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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

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Forster's Reise um die Welt
1774.
Junius.
der Schöpfer unsern Sinnes- und Verstandes[-]Kräften vorgeschrieben, bald mehr
hald minder überschritten, und dadurch gemeiniglich zu den thörigten Mey-
nungen verleitet wurden. Daher geschahe es, daß die Eigenschaften der Gott-
heit durch eingeschränkte Köpfe, die sich von der höchsten Vollkommenheit kei-
nen Begriff machen konnten, gar bald personificirt oder als besondere Wesen
vorgestellet wurden. Auf diese Art entstand jene ungeheure Zahl von Göttern
und Göttinnen; ein Irrthum gebahr den andern, und da jeder Mensch ein
angebohrnes Verlangen hegt, von Gott sich einen Begriff zu machen; so
brachte der Vater, das, was er davou wußte, in der ersten Erziehung auch
seinen Kindern bey. Indessen vermehrte sich das Geschlecht der Menschen,
und fieng gar bald an, sich in unterschiedne Stände zu theilen. Durch die-
sen eingeführten Unterschied in den Ständen ward verhältnißweise die Befrie-
digung der Sinnlichkeit einigen erleichtert, andern aber erschweret. Wenn
nun unter denenjenigen, welchen sie erschweret wurde, ein Mann von beson-
dern Fähigkeiten war, der den allgemeinen Hang seiner Mitbrüder zu Anbetung
eines höheren Wesens bemerkte; so geschah es oft, (und ich möchte fast sagen,
immer) daß er diese herrschende Neigung mißbrauchte. Zu dem Ende suchte
der Betrüger die Verstandeskräfte des großen Haufens zu fesseln und sich densel-
ben zinsbar zu machen. Die Vorstellungen, welche er ihnen von der Gottheit
beybrachte, mußten seinen Absichten behülflich seyn, und deshalb pflanzte er
dem Volke, das bisher von Natur eine kindliche Liebe zu Gott als seinem
Wohlthäter fühlte, nun Furcht und Schrecken vor dem Zorn desselben ein. Eben
so dünkt mich, ists auch auf den Societäts-Inseln zugegangen. Man verehret da-
selbst Gottheiten von allerhand Art und Eigenschaften; und, was vornemlich be-
fremdend ist, jede Insel hat eine besondre Theogonie oder Götter-Geschichte.
Dies wird sich bey Vergleichung dieser Nachrichten, mit denen die in Capitain
Cooks ersterer Reise enthalten sind, deutlich ergeben. *) Tutawai fieng da-
mit an, daß er uns sagte, der höchste Gott oder der Schöpfer des Himmels und
der Erden habe auf jeder Insel einen besondern Namen; oder, um es deutlicher
auszudrücken, sie glaubten auf jeder Insel an ein besonderes höchstes Wesen,
dem sie, über alle andere Gottheiten, den Rang zugeständen. Auf Tahiti

*) S. Hawkesworths Samml. der engl. Seereisen in 4. 2ter Band, Seite 220.

Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Junius.
der Schoͤpfer unſern Sinnes- und Verſtandes[-]Kraͤften vorgeſchrieben, bald mehr
hald minder uͤberſchritten, und dadurch gemeiniglich zu den thoͤrigten Mey-
nungen verleitet wurden. Daher geſchahe es, daß die Eigenſchaften der Gott-
heit durch eingeſchraͤnkte Koͤpfe, die ſich von der hoͤchſten Vollkommenheit kei-
nen Begriff machen konnten, gar bald perſonificirt oder als beſondere Weſen
vorgeſtellet wurden. Auf dieſe Art entſtand jene ungeheure Zahl von Goͤttern
und Goͤttinnen; ein Irrthum gebahr den andern, und da jeder Menſch ein
angebohrnes Verlangen hegt, von Gott ſich einen Begriff zu machen; ſo
brachte der Vater, das, was er davou wußte, in der erſten Erziehung auch
ſeinen Kindern bey. Indeſſen vermehrte ſich das Geſchlecht der Menſchen,
und fieng gar bald an, ſich in unterſchiedne Staͤnde zu theilen. Durch die-
ſen eingefuͤhrten Unterſchied in den Staͤnden ward verhaͤltnißweiſe die Befrie-
digung der Sinnlichkeit einigen erleichtert, andern aber erſchweret. Wenn
nun unter denenjenigen, welchen ſie erſchweret wurde, ein Mann von beſon-
dern Faͤhigkeiten war, der den allgemeinen Hang ſeiner Mitbruͤder zu Anbetung
eines hoͤheren Weſens bemerkte; ſo geſchah es oft, (und ich moͤchte faſt ſagen,
immer) daß er dieſe herrſchende Neigung mißbrauchte. Zu dem Ende ſuchte
der Betruͤger die Verſtandeskraͤfte des großen Haufens zu feſſeln und ſich denſel-
ben zinsbar zu machen. Die Vorſtellungen, welche er ihnen von der Gottheit
beybrachte, mußten ſeinen Abſichten behuͤlflich ſeyn, und deshalb pflanzte er
dem Volke, das bisher von Natur eine kindliche Liebe zu Gott als ſeinem
Wohlthaͤter fuͤhlte, nun Furcht und Schrecken vor dem Zorn deſſelben ein. Eben
ſo duͤnkt mich, iſts auch auf den Societaͤts-Inſeln zugegangen. Man verehret da-
ſelbſt Gottheiten von allerhand Art und Eigenſchaften; und, was vornemlich be-
fremdend iſt, jede Inſel hat eine beſondre Theogonie oder Goͤtter-Geſchichte.
Dies wird ſich bey Vergleichung dieſer Nachrichten, mit denen die in Capitain
Cooks erſterer Reiſe enthalten ſind, deutlich ergeben. *) Tutawaï fieng da-
mit an, daß er uns ſagte, der hoͤchſte Gott oder der Schoͤpfer des Himmels und
der Erden habe auf jeder Inſel einen beſondern Namen; oder, um es deutlicher
auszudruͤcken, ſie glaubten auf jeder Inſel an ein beſonderes hoͤchſtes Weſen,
dem ſie, uͤber alle andere Gottheiten, den Rang zugeſtaͤnden. Auf Tahiti

