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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
er kein Mittel zu ersinnen weiß, sich dagegen zu schützen? der unfähig ist Be-1774.
Decem-
ber.

griffe mit einander zu verbinden, und seine eigne dürftige Lage mit dem glückli-
chern Zustande andrer zu vergleichen? Was die ärgste Sophisterey auch je zum
Vortheil des ursprünglich wilden Lebens, im Gegensatz der bürgerlichen Ver-
fassung, vorbringen mag; so braucht man sich doch nur einzig und allein die
hülflose bedauernswürdige Situation dieser Pescherähs vorzustellen, um innig
überzeugt zu werden, daß wir bey unsrer gesitteten Verfassung unendlich glück-
licher sind! So lange man nicht beweisen kann, daß ein Mensch, der von der
Strenge der Witterung beständig unangenehme Empfindung hat, dennoch glück-
lich
sey, so lange werde ich keinem noch so beredten Philosophen beypflichten,
der das Gegentheil behauptet, weil er entweder die menschliche Natur nicht
unter allen ihren Gestalten beobachtet, oder wenigstens das, was er gesehen,
nicht auch gefühlt hat *). Möchte das Bewustseyn des großen Vorzugs, den
uns der Himmel vor so manchen unserer Mit-Menschen verliehen, nur immer
zu Verbesserung der Sitten, und zur strengern Ausübung unserer moralischen
Pflichten angewandt werden! aber leider ist das der Fall nicht, unsre civilisir-
ten Nationen sind vielmehr mit Lastern befleckt, deren sich selbst der Elende,
der unmittelbar an das unvernünftige Thier gränzt, nicht schuldig macht. Wel-
che Schande, daß der höhere Grad von Kenntnissen und von Beurtheilungs-
kraft bey uns nicht bessere Folgen hervorgebracht hat!

Diese unglücklichen Bewohner eines felsigten unfruchtbaren Landes
fraßen rohes, halbverfaultes Seehunds-Fleisch, welches äußerst wiedrig roch.

*) Die hämische menschenfeindliche Philosophie solcher Herren ist dem Seneka abgeborgt,
der das Elend andrer auch so auf die leichte Achsel nahm, weil er selbst, bey seinem
Reichthum, nichts davon spührte. Folgende Stelle paßt sehr gut auf die Pescherähs,
und der nachstehende Gedanke zeugt gerade von dem Mangel an Gefühl, wovon hier
die Rede ist. Perpetua illos hiems, triste coelum premit -- imbrem culmo aut
fronde defendunt; nulla illis domicilia, nullae sedes sunt, nisi quas lassitudo in
diem posuit. -- In alimentis feras captant. -- vilis, et hic quaerendus manu vi-
ctus. -- Miseri tibi videntur? -- Nihil miserum est quod in naturam consue-
tudo perduxit. -- Hoc quod tibi calamitas videtur, tot gentium vita est. de pro-
videntia
.
Hawkesworth hat bey einer ähnlichen Veranlassung diese Stelle nur pa-
aphrasirt und modernisirt. Reisen B. II. Seite 59.
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in den Jahren 1772 bis 1775.
er kein Mittel zu erſinnen weiß, ſich dagegen zu ſchuͤtzen? der unfaͤhig iſt Be-1774.
Decem-
ber.

griffe mit einander zu verbinden, und ſeine eigne duͤrftige Lage mit dem gluͤckli-
chern Zuſtande andrer zu vergleichen? Was die aͤrgſte Sophiſterey auch je zum
Vortheil des urſpruͤnglich wilden Lebens, im Gegenſatz der buͤrgerlichen Ver-
faſſung, vorbringen mag; ſo braucht man ſich doch nur einzig und allein die
huͤlfloſe bedauernswuͤrdige Situation dieſer Peſcheraͤhs vorzuſtellen, um innig
uͤberzeugt zu werden, daß wir bey unſrer geſitteten Verfaſſung unendlich gluͤck-
licher ſind! So lange man nicht beweiſen kann, daß ein Menſch, der von der
Strenge der Witterung beſtaͤndig unangenehme Empfindung hat, dennoch gluͤck-
lich
ſey, ſo lange werde ich keinem noch ſo beredten Philoſophen beypflichten,
der das Gegentheil behauptet, weil er entweder die menſchliche Natur nicht
unter allen ihren Geſtalten beobachtet, oder wenigſtens das, was er geſehen,
nicht auch gefuͤhlt hat *). Moͤchte das Bewuſtſeyn des großen Vorzugs, den
uns der Himmel vor ſo manchen unſerer Mit-Menſchen verliehen, nur immer
zu Verbeſſerung der Sitten, und zur ſtrengern Ausuͤbung unſerer moraliſchen
Pflichten angewandt werden! aber leider iſt das der Fall nicht, unſre civiliſir-
ten Nationen ſind vielmehr mit Laſtern befleckt, deren ſich ſelbſt der Elende,
der unmittelbar an das unvernuͤnftige Thier graͤnzt, nicht ſchuldig macht. Wel-
che Schande, daß der hoͤhere Grad von Kenntniſſen und von Beurtheilungs-
kraft bey uns nicht beſſere Folgen hervorgebracht hat!

