gemüth gegeben, einem solchen, dem alles durchsichtig erscheint, und das ohne fremde Kraft die ätherischen Regionen durchzieht, die sein

lebendiger zu zeigen; allein die Natur widersteht jeder Absichtlichkeit, und nur in einzelnen Augenblicken, wenn irgend eine Saite seines Innren ungewohnt berührt ward, rauschte der Klang erschütternd durch ihn hin, und sprengte die Bande, die den edelsten Geist gefesselt hielten. Der Mönch verstand es fast allein, solche Momente herbeizuführen. Durch ihn lernten Beide die Bibel kennen, die sie bis dahin nur, als ein nothwendiges Glied in der Stufenfolge menschlicher Entwicklung, geschichtlich, betrachtet hatten. Er sagte ihnen oft: wenn es nur zu wahr ist, daß der schwankende Mensch äußrer Anregungen bedarf, wo kann er sie würdiger finden, als grade hier? Das Leben, fuhr er fort, ist reich in Vergangenheit und Gegenwart, die Entwicklung des einen, ewigen, Geistes in Natur und Menschen sichtbar; allein dies in jeder Zeit wahrzunehmen, erfordert einen wachen, geübten Blick. Das halbgeöffnete Auge schweift an den großen Offenbarungen vorüber, die, wie einzelne Chiffern, nur dem eine lesbare Schrift sind, der ihren Sinn erkannt in sich trägt. Die leisere Fühlbarkeit, das schnelle Erfassen und Vereinen vorüberfliegender Töne, ist nur einem sehr reichen, in sich beweglichen Gemüth gegeben, einem solchen, dem alles durchsichtig erscheint, und das ohne fremde Kraft die ätherischen Regionen durchzieht, die sein

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[63/0071] lebendiger zu zeigen; allein die Natur widersteht jeder Absichtlichkeit, und nur in einzelnen Augenblicken, wenn irgend eine Saite seines Innren ungewohnt berührt ward, rauschte der Klang erschütternd durch ihn hin, und sprengte die Bande, die den edelsten Geist gefesselt hielten. Der Mönch verstand es fast allein, solche Momente herbeizuführen. Durch ihn lernten Beide die Bibel kennen, die sie bis dahin nur, als ein nothwendiges Glied in der Stufenfolge menschlicher Entwicklung, geschichtlich, betrachtet hatten. Er sagte ihnen oft: wenn es nur zu wahr ist, daß der schwankende Mensch äußrer Anregungen bedarf, wo kann er sie würdiger finden, als grade hier? Das Leben, fuhr er fort, ist reich in Vergangenheit und Gegenwart, die Entwicklung des einen, ewigen, Geistes in Natur und Menschen sichtbar; allein dies in jeder Zeit wahrzunehmen, erfordert einen wachen, geübten Blick. Das halbgeöffnete Auge schweift an den großen Offenbarungen vorüber, die, wie einzelne Chiffern, nur dem eine lesbare Schrift sind, der ihren Sinn erkannt in sich trägt. Die leisere Fühlbarkeit, das schnelle Erfassen und Vereinen vorüberfliegender Töne, ist nur einem sehr reichen, in sich beweglichen Gemüth gegeben, einem solchen, dem alles durchsichtig erscheint, und das ohne fremde Kraft die ätherischen Regionen durchzieht, die sein

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Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Erstes Bändchen. Berlin, 1810, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins01_1810/71>, abgerufen am 04.05.2024.