*) S. Hawkesworths Samml. der engl. Seereiſen in 4. 2ter Band, Seite 220.
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[118/0130] Forſter’s Reiſe um die Welt der Schoͤpfer unſern Sinnes- und Verſtandes-Kraͤften vorgeſchrieben, bald mehr hald minder uͤberſchritten, und dadurch gemeiniglich zu den thoͤrigten Mey- nungen verleitet wurden. Daher geſchahe es, daß die Eigenſchaften der Gott- heit durch eingeſchraͤnkte Koͤpfe, die ſich von der hoͤchſten Vollkommenheit kei- nen Begriff machen konnten, gar bald perſonificirt oder als beſondere Weſen vorgeſtellet wurden. Auf dieſe Art entſtand jene ungeheure Zahl von Goͤttern und Goͤttinnen; ein Irrthum gebahr den andern, und da jeder Menſch ein angebohrnes Verlangen hegt, von Gott ſich einen Begriff zu machen; ſo brachte der Vater, das, was er davou wußte, in der erſten Erziehung auch ſeinen Kindern bey. Indeſſen vermehrte ſich das Geſchlecht der Menſchen, und fieng gar bald an, ſich in unterſchiedne Staͤnde zu theilen. Durch die- ſen eingefuͤhrten Unterſchied in den Staͤnden ward verhaͤltnißweiſe die Befrie- digung der Sinnlichkeit einigen erleichtert, andern aber erſchweret. Wenn nun unter denenjenigen, welchen ſie erſchweret wurde, ein Mann von beſon- dern Faͤhigkeiten war, der den allgemeinen Hang ſeiner Mitbruͤder zu Anbetung eines hoͤheren Weſens bemerkte; ſo geſchah es oft, (und ich moͤchte faſt ſagen, immer) daß er dieſe herrſchende Neigung mißbrauchte. Zu dem Ende ſuchte der Betruͤger die Verſtandeskraͤfte des großen Haufens zu feſſeln und ſich denſel- ben zinsbar zu machen. Die Vorſtellungen, welche er ihnen von der Gottheit beybrachte, mußten ſeinen Abſichten behuͤlflich ſeyn, und deshalb pflanzte er dem Volke, das bisher von Natur eine kindliche Liebe zu Gott als ſeinem Wohlthaͤter fuͤhlte, nun Furcht und Schrecken vor dem Zorn deſſelben ein. Eben ſo duͤnkt mich, iſts auch auf den Societaͤts-Inſeln zugegangen. Man verehret da- ſelbſt Gottheiten von allerhand Art und Eigenſchaften; und, was vornemlich be- fremdend iſt, jede Inſel hat eine beſondre Theogonie oder Goͤtter-Geſchichte. Dies wird ſich bey Vergleichung dieſer Nachrichten, mit denen die in Capitain Cooks erſterer Reiſe enthalten ſind, deutlich ergeben. *) Tutawaï fieng da- mit an, daß er uns ſagte, der hoͤchſte Gott oder der Schoͤpfer des Himmels und der Erden habe auf jeder Inſel einen beſondern Namen; oder, um es deutlicher auszudruͤcken, ſie glaubten auf jeder Inſel an ein beſonderes hoͤchſtes Weſen, dem ſie, uͤber alle andere Gottheiten, den Rang zugeſtaͤnden. Auf Tahiti 1774. Junius. *) S. Hawkesworths Samml. der engl. Seereiſen in 4. 2ter Band, Seite 220.

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/130>, abgerufen am 26.11.2024.