Dieſe ungluͤcklichen Bewohner eines felſigten unfruchtbaren Landes
fraßen rohes, halbverfaultes Seehunds-Fleiſch, welches aͤußerſt wiedrig roch.

*) Die haͤmiſche menſchenfeindliche Philoſophie ſolcher Herren iſt dem Seneka abgeborgt,
der das Elend andrer auch ſo auf die leichte Achſel nahm, weil er ſelbſt, bey ſeinem
Reichthum, nichts davon ſpuͤhrte. Folgende Stelle paßt ſehr gut auf die Peſcheraͤhs,
und der nachſtehende Gedanke zeugt gerade von dem Mangel an Gefuͤhl, wovon hier
die Rede iſt. Perpetua illos hiems, triſte coelum premit — imbrem culmo aut
fronde defendunt; nulla illis domicilia, nullae ſedes ſunt, niſi quas laſſitudo in
diem poſuit. — In alimentis feras captant. — vilis, et hic quaerendus manu vi-
ctus. — Miſeri tibi videntur? — Nihil miſerum eſt quod in naturam conſue-
tudo perduxit. — Hoc quod tibi calamitas videtur, tot gentium vita eſt. de pro-
videntia
.
Hawkesworth hat bey einer aͤhnlichen Veranlaſſung dieſe Stelle nur pa-
aphraſirt und moderniſirt. Reiſen B. II. Seite 59.
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[395/0413] in den Jahren 1772 bis 1775. er kein Mittel zu erſinnen weiß, ſich dagegen zu ſchuͤtzen? der unfaͤhig iſt Be- griffe mit einander zu verbinden, und ſeine eigne duͤrftige Lage mit dem gluͤckli- chern Zuſtande andrer zu vergleichen? Was die aͤrgſte Sophiſterey auch je zum Vortheil des urſpruͤnglich wilden Lebens, im Gegenſatz der buͤrgerlichen Ver- faſſung, vorbringen mag; ſo braucht man ſich doch nur einzig und allein die huͤlfloſe bedauernswuͤrdige Situation dieſer Peſcheraͤhs vorzuſtellen, um innig uͤberzeugt zu werden, daß wir bey unſrer geſitteten Verfaſſung unendlich gluͤck- licher ſind! So lange man nicht beweiſen kann, daß ein Menſch, der von der Strenge der Witterung beſtaͤndig unangenehme Empfindung hat, dennoch gluͤck- lich ſey, ſo lange werde ich keinem noch ſo beredten Philoſophen beypflichten, der das Gegentheil behauptet, weil er entweder die menſchliche Natur nicht unter allen ihren Geſtalten beobachtet, oder wenigſtens das, was er geſehen, nicht auch gefuͤhlt hat *). Moͤchte das Bewuſtſeyn des großen Vorzugs, den uns der Himmel vor ſo manchen unſerer Mit-Menſchen verliehen, nur immer zu Verbeſſerung der Sitten, und zur ſtrengern Ausuͤbung unſerer moraliſchen Pflichten angewandt werden! aber leider iſt das der Fall nicht, unſre civiliſir- ten Nationen ſind vielmehr mit Laſtern befleckt, deren ſich ſelbſt der Elende, der unmittelbar an das unvernuͤnftige Thier graͤnzt, nicht ſchuldig macht. Wel- che Schande, daß der hoͤhere Grad von Kenntniſſen und von Beurtheilungs- kraft bey uns nicht beſſere Folgen hervorgebracht hat! 1774. Decem- ber. Dieſe ungluͤcklichen Bewohner eines felſigten unfruchtbaren Landes fraßen rohes, halbverfaultes Seehunds-Fleiſch, welches aͤußerſt wiedrig roch. *) Die haͤmiſche menſchenfeindliche Philoſophie ſolcher Herren iſt dem Seneka abgeborgt, der das Elend andrer auch ſo auf die leichte Achſel nahm, weil er ſelbſt, bey ſeinem Reichthum, nichts davon ſpuͤhrte. Folgende Stelle paßt ſehr gut auf die Peſcheraͤhs, und der nachſtehende Gedanke zeugt gerade von dem Mangel an Gefuͤhl, wovon hier die Rede iſt. Perpetua illos hiems, triſte coelum premit — imbrem culmo aut fronde defendunt; nulla illis domicilia, nullae ſedes ſunt, niſi quas laſſitudo in diem poſuit. — In alimentis feras captant. — vilis, et hic quaerendus manu vi- ctus. — Miſeri tibi videntur? — Nihil miſerum eſt quod in naturam conſue- tudo perduxit. — Hoc quod tibi calamitas videtur, tot gentium vita eſt. de pro- videntia. Hawkesworth hat bey einer aͤhnlichen Veranlaſſung dieſe Stelle nur pa- aphraſirt und moderniſirt. Reiſen B. II. Seite 59. D d d 2

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/413>, abgerufen am 25.11.2024.